Unter Juristen wird zur Zeit häufig über die Frage diskutiert, ob die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie rechtsstaatlich korrekt zustande gekommen seien. Insbesondere, ob die Exekutive ohne klare Erlaubnis des Gesetzgebers (in Frage kommt am ehesten der eher unbestimmte § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG) so einschneidende Grundrechtsbeschränkungen beschließen dürfe. Für Nicht-Juristen erscheint das vermutlich weltfremd. So als würde die Besatzung der Titanic Zeit verlieren über der Frage, ob der Kapitän oder der Steuermann den Befehl zum Einsetzen der Rettungsboote geben soll. Solange es sich um vorläufige Maßnahmen handelt, sollten insofern auch Verfassungsrechtler angesichts der drohenden Notlage mal ein Auge zudrücken können.
Auf neue Regeln mit Spitzfindigkeiten zu reagieren und mögliche Lücken auszuloten, ist aber keine exklusive Eigenschaft von Anwälten. Meine Töchter jedenfalls hatten angesichts der bundesweiten Ausgangsbeschränkungen, die vor zwei Tagen verkündet wurden sofort Fragen: Ob es, wenn man sich mit mehreren Freunden nicht gleichzeitig verabreden dürfe, sie dann noch nacheinander treffen könne und ob das dann nicht genauso riskant sei. Als Antwort bekamen sie den vagen Hinweis, dass es mit einiger Mühe möglich sei, fast alle Regeln zu umgehen, aber dass es diese Mühe in den meisten Fällen nicht wert sei. Vor allem dann, wenn die Regeln ohnehin einem nachvollziehbaren Zweck dienen würden.
Neben der Einschränkung, mehrere Personen zu treffen, die nicht zum gleichen Haushalt oder zur eigenen Familie gehören, beinhalten die Ausgangsbeschränkungen noch eine weitere wichtige Regel: Es muss in der Öffentlichkeit ein Mindestabstand von 1,5 m, besser 2 m gehalten werden. Auch hier stellen sich Fragen, allerdings eher praktischer Natur. Denn tatsächlich bieten viele öffentliche Bürgersteige gar nicht den erforderlichen Platz, um entsprechende Abstände einzuhalten. Das mag aktuell ein eher untergeordnetes Problem sein und irgendwie werden sich die Passanten arrangieren können, notfalls indem sie kurzzeitig zwischen parkende Kfz oder die ohnehin zur Zeit eher leeren Fahrbahnen treten. Aber wenn der Alltag trotz Corona irgendwann wieder reibungloser funktionieren soll, müsste hier Abhilfe geschaffen werden.
Dies betrifft vor allem das Gehwegparken. Zum Teil wird es von den Vollzugsbeamten geduldet. Zum Teil wird es sogar per Verkehrsschild oder durch Markierungen nach § 12 Abs. 4a StVO bzw Anlage 3 Zeichen 315 der StVO angeordnet. Das war allerdings auch schon vor der Pandemie nur dann zulässig, wenn für den unbehinderten Begegnungverkehr unter Fußgängern auch bei Benutzung von Kinderwagen oder Rollstühlen noch ausreichend Platz bleibt (VwV zu Anlage 2 lfd. Nummer 74 StVO).
Als minimal erforderliche Gehwegbreite in Wohnstraßen wird nach den einschlägigen Richtlinien der Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen 2,50 m angenommen. Bei gemischter Nutzung, also Straßen, in denen auch Geschäfte oder Lokale besucht werden, und Passagiere an Haltestellen des öffentlichen Verkehrs warten, ist die Empfehlung, eher 4 – 5 m Restbreite des Gehwegs zu lassen. Angesichts des Ansteckungsrisikos durch das Corona-Virus sollte darauf nun idealerweise noch zusätzlich 1,5 m Sicherheitsabstand eingeplant werden. Das mag angesichts des aktuellen Stands der Straßennutzung illusorisch erscheinen. Aber zumindest kurzfristig lässt es sich durch Parkverbote auf Gehwegen und mittelfristig durch Umwidmung von Fahrbahnen in Geh- und Fahrradwege durchsetzen (Olaf Dilling).
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