Zombie at Work: Kassierter Großfeue­rungs­an­la­gen­be­schluss wird umgesetzt

Erinnern Sie sich? Die europäische Kommission hat am 31.07.2017 neue Grenz­werte für Großfeue­rungs­an­lagen erlassen (Beschluss 2017/1442/EU), hierzu mehr. Für diese – vornehm „BVT-Schluss­fol­ge­rungen“ genannt – gibt es einen festge­setzten rollie­renden Mecha­nismus, der eigentlich vorsieht, dass erst die KOM tätig wird, dann die Mitglied­staaten und schließlich vier Jahre nach Erlass, also diesen Sommer, alle Anlagen auf Stand sind.

Dass das nicht funktio­nieren würde, war schon 2018 klar (wir berich­teten). Und nun hat auch noch mit Entscheidung vom 27.01.2021 das EuG auf eine Klage Polens hin den Beschluss 2017/442/EU für nichtig erklärt. Der KOM sind Verfah­rens­fehler unter­laufen. Damit behalten die osteu­ro­päi­schen Stimmen, aber auch deutsche Braun­koh­le­ver­bände, recht, die von Anfang an vorge­tragen hatten, dass das vorge­sehene Verfahren nicht einge­halten worden war.

Doch nichtig bedeutet nicht automa­tisch auch unwirksam. Ähnlich wie das deutsche Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) Gesetze für unver­einbar erklären, dem Gesetz­geber aber Zeit für eine Neure­gelung lassen kann, kann auch die EU-Gerichts­barkeit nichtige Rechtsakte quasi wie eine Art juris­ti­schen Zombie noch eine Weile herum­laufen lassen. In diesem Falle bedeutet das: Die Schluss­fol­ge­rungen bleiben in Kraft und die KOM hat 12 Monate Zeit, sich um einen vorschrifts­ge­mäßen Beschluss zu kümmern. Das EuG begründet das mit der notwen­digen Gewähr­leistung eines hohen Umwelt­schutz­ni­veaus und der nötigen Verbes­serung der Umwelt­qua­lität, die ansonsten leiden würden. Polen hat also gewonnen, aber hat nichts davon.

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Entspre­chend gehen auch in Deutschland die Bemühungen weiter, die neuen Grenz­werte nun schnell umzusetzen. Nachdem immerhin der Bundestag Änderungen der 13. und der 17. BImSchV beschlossen hat (wir berich­teten schon über den Kabinetts­entwurf), ist nun der Bundesrat gefragt. Am Freitag, dem 26.03.2021 steht das Thema auf der Tages­ordnung. Eine reine Forma­lität wird diese Beratung sicher nicht: Der feder­füh­rende Umwelt­aus­schuss hat eine ganze Reihe von Änderungs­vor­schlägen unter­breitet. Zwar drängt die Zeit, aber die Frage, was denn nun im Sommer für Grenz­werte gelten, ist noch nicht geklärt (Miriam Vollmer).

2021-03-23T22:49:00+01:0023. März 2021|Immissionsschutzrecht, Verwaltungsrecht|

Neue Grenz­werte für große Anlagen: Der Kabinetts­be­schluss zur 13. BImSchV

2017 hat die EU-Kommission mit dem Durch­füh­rungs­be­schlusses (EU) 2017/1442 und dem Durch­füh­rungs­be­schlusses (EU) 2017/2117 neue Schluss­fol­ge­rungen zu den besten verfüg­baren Techniken (BVT) nach der Großfeue­rungs­richt­linie getroffen. Weniger vornehm ausge­drückt: Brüssel hat neue Grenz­werte für Großkraft­werke, Gastur­binen und Verbren­nungs­mo­toren mit mehr als 50 MW FWL, insbe­sondere sind scharfe Emissi­ons­grenz­werte für Schwe­fel­dioxid, Stick­oxide, Queck­silber und Feinstaub vorgesehen.

Diese neuen Vorgaben muss die Bundes­re­publik an sich innerhalb eines Jahres umsetzen, wie sich aus § 7 Abs. 1a Nr. 1 des Bundes­im­mis­si­ons­schutz­ge­setzes (BImSchG) ergibt. Doch die Anpassung der 13. und der 17. BImSchV hat nicht frist­ge­recht funktio­niert: Statt 2018 wird nun wohl erst 2021 das deutsche Recht angepasst. Nach vier Jahren wären ansonsten die neuen Grenz­werte auch so umzusetzen gewesen. Grund für die Verzö­gerung war angeblich die Kohlekommission.

Nun aber liegt nach einem umstrit­tenen Referen­ten­entwurf aus dem Sommer immerhin der Kabinetts­be­schluss vor. Dieser enthält eine Vielzahl neuer Detail­re­ge­lungen, die sich teilweise aus einer verän­derten Syste­matik auch in Hinblick auf den Kreis der erfassten Anlagen ergeben. Neben diesen Regelungen, die viel Aufmerk­samkeit im Detail erfordern, bilden die novel­lierten Grenz­werte für Stick­oxide, Methan, Staub, CO, Formaldehyd und Schwe­fel­dioxid das Herzstück der Neuregelung.

Gegenüber dem Entwurf vom Sommer gibt es auch inhaltlich noch Änderungen. Bei Methan wurden die Regelungen noch einmal angepasst und entlang der techni­schen Gegeben­heiten bei Motor­an­lagen diffe­ren­ziert und zum Teil angehoben. Die verbreitete Kritik, die neuen Werte seien nur im Volllast­be­trieb realis­tisch, wurde aufge­nommen und ausdrücklich klarge­stellt, dass der Wert auch nur in Volllast gilt. Anspruchsvoll, aber mit dem Kohle­aust­siegspfad harmo­ni­siert, sind nun die Neuerungen beim Queck­silber: Der Tages­mit­telwert für Queck­sil­ber­emis­sionen wird von 30 Mikro­gramm auf 20 Mikro­gramm pro m3 im Abgas­strom sinken, auch weitere Anpas­sungen an den Stand der Technik werden von den Betreibern verlangt. Nun muss noch der Bundesrat und der Bundestag zustimmen (Miriam Vollmer).

Streit um Quecksilber

In doch eher seltener Einmü­tigkeit wendet sich eine Reihe von Verbänden gegen ein Arbeits­papier des Bundes­um­welt­mi­nis­te­riums zur Änderung der 13. Bundes-Imissi­ons­schutz­ver­ordnung (13. BImSchV), die vor allem Schad­stoff­grenz­werte für Großfeue­rungs­an­lagen enthält. Das Papier unter­laufe durch überam­bi­tio­nierte Grenz­wert­vor­schläge für Queck­silber die Beschlüsse der Kohlekommission.Was ist passiert?

Die 2010 erlassene Industrie-Emissi­ons­richt­linie (IED) sieht vor, dass alle acht Jahre neue Grenz­werte für die von der IED erfassten Anlagen gemein­schaftsweit erlassen werden. Diese sollen dann innerhalb von vier Jahren von allen Großfeue­rungs­an­lagen in Europa einge­halten werden. Dieses ehrgeizige Programm wird durch engma­schige Berichts­pflichten flankiert.Für die Großfeue­rungs­an­lagen, also Anlagen mit mindestens 50 MW Feuerungs­wär­me­leistung, ist 2017 das so genannte LCPBREF in Kraft getreten. In den verbind­lichen Schluss­fol­ge­rungen dieses Beschlusses sind Bandbreiten vorge­sehen, die von Europas großen Anlagen bis nunmehr 2021 einzu­halten sind. Hieraus resul­tiert: die 13. BImSchV muss dringend über arbeitet werden.

Bei der Frage, wo innerhalb der gemein­schaftsweit geltenden Bandbreiten nun die Bundes­re­publik ihren Grenzwert findet, hat das feder­füh­rende BMU gewisse Spiel­räume. Es hängt also von einer politi­schen Entscheidung in Deutschland ab, wie anspruchsvoll die Werte ausfallen, und damit: Ob und wer unter den deutschen Kraft­werks­be­treiber seine Anlage unter teilweise erheb­lichem finan­zi­ellen Aufwand nachrüsten oder gar ganz abschalten muss.

Im Hinblick auf Queck­silber hat das Umwelt­mi­nis­terium sich für eine harte Gangart entschieden. Dies wird nun von Seiten der Verbände kriti­siert: Die vorge­se­henen Grenz­werte seien so anspruchsvoll, dass die Anlagen sie selbst mit Nachrüs­tungen nicht mehr stemmen könnten. Sie würden ihre Geneh­mi­gungen verlieren und müssten still­gelegt werden. Auf diese Weise, so der Verdacht, würde das Umwelt­mi­nis­terium versuchen, die aus Sicht der beamteten Umwelt­schützer unzurei­chenden Ergeb­nisse der Kohle­kom­mission auf eigene Faust und weit über den erzielten Konsens hinaus nachzu­bessern. Ein solcher Kohle­aus­stieg durch die kalte Küche sei von den Beschlüssen der Kohle­kom­mission nicht gedeckt, die den Ausstieg nicht 2021, sondern gestreckt bis 2038 vorge­sehen hat.

Bei Gericht käme man mit diesem Argument kaum weiter. Die Kohle­kom­mission konnte schon keine verbind­lichen Beschlüsse fassen, sondern politische Entschei­dungen durch Bundestag und Bundesrat nur vorbe­reiten. Ihr Beschluss ist also nicht verbindlich. Überdies beschäf­tigte sich die Kohle­kom­mission mit dem Kohle­aus­stieg unter dem Aspekt des Klima­schutzes. Der Schutz vor Schad­stoffen, der im BImSchG und seinen Verord­nungen geregelt ist, ist eine andere, keineswegs explizit oder auch nur diffus mitge­re­gelte Materie. Es gibt also keine implizite Garantie, alle deutschen Kohle­kraft­werke bis spätestens 2038 betreiben zu dürfen, völlig egal, was genau aus ihrem Schorn­stein kommt.

Politisch ist der Verweis auf die Kohle­kom­mission aber zumindest teilweise durchaus valide. Werden Beschlüsse, die wie die der Kohle­kom­mission in einem breiten, gesell­schaft­lichen Konsens gefällt werden, auf diese Weise unmit­telbar und bei nächster sich bietender Gelegenheit wieder infrage gestellt, schwächt man solche Möglich­keiten der gesell­schaft­lichen Parti­zi­pation mögli­cher­weise nachhaltig. Damit nimmt die Bundes­re­publik sich für die Zukunft unter Umständen ein Instrument, besonders umstrittene Frage­stel­lungen unter Einbe­ziehung aller relevanten gesell­schaft­lichen Gruppen befrie­digend und dauerhaft aufzulösen.