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IGH: Staaten­ver­ant­wortung für Klimaschäden

Es ist ein Wider­spruch: In den letzten Jahren wurde immer deutlicher, mit welchem Ausmaß an Klima­ver­än­de­rungen, Schäden und Anpas­sungs­kosten zu rechnen ist. Dennoch sind die Staaten Europas und Nordame­rikas immer weniger bereit, etwas für Klima­schutz zu tun. Sozial­psy­cho­lo­gisch lässt sich das vielleicht als eine Art kollek­tiver Resignation erklären. Sie ist mit einer Reali­täts­ver­wei­gerung verbunden, die uns früher oder später auf die Füße fallen wird. Denn die Indus­trie­länder können sich ihrer Verant­wortung für die Klima­ka­ta­strophe nicht dadurch entle­digen, dass sie sie ignorieren.

Das ist auch die zentrale Botschaft eines Gutachtens, dass die UNO-Vollver­sammlung dem Inter­na­tio­nalen Gerichtshof (IGH) aufge­tragen hatte und das dieser Tage nun als sogenannte „Advisory Opinion“ in den Arbeits­sprachen Englisch und Franzö­sisch veröf­fent­licht wurde. Die Aussagen, die der IGH dort trifft, sollten zum Teil eigentlich trivial sein: Verträge sind einzu­halten! Das gilt für die Klima­rah­men­kon­vention (UN FCCC) und das Kyoto-Protokoll genauso wie für das Klima­ab­kommen von Paris. Es ist aber nicht trivial.

Denn wenn die aktuelle Bundes­re­gierung so weiter macht, wird sie mit den Klima­zielen krachend scheitern. Aus Projek­tionen des Umwelt­bun­desamts vom April diesen Jahres ergibt sich jeden­falls, dass Deutschland sich bis 2040 nur auf einem Pfad von einer Minderung von 80 % befindet und damit das Ziel für 2040 von 88% verfehlt. Auch das Gesamtziel der Treib­haus­gas­neu­tra­lität in 2045 würde damit ebenfalls verfehlt. Die neue, CDU-geführte Regierung hat deutlich gemacht, dass ihre Priori­täten nicht beim Klima­schutz liegen und inves­tiert Gelder für den Klima­schutz lieber in eine stabile Energie­ver­sorgung als in den Ausbau der erneu­er­baren Energien. Die Errei­chung der Ziele ist daher in noch weitere Ferne gerückt.

Nun werden sich viele Regie­rungs­po­li­tiker auf beiden Seiten des Atlantiks sagen, dass sie die Meinung des IGH nicht kratzen muss:

  • So scheinen nur die Staaten betroffen zu sein, die sich selbst zu Klima­schutz verpflichtet haben. Nicht aber z.B. die USA, die sich nun von allen vertrag­lichen Verpflich­tungen lösen will. 
  • Zudem ist es lediglich eine „Advisory Opinion“ also gerade kein verbind­liches Urteil.
  • Schließlich ist Völker­recht notorisch „zahnlos“, weil es inter­na­tional oft an Durch­set­zungs­me­cha­nismen mangelt. 

Diese drei Einschät­zungen stimmen nur zum Teil:

  • Zum Einen entwi­ckelt sich Recht schritt­weise. Im Gutachten ist bereits die Möglichkeit angelegt und benannt, die Staaten­ver­ant­wortung auch über das Vertrags­recht „erga omnes“ also gegenüber allen Staaten auszu­dehnen. Dies beruht auf einer etablierten Recht­spre­chung und lässt sich damit begründen, dass durch Klima­wandel auch Menschen­rechte, etwa der Bevöl­kerung von Insel­staaten, betroffen sind.
  • Die schritt­weise Entwicklung betrifft auch den Konkre­ti­sie­rungsgrad der vertrag­lichen und allen gegenüber wirkenden Pflichten: Es ist zu erwarten, dass der IGH seine Grund­sätzen in zukünf­tigen Entschei­dungen noch spezi­fi­ziert. Auch dies wird in der Entscheidung angekündigt, wenn der IGH schreibt, dass die Details der Pflichten von Fall zu Fall entwi­ckelt werden müssen. Auch andere inter­na­tionale Spruch­körper könnten diese Grund­sätze aufgreifen (oder haben bereits ähnliche Pflichten entwickelt).
  • Tatsächlich hat Völker­recht oft ein Vollzugs­problem (wobei sich genau besehen auch im staat­lichen Recht ähnliche Vollzugs­pro­bleme stellen, wie die Klima­schutz­ge­setze zeigen). Gerade wenn es um Geld (also zum Beispiel Repara­ti­ons­zah­lungen für völker­rechts­widrige THG-Emissionen) geht, ergeben sich jedoch mitunter erstaunlich „harte“ Möglich­keiten des Vollzugs. Zum Beispiel lassen sich im Ausland befind­liche Güter von Staats­be­trieben enteignen oder Staats­schulden aufrechnen. In manchen Fällen könnten sich auch völker­recht­liche Verpflich­tungen auf privat­recht­licher Ebene auswirken, so dass u.U. deutsche Unter­nehmen anteilig für ihre Emissionen einstehen müssen.

Die aktuellen Tendenzen, Klima­schutz zu vernach­läs­sigen, könnten sich in nicht allzuf­erner Zukunft rächen. Denn die Schäden, die durch Klima­wandel poten­tiell verur­sacht werden, übersteigen die Kosten für Klima­schutz um ein Vielfaches. Es würde sich daher auch aus völker­recht­licher Sicht auszahlen, die Pflichten aus den Klima­ab­kommen und auf menschen­recht­licher Grundlage einzu­halten. (Olaf Dilling)

 

 

2025-07-25T18:14:41+02:0025. Juli 2025|Klimaschutz, Kommentar, Rechtsprechung, Umwelt|

Ungeschützte Radfahr­streifen

Gestern war ich mit einer Bekannten in einem Café in den Hacke­schen Höfen. Das Gespräch ging so über dies und das, aber vor allem hatten wir uns aber über die Beschäf­tigung mit dem Radverkehr kennen­ge­lernt. Daher kam das Gespräch irgendwann unwei­gerlich auch auf Verkehrs­recht. Mit einer Frage hat sie mich etwas in Bedrängnis gebracht:

Die Frage lautete, welche Abstände Kraft­fahrer zu Fahrrad­fahrern einhalten müssen, die auf einem Radfahr­streifen fahren. Die Antwort kam mir selbst völlig unzurei­chend vor: Während Kfz beim Überholen von Radfahrern auf einem Schutz­streifen oder im Misch­verkehr gemäß § 5 Abs. 4 Satz 3 StVO einen Seiten­ab­stand von 1,5 m innerorts und 2 m außerorts einhalten müssen, ist für das Vorbei­fahren an Radfahrern auf dem Radfahr­streifen kein bezif­ferter Seiten­ab­stand vorge­sehen. Denn genau genommen handelt es sich hierbei nicht um einen Überhol­vorgang. Die Radfahrer befinden sich nicht auf der Fahrbahn, sondern vielmehr auf einem Sonderweg.

Irgendwie handelt es sich um eine dieser juris­ti­schen Fragen, bei denen es einem als geset­zes­treuem Juristen mehr oder weniger die Sprache verschlägt. Denn eigentlich kann es ja nicht sein: Ein Radfahrer ist auf dem Radfahr­streifen schließlich nicht weniger schutz­be­dürftig als auf dem Schutz­streifen oder im Misch­verkehr. Außerdem werden Radfahr­streifen extra dafür angelegt, um die Sicherheit und Ordnung des Radver­kehrs zu gewähr­leisten. Dort wo sie angeordnet sind, müssen nach § 45 Abs. 1 iVm. Abs. 9 Satz 1 und 4 Nr. 3 StVO konkrete Gefahren bestehen und die Anordnung zwingend sein. Denken wir also an Kinder, die ab acht Jahren auf dem Radfahr­streifen fahren dürfen bzw. ab 10 Jahren müssen. Denken wir an Radfahr­streifen, die zwischen einer Kfz-Spur entlang­führen, die geradeaus führt und einer Kfz-Spur, die für Rechts­ab­bieger gedacht ist. Denken wir an große LKW, die immer noch nicht alle mit Assis­tenz­sys­temen ausge­stattet sind.

Nun folgt aus § 1 Abs. 2 StVO, dass Verkehrs­teil­nehmer sich so zu verhalten haben, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unver­meidbar, behindert oder belästigt wird. Aber bedeutet das wirklich, dass Kfz auf mehrstrei­figen Streifen warten, wenn sie zu Fahrrad­fahrern auf dem Radfahr­streifen einen angemes­senen Abstand nicht einhalten können? Ich habe Zweifel.

Unprotected bike lane in Toronto with cyclist and cars.

Dylan Passmore from Toronto, Canada, CC BY 2.0 <https://creativecommons.org/licenses/by/2.0>, via Wikimedia Commons

Konse­quenz sollte sein, dass Radfahr­streifen ohne physische Barrieren nur dann angeordnet werden sollten, wenn sie ausrei­chend breit sind. Die 2,00 m, bzw. 1,60 m bei geringem Radverkehr, die laut aktuellen Empfeh­lungen für Radver­kehrs­an­lagen (ERA) der Forschungs­ge­sell­schaft für Straßen- und Verkehrs­wesen e.V. (FGSV) bisher vorge­sehen sind, reichen da nicht. Vor allem dann nicht, wenn der Kfz-Fahrstreifen daneben nicht breit genug ist. Denn die meisten Kfz-Fahrer wollen Radfahrer ja nicht vorsätzlich oder fahrlässig gefährden.

Überall wo das nicht der Fall ist, sollten geschützte Radfahr­streifen der Standard sein. Das heißt Radfahr­streifen, die durch Poller oder Trenn­ele­mente von der Kfz-Fahrbahn separiert sind. Leider gibt es bezüglich der Gestaltung dieser Trenn­ele­mente oft noch Unsicher­heiten bei der Verwaltung und sogar bei der Verwal­tungs­ge­richts­barkeit. Daher wäre es sehr wichtig, dass fachliche Standards entwi­ckelt und von den Verkehrs­mi­nis­terien aufge­griffen werden, die hier Klarheit schaffen. Sicher ist nur eins: weiße Farbe gibt Orien­tierung, verhindert im Zweifel aber keine Unfälle. (Olaf Dilling)

 

2025-07-17T13:22:22+02:0017. Juli 2025|Allgemein, Kommentar, Verkehr, Verwaltungsrecht|

Fußverkehr in Berlin: Immer am Geländer lang

Während jeder Poller in Berlin große Diskus­sionen und Konflikte auslöst, gibt es kaum beachtet im Herzen Berlins ein über 150 m langes Geländer, das am südlichen Ende der Ebert­brücke in Stein­wurf­weite der Museums­insel Fußgänger am Queren der Kreuzung hindert. Ich wette um einen Poller in der Tuchol­sky­straße, dass unter Hundert zufällig befragten Passanten niemand errät, warum sich das Geländer dort befindet.

Nicht, dass sie das Geländer nicht kümmern würde. Denn es zwingt sie dazu, einen absurd langen Umweg zu gehen: Wer vom Bodemuseum am südlichen Spreeufer knapp 500 Meter zur Weiden­dammer Brücke an der Fried­rich­straße laufen will, muss einen über hundert Meter langen Umweg über die Ostseite der Ebert­brücke ans nördliche Spreeufer und auf der Westseite der Brücke wieder zurück laufen.

Google Maps Screenshot vom unnötigsten aller Geländer in Berlin mit Blick aufs Bode-Museum.

Natürlich gibt es für Menschen in guter körper­licher Verfassung, die in der Verkehrs­er­ziehung geschlafen haben und bei der theore­ti­schen Führer­schein­prüfung mit Glück die richtigen Fragen erwischt haben, eine simple Lösung: Sie steigen einfach über das Geländer und hoffen, sich dabei nicht zu verletzen. Alle anderen wissen, dass § 25 Abs. 4 StVO ihnen verbietet, als Fußgänger Stangen- und Ketten­ge­länder zu überschreiten und dass § 25 Abs. 1 StVO verbietet, neben ihnen auf der Fahrbahn zu laufen. Angesichts dieses doppelten Verbots müssen sie also den doppelten Weg über die Spree in Kauf nehmen. Wissen ist Macht, aber manchmal macht es auch nur Mühe.

Wenn sie keine Lust zum Laufen haben, könnten sie natürlich auch den Rechtsweg beschreiten. Voraus­setzung ist, dass sie neu in Berlin sind, weil sie beispiels­weise aus einem kleinen Ort in der Nähe von Stuttgart herge­zogen sind, wo es solche Geländer gar nicht braucht. Denn für alle, die schon länger in der Haupt­stadt wohnen und den Ort kennen, ist die Wider­spruchs­frist von einem Jahr abgelaufen.

Damit das Geländer erfolg­reich angefochten werden kann, müsste es im Übrigen eine Verkehrs­ein­richtung iSd § 43 Abs. 1 StVO sein. Denn so eine Einrichtung setzt dem Verkehrs­teil­nehmern nicht nur physisch eine Barriere, sie zwingt auch mit der Kraft hoheit­lichen Rechts: Mit ihr ist ein Verwal­tungsakt in Form einer Allge­mein­ver­fügung verbunden.

Da durch die Einrichtung der Fußverkehr buchstäblich beschränkt wird, müsste es eigentlich eine Recht­fer­tigung dafür geben. Typischer­weise in Form einer quali­fi­zierten Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 9 Satz 3 StVO. Meistens findet man solche Stangen­ge­länder daher an viel befah­renen mehrspu­rigen Straßen. Wo liegt hier an diesen relativ beschau­lichen Kopfstein­pflas­ter­straßen  an der Spree mit Höchst­ge­schwin­digkeit Tempo 30 die quali­fi­zierte Gefahr?

Ein findiger Journalist der Berliner Zeitung hat sich mal auf eine Odyssee durch die Berliner Verwaltung gemacht und Stellen angeschrieben, die aus seiner Sicht zuständig sein könnten. Schließlich wurde er beim Bezirksamt Mitte von Berlin fündig. Dort hieß es, dass das Geländer nötig sei, weil die Bordsteine an dieser Stelle konstruk­ti­ons­be­dingt wegen der Brücke zu hoch seien. Es sei auch nicht möglich, diese abzusenken. Das Bezirksamt wollte sich um das Thema kümmern. Es kümmert sich drei Jahre später immer noch.

Ob diese Stolper-Bordsteine als quali­fi­zierte Gefahr ausreichen, um zu Umwegen von mehr als hundert Metern zu zwingen, ist sehr fraglich. Schließlich gibt es den Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit und es wären auch durchaus mildere Mittel denkbar, wie etwa Warnhin­weise, rot-weiße Markie­rungen oder tatsächlich die bauliche Absenkung des Bordsteins.

Vermutlich würde das Stangen­ge­länder, das übrigens nach den Recherchen der Berliner Zeitung aus fünf Tonnen Edelstahl geschmiedet sein soll, einer gericht­liche Überprüfung nicht stand­halten. Aber wenn man öfter dort entlang geht und sieht, wie blank poliert die Geländer an der Kreuzung sind, dann wird deutlich, dass den meisten Berlinern das Thema buchstäblich am Aller­wer­testen vorbei rutscht: Sie bequemen sich einfach dazu, über das Geländer zu steigen. Das ist zwar illegal, aber es hält fit. (Olaf Dilling)

2025-07-08T23:07:19+02:008. Juli 2025|Kommentar, Verkehr|