Grundkurs Energie: Worüber wir reden, wenn wir über Redispatch reden
Haben Sie bestimmt auch in der Zeitung gelesen: Die Bundesnetzagentur (BNetzA) hat gestern die Zahlen zu Redispatch und Einspeisemanagement für 2017 vorgelegt. 1,4 Mrd. EUR wurden 2017 ausgegeben, um über diese Maßnahmen das Stromnetz zu entlasten, wovon rund 400 Mio. auf Redispatch entfielen. Diese Gelder gehören zu den Netzkosten, weil sie dazu dienen, das Stromnetz zu stabilisieren, und werden deswegen über die Netzentgelte auf die Letztverbraucher umgelegt. Insgesamt geht es um 18.455 GWh. Im Vorjahr 2016 reichten noch 11.475 GWh.
Aber was ist Redispatch eigentlich? Und warum wird es immer teurer?
Das Stromnetz ist eine physikalische Struktur. Vereinfacht handelt es sich um dicke Seile aus Kupfer, die im Boden vergraben werden oder ummantelt mit isolierendem Kunststoff an Masten hängen. Kupfer leitet Strom sehr gut. Man kann sich das so ein bisschen wie eine große Rutsche vorstellen: Am Kraftwerk springen lauter kleine Elektronen in das Kabel, also mitten zwischen die Kupferatome, und wenn das ganze Kupferkabel voller Elektronen ist, drängen sie an der anderen Seite wieder heraus. Da ist dann beispielsweise dieser Computer angeschlossen, an dem ich sitze.
Wenn zu wenig Elektronen ins Netz drängeln, kommt hinten kein Strom. Dann bricht das Netz zusammen. Der Strom fällt aus. Das bedeutet, dass immer gleich viel Strom im Netz sein muss. Es muss also in jedem Moment von allen Erzeugungsanlagen genau so viel Strom in die Kabel gedrückt werden, wie auf der Verbraucherseite entnommen wird. Nun ist das Netz aber ein Netz und nicht ein riesiger unterirdischer Kupferteich (auch wenn man bildlich oft vom „Stromsee“ spricht). Das Netz ist nicht überall gleich dick, es gibt unterschiedliche Spannungsebenen und die Struktur ist für eine relativ ortsnahe Belieferung konzipiert und Transport über lange Strecken ist deswegen nur für relativ geringe Mengen möglich. Plakativ gesagt: Die Kabel sind einfach nicht dick genug.
Nun sind Erzeugungsanlagen nicht gleichmäßig verteilt. Im Norden drängt mehr Windkraft ins Netz. Im Süden stehen eher Kernkraftwerke oder Kohlekraftwerke. Und auch die Verbraucher sind natürlich nicht immer dort, wo gerade viel erzeugt wird. Sofern gerade Strom fehlt, um die Netze aufrechtzuerhalten, beschaffen die Netzbetreiber Reservestrom, also Regelenergie. Aber wenn es darum geht, dass der Strom gerade woanders eingespeist wird, als dort, wo man ihn braucht, greift das Redispatch. Unter Redispatch versteht man Maßnahmen, bei denen einem Kraftwerk aufgegeben wird, mehr zu produzieren, als sein Betreiber eigentlich vorhatte. Und dafür ein anderes Kraftwerk weniger erzeugt als – wie üblich – vom Betreiber am Vortag angemeldet.
Die Kraftwerke in Deutschland produzieren nämlich nicht alle gleichzeitig und immer. Ihre Betreiber sind Unternehmen, sie erzeugen Strom nur dann, wenn es sich finanziell lohnt. Ob das der Fall ist, richtet sich nach den Strompreisen. Sind die Erzeugungskosten eines Kraftwerks höher als der Strompreis, wird es nicht angefahren. Davon ausgenommen sind vor allem Erneuerbare Energien: Sie genießen den sogenannten Einspeisevorrang und erhalten feste Preise bzw. werden direktvermarktet und bekommen einen Zuschlag.
Aus diesem Mechanismus ergeben sich die angefallenen Kosten: Denn natürlich hatten die Kraftwerksbetreiber gute, wirtschaftliche Gründe, wieso ihre Kraftwerke laufen bzw. nicht laufen sollten. Wenn ein Kraftwerk eigentlich nicht wirtschaftlich produziert hätte, kann man den Betreiber schlecht auf seinem Verlust sitzen lassen, wenn er gezwungen wird, die Anlage nun doch laufen zu lassen. Er erhält also eine Art Auslagenersatz. Leider umfasst dieser nur im Wesentlichen Brennstoffkosten, Anfahrtkosten und die Glattstellung des Bilanzkreises für den, der nicht laufen darf, aber weitere, wichtige Kostenpositionen sind nicht abgedeckt. Ein gutes Geschäft ist das für die Betroffenen damit nicht.
Dieser Mechanismus allein erklärt aber noch nicht, wieso diese Kosten in den letzten Jahren steigen. Generell vermutet man, dass die Verlagerung und die stärker schwankenden Strommengen wegen des Ausbaus der Erneuerbaren Energien im Norden hier die tragende Rolle spielen. Denn deswegen wächst die Entfernung von Erzeugung und Verbrauch, was wegen der unzureichenden Übertragungskapazitäten, also der allzu dünnen Kabel, Eingriffe erforderlich macht. Außerdem verschwinden mit den Kernkraftwerken erhebliche Erzeugungskapazitäten aus dem Markt vor allem im Süden. Zumindest für 2017 ist die Antwort aber wohl deutlich differenzierter. Offenbar sind im ersten Quartal 2017 in Frankreich konventionelle Kraftwerke ausgefallen, so dass viel deutscher Strom importiert wurde. Gleichzeitig gab es wenig Wind und Sonne. Wird im Norden wenig eingespeist, im Süden mehr entnommen, strapaziert das das Stromnetz erheblich. Zusammen mit den genannten Effekten führte das zu den Zuwächsen.
Wie man diese Kosten wieder reduziert? Die Übertragungsnetze müssten kräftig ausgebaut werden. Je dicker die Kupferkabel sind, um so mehr Elektronen können von Norden nach Süden reisen. Und damit sind Eingriffe wie Redispatch künftig nicht mehr so oft nötig.