Ein Pauken­schlag kurz vor Weihnachten: Die nieder­län­dische Stiftung Urgenda gewann mit Urteil vom 20.12.2019 auch in letzter Instanz vorm Hoge Raad ein Klage­ver­fahren gegen die Nieder­lande (19/00135, Urteil auf nieder­län­disch gibt es hier). Mit dem vom letztints­tanz­lichen Gericht bestä­tigten Urteil werden die Nieder­lande verur­teilt, bis zum Jahr 2020 eine Treib­haus­re­duktion von mindestens 25% gegenüber dem Stand von 1990 zu reali­sieren. Rechts­grundlage für diese Verur­teilung sind die Art. 2 und Art. 8 der Europäi­schen Menschen­rechts­kon­vention (EMRK). Der Klima­wandel sei geeignet, die nieder­län­di­schen Kläger ihn Hinblick auf Leben und Wohlbe­finden ernsthaft zu beeinträchtigen.

Auch die Bundes­re­publik Deutschland ist Vertrags­staat der EMRK. Trotzdem ist ein paral­leler Erfolg in Deutschland kaum absehbar. Dies liegt nicht etwa daran, dass deutsche Richter Klima­schutz weniger wichtig fänden als Nieder­länder. Dies zeigt ein Blick auf die erste entschiedene deutsche Klima­klage, die das Verwal­tungs­ge­richt (VG) Berlin mit Urteil der 10. Kammer vom 31. Oktober 2019 (VG 10 K 412.18) abgewiesen hat (hierzu schon hier). Inzwi­schen liegt auch die Urteils­be­gründung vor, in der – so schnell kann das manchmal gehen – in Rdnr. 51 noch darauf verwiesen wird, dass auch in den Nieder­landen der Gesetz­geber nicht zum Geset­zes­erlass verpflichtet werden könnte. Quelle hierfür ist natürlich noch nicht das Urteil in Sachen Urgenda, sondern die Stellung­nahme des General­an­walts in diesem Verfahren vom 13.09.2019.

Anders als die nieder­län­dische Klage stützt sich die deutsche Klage nicht auf die EMRK. Green­peace und die klagenden Bauern beriefen sich auf das in einem Kabinetts­be­schluss nieder­ge­legte deutsche Klima­schutzziel, bis 2020 die deutschen Emissionen um 40% gegenüber 1990 zu reduzieren, weiter auf die Lasten­tei­lungs­ent­scheidung der EU, mit der jedem Mitglied­staat – auch der Bundes­re­publik – Minde­rungs­ver­pflich­tungen bis 2020 zugewiesen wurden, und auf die Grund­rechte der Kläger. Hätten die sich besser auf die EMRK gestützt? Nein, in der EMRK steht auch nicht mehr drin, als in den deutschen Grundrechten.

Warum hat es dann aber in den Nieder­landen funktio­niert und in Deutschland nicht? Zunächst ist die Ausgangslage eine ganz andere: Deutschland wird wohl voraus­sichtlich zumindest 32% Minderung reali­sieren. Das sind 8% weniger als das avisierte Ziel von 40%. Die Nieder­lande verfehlen aber selbst die 25%, die Urgenda nun einge­klagt hat. Abseits der Frage, wer hier was zu beurteilen hat: Wir sprechen von vornherein über ein ganz anderes Niveau geschei­terter Bemühungen.

Dieser Unter­schied ist auch nicht rein quanti­tativ. Denn auch das VG Berlin hat in seiner Entscheidung vom 31.10.2019 nicht jeden recht­lichen Ansatz­punkt abgelehnt, sondern durchaus betont, dass staat­liche Schutz­pflichten bestehen könnten. Diese sind prinzi­piell auch verlet­zungs­fähig, aller­dings wäre dies nur dann anzunehmen, wenn die staat­lichen Bemühungen von vornherein völlig aussichtslos und ungeeignet wären, also etwa statt der Förderung Erneu­er­barer Energien auf öffent­liche Gebete und Trank­opfer gesetzt würde. Dies gilt in Deutschland aber nicht: Die Bemühungen mögen voraus­sichtlich nicht ausreichen, um eine Minderung von 40% zu reali­sieren, aber das Ziel von 40% aus einem Kabinetts­be­schluss ist nicht verbindlich, und  die Lasten­tei­lungs­ent­scheidung lässt es ausdrücklich zu, Minde­rungs­ver­pflich­tungen nicht durch eigene Einspa­rungen, sondern durch Zukauf von Minde­rungen in anderen EU-Staaten zu erfüllen.

Dass die zweite Instanz die Sache anders sieht, wäre für die deutsche Klage damit eher überra­schend, aber vermutlich geht es den Klägern auch gar nicht um ein statt­ge­bendes Urteil, sondern um die Aufmerk­samkeit der Öffent­lichkeit für den Klima­schutz (Miriam Vollmer).