Derzeit entzweit ein Thema nicht nur die Regie­rungs­ko­alition, sondern auch die grün besetzten Ressorts: Der Umgang mit Sitzblo­ckaden von Klima­schützern. Die grüne Umwelt­mi­nis­terin Steffi Lemke nebst dem Präsi­denten des Umwelt­bun­desamts Dirk Messner haben Sympa­thien für den Protest geäußert. Der Bundes­mi­nister für Justiz, Marco Buschmann hält dagegen. Aber auch der Partei­freund von Lemke und Landwirt­schafts­mi­nister Özdemir meldet Bedenken an.

Für Buschmann (FDP) ist es eine klare Sache. Auf Twitter teilte er mit:  „Ziviler Ungehorsam ist im deutschen Recht weder Recht­fer­ti­gungs- noch Entschul­di­gungs­grund“ und „Unange­meldete Demos auf Autobahnen sind und bleiben rechts­widrig. Protest ist ok, aber nur im Rahmen von Recht und Verfassung.“ So verständlich die Frustration über diese Protestform ist, durch diese pauschalen Äußerungen wird die Sache zur verfas­sungs­recht­lichen Grund­satz­frage. Und inzwi­schen melden sich auch Stimmen zu Wort, wie vor ein paar Tagen Professor Dr. jur. Tim Wihl, die zu Recht darauf hinweisen, dass der Fall rechtlich so einfach nicht ist.

Denn das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt räumt – spätestens seit seiner Entscheidung zu den Großde­mons­tra­tionen gegen Brokdorf – den Bürgern ein Recht auf öffent­lichen Protest ein, der nicht nur kommu­ni­kativ wirkt, sondern für Meinungen auch mit physi­schen Präsenz einstehen kann. Was Sitzblo­ckaden angeht, gibt es eine wechsel­volle Recht­spre­chung mit einem komplexen  Zusam­men­spiel von Straf­recht und Verfassungsrecht.

Zwar wird die Sitzblo­ckade, durch die ein Stau mehrerer Fahrzeuge entsteht, straf­rechtlich vom Bundes­ge­richtshof im Ergebnis als tatbe­stands­mäßige Nötigung angesehen. Dies wird vom Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt auch durchaus bestätigt.  Aller­dings ist es mit der Tatbe­stands­mä­ßigkeit allein im Straf­recht nicht getan. Hinzu­kommen muss für die Straf­barkeit noch die Rechts­wid­rigkeit und die Schuld für eine Tat. Bei der Rechts­wid­rigkeit gibt es ein Problem: Nur verwerf­liche Nötigungen werden als rechts­widrig angesehen. Und das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt sieht auch Sitzblo­ckaden in der Regel als verfas­sungs­rechtlich geschützte Versamm­lungen an. Sie können also durchaus gerecht­fertigt sein.

Wie so oft im Verfas­sungs­recht kommt es auf eine Abwägung der betrof­fenen Grund­rechte im Einzelfall an: Eine Rolle spielen dabei Aspekte wie die Inten­sität und Dauer der Behin­de­rungen oder der Sachbezug zwischen Anliegen der Demons­trie­renden und Protestform. Da es bei den Blockaden dieses Jahr meist um Protest gegen die Straf­barkeit des sogenannten „Contai­nerns“ als der Rettung von Lebens­mitteln aus dem Abfall von Super­märkten ging, spricht einiges dafür hier den Sachbezug abzulehnen. Auch das Festkleben auf der Fahrbahn könnte einen Anhalts­punkt für die Abwägung zuungunsten der Demons­trie­renden geben.

Letztlich sollten Demons­tranten aus eigenem Interesse darauf achten, das Wohlwollen der Bevöl­ke­rungs­mehrheit nicht aufs Spiel zu setzen. Insofern hatte Cem Özdemir wohl recht, dass solche Protest­formen „dem gemein­samen Ziel schaden“ können. Bleibt abzuwarten, ob er als neuer Landwirt­schafts­mi­nister die von Bauern bereits angekün­digten, den Verkehrs­fluss mindestens ebenso behin­dernden Stern­fahrten gegen Umwelt­schutz­be­stim­mungen mit der gleichen Vehemenz kriti­siert, wie die Proteste der Klima­schützer (Olaf Dilling).