Dass Schulkinder möglichst früh lernen sollen, sich unabhängig und sicher in ihrem Wohnumfeld zu bewegen und in der Lage sein sollen, alleine zur Schule zu kommen, wird eigentlich öffentlich kaum bestritten. Wenn faktisch dennoch viele Kinder von ihren Eltern mit dem sogenannten „Elterntaxi“ gebracht werden, wird das oft der Überfürsorglichkeit von „Helikopter-Eltern“ angelastet.
Die Realität sieht aber mitunter ganz anders aus. Die Verhältnisse im Straßenverkehr sind vielerorts einfach nicht so, dass Kinder gefahrlos zur Schule laufen können. Würden Sie etwa Ihre Kinder frühmorgens alleine über eine viel befahrene vierspurige Straße laufen lassen, wenn es dort weder einen Fußgängerüberweg noch eine Ampelanlage gibt? Eine Initiative von Eltern und Anwohnenden in Berlin-Neukölln hat da berechtigte Sorgen, die von der zuständigen Verkehrsbehörde nicht geteilt werden.
Denn nach deutschem Straßenverkehrsrecht ist für Beschränkungen des fließenden Verkehrs eine besonders qualifizierte Gefahrenlage nach § 45 Abs. 9 StVO erforderlich. Diese Gefahrenlage wird von der Behörde im Fall der Schulweg-Ampel aus mehreren Gründen abgelehnt. Unter anderem seien zu wenig Schulkinder unterwegs, um eine Lichtzeichenanlage zu rechtfertigen. Zudem gäbe es aufgrund benachbarter Verkehrsampeln immer wieder Lücken im Verkehrsfluss, so dass ein Queren gefahrlos möglich sei. Fußgängerunfälle habe es an der betreffenden Stelle bisher noch nicht gegeben.
Wir haben nun für die Initiative, genau genommen für mehrere Schulkinder, vertreten durch ihre Eltern sowie für ein Ehepaar mit Gehbehinderung Klage eingereicht. Denn wir halten den Antrag auf Einrichtung einer Fußgängerampel durchaus für begründet und ein gerichtliches Vorgehen trotz der relativ hohen rechtlichen Hürden in diesem Fall für sinnvoll.
Die Begründung der Behörde geht nämlich in wesentlichen Punkten von falschen Tatsachen oder Bewertungen aus:
1) stellt sie einseitig auf die Sicherheit des Verkehrs ab, nicht auch auf die Mobilitätsbedürfnisse der Kinder und von Menschen mit Behinderung, die bei der Entscheidung nach § 45 StVO im Rahmen der Ordnung des Verkehrs auch berücksichtigungsfähig sind. Insbesondere wird aus der Tatsache, dass aktuell wenig Fußverkehr an der Kreuzung herrscht, offenbar geschlossen, dass dort auch bei Herstellung einer besseren Querungsmöglichkeit kaum Bedarf bestünde;
2) wird bei der Beurteilung des Verkehrsaufkommens unterschlagen, dass wegen der häufigen Sperrung des parallel gelegenen Autobahnabschnitts die Straße oft viel dichter befahren ist, als bei den Verkehrszählungen erhoben;
3) brauchen für eine qualifizierte Gefahrenlage keine Unfälle nachgewiesen werden, es reicht vielmehr, dass die Verhältnisse vor Ort Unfälle sehr wahrscheinlich machen;
4) schließlich wird nicht berücksichtigt, dass eine Ampelschaltung möglich wäre, die sich auch an der grünen Welle orientiert und insofern kaum Einschränkungen für die große Mehrheit des Kfz-Durchgangsverkehrs bringen würde.
Zwar haben Behörden bei der Verkehrsregelung einen weiten Ermessens- und Einschätzungsspielraum. Allerdings müssen sie die Tatsachengrundlage für ihre Entscheidungen sorgfältig ermitteln und dürfen keine Wertungen treffen, die nicht rechtskonform sind. Den Fall betreut unser Partner Rechtsanwalt Dr. Olaf Dilling.
Ich bin auf das Urteil gespannt.
Leider vergessen Straßenverkehrsbehörden regelmäßig, dass die gesetzlichen Verpflichtungen zur Herstellung von barrierefreien Verkehrsanlagen (BGG; soweit ich die entsprechenden Landesgesetze kenne, gibt es dort entsprechende Regelungen) für alle Behörden gelten. Die Möglichkeit, in Ruhe die Fahrbahn queren zu können, ist z. B. ein für die Barrierefreiheit für Gehbehinderte von Bedeutung. Auch für Sehbehinderte ist eine „gesicherte“ Querung durch eine LZA barrieremindernd.
Es ist ein häufig gemachter Fehler, aus dem Ist-Zustand auf einen Bedarf zu schließen. Das ist schlicht unmöglich. Dann müsste man behaupten, sobald jemand auf den Rollstuhl angewiesen ist, würde sein Mobilitätsbedürfnis drastisch sinken. Das halte ich für unplausibel. Aber warum sieht man nicht im Straßenverkehr anteilig so viele Menschen mit Rollstuhl, wie anteilig an der Bevölkerung einen brauchen? Das möglicherweise höhere Durchschnitts- und Medianalter von Rollstuhlfahrer:innen wird die Untersichtbarkeit kaum vollständig erklären. Ich bin also bei Ihnen, bei Nr. 1 letzter Satz.
Grüne Wellen sind nur machbar, wenn ich Städte abreiße und in einem festen Raster, dessen Rasterweite sich aus der Entwurfsgeschwindigkeit für die Grüne Welle erreichen lässt, neu baue.
Nach der herrschenden (dadurch nicht unbedingt richtigen) Meinung geht es immer um einen relativen Gefahrbegriff (es muss also deutlich gefährlicher sein als sonst wo). Am Ende bleibt m. E. aber wie sie sagen, ein weiter Spielraum für die Behörde und dann kommt es auf Willen und Argumentationskompetenz des SB an (der für die Formulierung auch genug Zeit haben muss).