Corona und Grund­rechte: Zusam­men­kunft auf Abstand

Das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt hat letzte Woche nunmehr klarge­stellt, dass ein Total­verbot für politische Versamm­lungen auch angesichts der Infek­ti­ons­gefahr durch Corona unzulässig ist. Der Fall betraf eine Serie von Versamm­lungen in Gießen unter dem Motto „Gesundheit stärken statt Grund­rechte schwächen – Schutz vor Viren, nicht vor Menschen“. Die Organi­sa­toren hatten sich verschiedene Maßnahmen überlegt, wie sich Infek­tionen auf den Demons­tra­tionen vermeiden ließen. Die Teilnehmer sollten durch Hinweis­schilder zur Einhaltung der Abständen ermahnt werden. Ordnern sollten sie zu markierten Start­po­si­tionen lotsen, mit einem Abstand von 10 Metern nach vorn und hinten und 6 Metern seitlich. Starten sollten dort Einzel­per­sonen, Wohnge­mein­schaften oder Familien. Redebei­träge würden über das eigene Mobil­te­lefon des jewei­ligen Redners zu einer Beschal­lungs­anlage übertragen.

Die Stadt Gießen verbot die Versamm­lungen unter Anordnung der sofor­tigen Vollziehung gestützt auf § 15 Abs. 1 VersG. Die Versamm­lungen würden die öffent­liche Sicherheit und die öffent­liche Ordnung unmit­telbar gefährden. Sie verstießen gegen § 1 Abs. 1 der 3. Hessi­schen Corona-Verordnung. Der Antrag­steller hat zunächst erfolglos Wider­spruch eingelegt und hat dann – ohne Erfolg – über zwei Instanzen vor dem Gericht die Wieder­her­stellung der aufschie­benden Wirkung beantragt.

Aus Sicht des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hat die Verbots­ver­fügung den Antrags­steller eindeutig in seinem Recht auf Art. 8 GG verletzt. Die Stadt Gießen habe nicht ausrei­chend zwischen dem Recht auf Versamm­lungs­freiheit und den Belangen des Infek­ti­ons­schutzes abgewogen. Sie hat verkannt, dass ihr bei Auslegung der Verordnung ein Entschei­dungs­spielraum zur Verfügung steht. Überwiegend mache sie Bedenken geltend, die gegenüber jeder Versammlung vorge­bracht werden könnten. Dies werde den Spiel­räumen bei der Auslegung der Verordnung nicht gerecht, die sich aus einer Berück­sich­tigung von Art. 8 GG ergeben müssten (Olaf Dilling).

2020-04-20T22:01:47+02:0020. April 2020|Allgemein, Verwaltungsrecht|

Der blaue Himmel über Karlsruhe und die Fahrverbote

Der bei deutschen Juristen beliebte Spruch vom Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG), über dem sich nur noch der blaue Himmel von Karlsruhe wölbe, hat in den letzten Jahrzehnten an Überzeu­gungs­kraft eingebüßt. Denn bekanntlich haben die staatlich bestallten Hüter der Verfassung auf europäi­scher Ebene Konkurrenz bekommen. Schließlich gibt es auch noch den Europäi­schen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg als oberstes Gericht der Europäi­schen Union und den Europäi­schen Gerichtshof für Menschen­rechte (EGMR), der im franzö­si­schen Straßburg über die Wahrung der Rechte der Europäi­schen Menschen­rechts­kon­vention (EMRK) wacht.

Aber manchmal passt das Bild vom blauen Himmel dann doch. Aller­dings selten so gut wie bei einer Rechts­frage, für die in Karlsruhe gleich mehrere Verfas­sungs­be­schwerden einge­gangen waren: Die Fahrverbote für Diesel­fahr­zeuge in deutschen Innen­städten. Wir hatten bereits mehrfach berichtet. Hierzu hat das BVerfG gestern mehrere Nicht­an­nah­me­be­schlüsse bekannt gegeben: In insgesamt neue Verfahren gegen Fahrverbote für Euro-5-Diesel in Stuttgart hat das Gericht entschieden, die Beschwerden nicht zur Entscheidung anzunehmen. Eine Begründung gibt das Gericht nicht, was gerade angesichts der politi­schen Brisanz zeigt, dass sich das Gericht in seiner Entscheidung sehr sicher sein dürfte.

Die Verfahren sind allesamt zuvor bei den Verwal­tungs­ge­richten, nämlich beim Verwal­tungs­ge­richt Stuttgart und dem Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg, anhängig gewesen und dort gescheitert. Danach blieb dann nur noch die Verfas­sungs­be­schwerde in Karlsruhe. In Stuttgart wurde dieses Jahr ein Fahrverbot für Fahrzeuge mit Abgasnorm Euro‑4 oder älter in der Umweltzone erlassen. Ab nächstem Jahr wollte die grün-schwarze Regierung auch das Fahren mit Euro-5-Diesel auf einigen Haupt­strecken verbieten. Nach Auffassung der Verwal­tungs­ge­richts­barkeit lassen sich die sehr hohen Stutt­garter Stickoxid-Werte nur durch ein Fahrverbot in der gesamten Umweltzone ausrei­chend bekämpfen.

Tatsächlich hätte sich der blaue Himmel über Stuttgart mit einiger Kreati­vität und vor allem genügend Vorlauf sicher auch durch andere Maßnahmen wieder­her­stellen lassen. Nur wenn die Politik schläft, müssen’s am Ende die Gerichte richten.

2019-10-25T18:35:18+02:0025. Oktober 2019|Immissionsschutzrecht, Umwelt, Verwaltungsrecht|