Vision Zero: Tod auf der Landstraße

Wie wie der Presse entnehmen konnten, ist am Dienstag ein Aktivist der Radfah­rer­szene gestorben, dessen Beiträge wir unter dem Pseudonym „Natenom“ gerne bei Twitter gelesen haben. Natenom war mit den Fahrrad auf der Landstraße auf Strecken von 50 bis 80 km am Tag unterwegs. Er fuhr auch im Winter und abends.

Er wies immer wieder darauf hin, welche Gefahren daraus resul­tieren, wenn Fahrrad­fahrer zu eng und zu schnell überholt werden. Zum Teil auch von Autofahrern, die sich darüber aufregen, dass sie die Fahrbahn nicht für sich haben und die dem Fahrrad­fahrer durch riskantes Überholen ein Denkzettel verpassen wollen.

Dabei gibt es gute Gründe, warum Natenom die Fahrbahn nicht nutzte. Oft gab es keinen Fahrradweg, manchmal war er nicht benut­zungs­pflichtig, weil er nicht per Verkehrs­zeichen angeordnet war, oder in einem Zustand, dass er nicht benutzbar war.

Wenn Natenom die Polizei auf das Fehlver­halten der anderen Verkehrs­teil­nehmer aufmerksam machte, dann wurde das in der Regel nicht verfolgt. Im Gegenteil wurde ihm nahe gelegt, seine Anzeigen sein zu lassen.

Natenom ist genau wegen dieser Misstände gestorben, die er täglich angeprangert hat. Er wurde von einem Kraft­fahrer von hinten überfahren und ist an seinen schweren Verlet­zungen gestorben. Es ist inakzep­tabel, dass immer noch so viele Fahrrad­fahrer auf deutschen Straßen sterben. Wenn sein Tod dazu führt, dass sich an der Infra­struktur etwas bessert und an der mangelnden Bereit­schaft, Regeln auf der Straße durch­zu­setzend, wäre das durchaus im Sinne von Natenom. (Olaf Dilling)

2024-02-02T09:33:24+01:002. Februar 2024|Kommentar, Verkehr|

Oppor­tu­ni­täts­prinzip: Das zugedrückte Auge des Gesetzes?

Rechts­staat­lichkeit kann manchmal gnadenlos sein. Umgekehrt ist Gnade oft Ausdruck von Willkür, die dem Rechts­staat fremd ist. Das gilt jeden­falls für das Straf­recht. Denn wo schwer­wie­gende Geset­zes­ver­stöße verübt werden, kann der Staat nicht anders als einschreiten.

Bei Ordnungs­wid­rig­keiten, also zum Beispiel Falsch­parken, aber aktuell auch Verstößen gegen Corona-Maßnahmen, ist das anders. Der Staat kann gegen die Rechts­ver­stöße vorgehen, muss dies aber nicht in jedem Fall. So besagt es das sogenannte Oppor­tu­ni­täts­prinzip, das in § 47 Abs. 1 Satz 1 des Ordnungs­wid­rig­keits­ge­setzes (OWiG) verankert ist. Demnach liegt die Verfolgung von Ordnungs­wid­rig­keiten im pflicht­ge­mäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde.

Für manche Ordnungs­be­hörden ist das Oppor­tu­ni­täts­prinzip eine feine Sache. Sie verstehen es in vielen Fällen sehr weit. Manchmal werden bestimmte Ordnungs­wid­rig­keiten über längere Zeit gar nicht verfolgt. Zum Beispiel aufge­setztes Falsch­parken auf Gehwegen.

Bürger, die sich darüber aufregen und entspre­chende Verstöße bei den Ordnungs­be­hörden anzeigen, werden mit dem Hinweis abgespeist, dass die Behörden gerade wichti­geres zu tun hätten. So ganz falsch ist das nicht. Denn genau das besagt das Oppor­tu­ni­täts­prinzip: Dass die Behörden selbst entscheiden können, wie sie ihre (zumeist) knappen Ressourcen einsetzen, um Recht und Ordnung durchzusetzen.

Aller­dings ist das Oppor­tu­ni­täts­prinzip auch kein Freibrief für Willkür. Etwa, wenn immer nur bestimmte Menschen wegen Ordnungs­wid­rig­keiten heran­ge­zogen werden und andere nicht. Oder wenn die vom Gesetz­geber beschlos­senen Regeln gänzlich leer zu laufen drohen, weil jahrelang bestimmte Ordnungs­wid­rig­keiten nicht verfolgt werden. Oder wenn per Runderlass eines Ministers oder Senators Regeln gesetzt werden, die geltendem Recht zuwider laufen. Das darf nicht sein, denn es geht ja, wie aus dem genannten § 47 OWiG hervorgeht, um pflicht­ge­mäßes, nicht etwa um freies Ermessen.

In einer Entscheidung des Bayri­schen Oberlan­des­ge­richts vom vorletzten Jahr wurde das schön auf den Punkt gebracht:

Gerade bei der Verfolgung von massenhaft im Straßen­verkehr began­genen Ordnungs­wid­rig­keiten seien die vorhan­denen gesetz­lichen Vorbe­wer­tungen zu beachten. Daraus folge, dass es etwa eine Gleichheit im Unrecht und ein hieraus abgelei­teter Anspruch auf Nicht­ver­folgung und damit Nicht­ahndung auch im Verkehrs­ord­nungs­wid­rig­kei­ten­recht nicht geben könne.

Das zeigt, dass die oft geäußerte Vorstellung, dass Fehlver­halten von den Behörden geduldet werde, im Rechts­sinne nicht zutreffend sein kann. Aber wie wir alle wissen, klaffen zwischen Rechtslage und Rechts­wirk­lichkeit oft erheb­liche Lücken (Olaf Dilling).

2021-03-11T00:08:27+01:0011. März 2021|Verkehr|

Verkehrs­recht: An- oder Bewohnerzonen?

Parkraum­be­wirt­schaftung gilt als ein wichtiges Instrument der Verkehrs­wende. Denn die Nutzung von öffent­lichem Raum durch parkende Kraft­fahr­zeuge ist bisher höchst ineffi­zient und verdrängt andere Verkehrs­arten. Zudem ist der Parkdruck in städti­schen Wohnquar­tieren in den letzten Jahrzehnten immer weiter angestiegen.

Neben Parkuhren ist das sogenannte „Anwoh­ner­parken“ eine Möglichkeit, um die Probleme zu entschärfen. Gemeint ist die Einrichtung von Zonen in Wohnge­bieten, in denen nur die Anwohner, bzw. Bewohner eines bestimmten Wohnge­bietes parken dürfen. Dafür können in dem betrof­fenen Viertel Parkver­bots­schilder aufge­stellt werden, die mit dem Zusatz versehen sind: Bewohner mit entspre­chendem Parkausweis frei.

Nun gibt es mit dem Bewoh­ner­parken ein recht­liches Problem: Die sogenannte „Präferenz- und Privi­le­gi­en­feind­lichkeit“ des derzei­tigen Straßen­ver­kehrs­rechts. Damit ist gemeint, dass der Gemein­ge­brauch grund­sätzlich allen zur Verfügung stehen soll. Das Bundes­ver­wal­tungs­ge­richt (BVerwG) hat 1998 daher in einer Grund­satz­ent­scheidung festge­stellt, dass das Anwoh­ner­parken unzulässig sein soll, wenn es zu einer flächen­de­ckenden oder mosaik­ar­tigen Einrichtung entspre­chender Zonen in Innen­städten kommt (BVerwG 107, 38 ff.). Begründet hat das BVerwG die Entscheidung mit der Ermäch­ti­gungs­grundlage für das per Rechts­ver­ordnung geregelte Anwoh­ner­parken im Straßen­ver­kehrs­gesetz: Der Gesetz­geber habe das Instrument in § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG als Ausnahme vorgesehen.

Das BVerwG war außerdem der Auffassung, dass aus dem Begriff des Anwohners eine enge räumliche Verbindung zwischen Wohnung und Pkw-Abstell­platz folge. Gemeint sei ein Nahbe­reich, der in aller Regel nicht mehr als zwei bis drei Straßen umfasse. Daraufhin wird heute offiziell von Bewoh­ner­parken gesprochen, wenn größere Zonen gemeint sind (auch wenn der alte Name umgangs­prachlich oft weiter verwendet wird). 

Kürzlich gab es wieder ein Gerichts­ver­fahren zu dem Thema, diesmal am Sächsi­schen Oberver­wal­tungs­ge­richt (OVG). Das OVG entschied, dass ein Bewoh­ner­park­be­reich in Leipzig zu groß dimen­sio­niert sei. Dabei gab es dem Antrag­steller im Eilver­fahren, einer Steuer­be­ra­ter­kanzlei, recht. Diese hatte sich auf die Verwal­tungs­vor­schrift zu § 45 StVO berufen, in der „auch in Städten mit mehr als 1 Mio. Einwohner“ eine maximale Ausdehnung von 1000 m vorge­sehen ist.

Nun ist notorisch umstritten, ob sich Bürger vor Gerichten auf Verwal­tungs­vor­schriften berufen können. Denn sie werden in der Regel nicht als formelles Recht einge­stuft, sondern sollen der Verwaltung als Ausle­gungs­hilfe dienen. Aller­dings fand das OVG Hinweise in den Geset­zes­ma­te­rialien zur Ermäch­ti­gungs­grundlage im StVG. Daraus wurde deutlich, dass bereits der Gesetz­geber eine entspre­chende Größen­be­grenzung geplant hatte (Olaf Dilling).

2020-11-18T12:34:11+01:0019. Oktober 2020|Allgemein|