Kühlhäuser als Strom­speicher? Das gibt es wirklich.

Die zuneh­mende Umstellung der Energie­ver­sorgung auf erneu­erbare Energien stellt die Energie­ver­sorgung künftig vor neue Heraus­for­de­rungen. Denn anders als bei der Strom­erzeugung aus klassi­schen Kraft­werken ist zumindest die erneu­erbare Energier­zeugung aus Windkraft und Sonne schwankend, was zu einem schwan­kenden Strom­an­gebot führen kann.

Als die Kanzler­kan­di­datin der Grünen Annalena Baerbock im Rahmen der Polit-Talkshow „Maisch­berger“ gefragt wurde, wie denn „das Netz“ künftig damit umgehen solle, kam die Sprache auch auf Kühlhäuser.

Wenn eine Kühlung bei einem riesen­großen Produ­zenten von minus 22 Grad in Zukunft dann auf minus 20 Grad runter­kühlt, dann ist das Hühnchen immer noch kalt, aber wir können an der Grundlast das Netz stabilisieren.“

Für diese Aussage ist Baerbock in den sozialen Medien teilweise heftig verspottet worden. Die Rede war dort schnell vom „Grund­lasthuhn“ und viele waren der Meinung, sie hätte dort Unsinn erzählt. Dem ist aller­dings nicht unbedingt so.

Die Idee ein schwan­kendes Strom­an­gebot unter anderem auch durch Kühlhäuser zu stabi­li­sieren gibt es schon länger.

Die Idee dahinter ist eigentlich relativ simpel. Kühlhäuser benötigen Strom zur Kühlung und dürfen eine bestimmte Tempe­ra­tur­grenze nicht übersteigen (z.B. ‑18 Grad Celsius) Darüber hinaus ist aber eine gewisse Tempe­ra­tur­spanne tolerabel und unschädlich. Kühlhäuser können somit ihr Abnah­me­ver­halten flexi­bi­li­sieren, in dem sie in Zeiten von Strom­über­an­gebot verstärkt Strom zur Kühlung heran­ziehen und unter Umständen stärker herun­ter­kühlen als es erfor­derlich wäre (z.B. ‑25 Grad Celsius) um dann aufgrund von Isolierung eine längere Zeit keine Nachkühlung zu benötigen. Während Sie gleich­zeitig in Zeiten von gerin­gerem Strom­an­gebot ihr Kühlver­halten etwas reduzieren – und „das Huhn trotzdem kalt bleibt“

Für den Betreiber ist das attraktiv, wenn der Strom­preis sich nach dem Angebot richtet und er insbe­sondere bei Strom­über­an­gebot den Kühlungs­strom besonders günstig beziehen kann. Es handelt sich dabei nur um ein Beispiel von vielen, den Energie­ver­brauch in Zukunft zu flexi­bi­li­sieren und einem schwan­kenden Angebot anzupassen ohne dabei auf den gewünschten Nutzen (hier die Kühlung von Lebens­mitteln) verzichten zu müssen.

Kühlhäuser als Strom­speicher, diese Idee existiert nicht nur auf dem Papier, sondern auch bereits in der Praxis – zum Beispiel in Bünting (Leer)Vielleicht doch nicht so dumm, das „Grund­lasthuhn“

(Christian Dümke)

2021-06-30T20:38:27+02:0030. Juni 2021|Erneuerbare Energien, Industrie, Strom|

Grundkurs Energie: Kapazi­täts­markt vs. Energy Only

Wenn Sie in der Energie­wirt­schaft arbeiten, können Sie für heute die Seite wieder schließen: Unter “Grundkurs Energie” werde ich in lockerer Reihe auf Fragen eingehen, die zum größten Teil von meinen Studenten an der Uni Bielefeld stammen, wo ich als Lehrbe­auf­tragte Jurastu­denten im Wahlschwer­punkt Umwelt­recht eine “Einführung in das Energie­recht” vermittele. Es geht also um Basics.

Wer anfängt, sich mit Energie zu beschäf­tigen, stößt schnell auf Debatten und Begriffe, die in der Tages­presse nur am Rande oder gar nicht vorkommen, die Branche aber stark beschäf­tigen. Zu diesen Themen gehört auch die künftige Ausrichtung des Strom­markts. „Kapazi­täts­markt oder Energy only“ lautet das Schlagwort. Was verbirgt sich also dahinter?

Die Ausgangslage ist eigentlich erfreulich. Der Anteil an Strom aus Erneu­er­baren Energien steigt. Das ist eine gute Nachricht fürs Klima. Doch der Ausbau hat eine nicht ebenso erfreu­liche Neben­wirkung: Die Erzeugung von Strom aus Erneu­er­baren Quellen schwankt stark, weil Sonne und Wind sich eben nicht genauso gut an- und abschalten lassen wie beispiels­weise die Gaszufuhr in einem Kraftwerk. Nun ist Strom aber nur sehr bedingt und zudem nur zu erheb­lichen Kosten speicherbar. Es müssen also ausrei­chend gut steuerbare, damit regel­mäßig fossil betriebene Kraft­werke her, die kurzfristig dann einspringen, wenn die momentane Nachfrage das Angebot an Erneu­er­baren übersteigt. Doch da für Erneu­er­baren Strom ein gesetz­licher Einspei­se­vorrang gilt, er also immer zuerst vom Netzbe­treiber abgenommen werden muss, kommen die Reser­ve­kraft­werke nur selten zum Zug.

Nun kostet ein Kraftwerk auch dann Geld, wenn es steht. Die Inves­ti­ti­ons­kosten müssen ebenso wie Perso­nal­kosten getragen werden. Es wird gewartet, es muss moder­ni­siert werden. Alle diese Kosten muss das Kraftwerk also auch wieder erwirt­schaften. Wird es aber nur für extrem geringe Mengen aufge­rufen, werden diese Reser­ve­strom­mengen nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage absurd teuer.

Solange diese Kraft­werke überhaupt – und sei es in einer einzigen Stunde pro Jahr – ihre Kosten und eine gewisse Marge erwirt­schaften, funktio­niert der Markt grund­sätzlich, auch wenn die Preis­spreizung natur­gemäß grotesk anmutet. Aber der Betreiber der Anlage verdient Geld, bleibt also am Netz, und die Versorgung mit Strom ist damit stets gewähr­leistet. Da dieses Markt­modell nur Strom vergütet, nennt man es „Energy only“.

Doch für den Betreiber dieser selten aufge­ru­fenen Kraft­werke ist das Risiko faktisch groß, gar nicht aufge­rufen zu werden. Außerdem werden die Erneu­er­baren Energien weiter ausgebaut, er wird also immer seltener gebraucht. Doch auch ein Kraft­werks­be­treiber lebt nicht von Luft und Liebe. Er könnte also den Kraft­werks­be­trieb einstellen (müssen), was die Versor­gungs­si­cherheit wiederum verschlechtern würde. Deswegen geistert seit einigen Jahren die Idee durch den Raum, die Vorhal­te­kosten für diese Kraft­werke nicht über die – geringen – Strom­mengen abzugelten. Sondern einen Markt für die eigent­liche Leistung dieser Kraft­werke zu vergüten, nämlich die Bereit­stellung einer gewissen Kapazität. Die Kraft­werke verkaufen dann also nicht mehr Strom, sondern – wenn man so will – die Sicherheit, dass Strom immer fließt.

Derzeit existiert ein solcher Markt nicht. Der Gesetz­geber hat sich 2016 mit dem Strom­markt­gesetz statt dessen für andere Möglich­keiten entschieden, ausrei­chend Reserven sicher­zu­stellen: Die Netzre­serve nach § 13d EnWG, die das Nord-Süd-Gefälle im Winter ausgleichen soll. Diese besteht teilweise aus Kraft­werken, die die Betreiber still­legen wollen, denen dies wegen ihrer System­re­levanz aber nicht gestattet ist, § 13b EnWG. Die (jüngst von der Kommission geneh­migte) Kapazi­täts­re­serve nach § 13e EnWG, in die nach Ausschreibung Kraft­werke überführt werden sollen, die aus dem Strom­markt ausscheiden und den Übertra­gungs­netz­be­treibern vor ihrer endgül­tigen Still­legung als Rückfall­option für Strom­flauten dienen. Die Braun­koh­le­re­serve nach § 13g EnWG, die ebenfalls auf eine endgültige Still­legung der teilneh­menden Kraft­werke abzielt. Doch obwohl die Zielrichtung dieser Maßnahmen auf vergleichbare Effekte wie der Kapazi­täts­markt abzielt, fehlt ihnen mindestens das Vermark­tungs­element auf der Basis von sich frei bildenden Preisen. Kapazi­täts­märkten im engeren Sinne erteilte der Gesetz­geber damit eine deutliche Absage.

Daran soll sich im Prinzip im künftigen Strom­markt­design bis 2030 nichts ändern. Im sogenannten Winter­paket, dessen ersten Entwurf die Europäische Kommission im November 2016 vorstellte, kommen Kapazi­täts­märkte nur in absoluten Ausnah­me­fällen und mit Auflagen vor. So sollen die Kapazi­täts­märkte gerade nicht dazu dienen, fossile Kraft­werke am Leben zu erhalten, indem ab 2025 nur solche Kraft­werke teilnehmen sollen, die pro kWh Strom nicht mehr als 550 g CO2 emittieren. Zum Vergleich: Ein braun­koh­le­be­trie­benes Kraftwerk im Konden­sa­ti­ons­be­trieb (d. h. ohne Wärme­aus­kopplung) emittiert mindestens 950 g CO2/kWh. Die Ausge­staltung dieser Regelungen ist aber noch ausge­sprochen umstritten. Erst Ende des Jahres sollen die für den künftigen europäi­schen Strom­markt über viele Jahre prägenden Regelungen stehen.

Sie haben auch eine Frage nach Grund­lagen des Energie­rechts, auf die ich in dieser Reihe eingehen könnte? Dann schreiben Sie mir

2018-04-10T09:53:20+02:0010. April 2018|Allgemein, Erneuerbare Energien, Grundkurs Energie, Strom|