Radweg­be­nut­zungs­pflicht zugunsten der Leich­tigkeit des Verkehrs

Eine Zeitlang war es eine Art sport­licher Übung von Fahrrad­ak­ti­visten, die Benut­zungs­pflicht von Fahrrad­wegen rechtlich anzufechten. Und tatsächlich war es in einer großen Zahl der Fälle auch erfolg­reich (und ist es weiterhin). Schließlich wurde das auch vom BVerwG bestätigt. Denn die sehr hohen Anfor­de­rungen, die das deutsche Straßen­ver­kehrs­recht an die Begründung von Beschrän­kungen des Verkehrs stellt, die müssen auch dann gelten, wenn es um die Beschränkung des Radver­kehrs geht.

Nun erscheinen Fahrradwege zunächst einmal ein Vorteil für viele Fahrrad­fahrer. Denn gerade Kinder oder ältere Leute fühlen sich auf Fahrrad­wegen, also getrennt vom Kfz-Verkehr wesentlich sicherer. Objektive Statis­tiken zeigen aller­dings, dass diese Sicherheit oft trüge­risch ist. Viele Unfälle passieren oft eher an Kreuzungen als beim Überholen an geraden Strecken. An Kreuzungen sind Fahrrad­fahrer, die auf dem Radweg fahren, nämlich oft weniger sichtbar. Daher kommt es entgegen dem ersten Anschein häufig sogar zu einer Gefahr­er­höhung durch die Benutzungspflicht.

Fahradpiktogramm auf Asphalt mit Linksabbiegepfeil

Aufgrund der Gefahren für die Verkehrs­si­cherheit lässt sich die Benut­zungs­pflicht insofern oft schlecht recht­fer­tigen. Aller­dings gibt es noch einen anderen, nahelie­genden Grund dafür. Im Misch­verkehr kann es zur Behin­derung von Kfz kommen, die dann jeden­falls bei Tempo 50 beständig Radfahrer überholen müssen, um mit vorge­se­hener Geschwin­digkeit unterwegs zu sein. Das heißt, dass es im Misch­verkehr zu einer Beein­träch­tigung der Ordnung, insbe­sondere der Leich­tigkeit, des Verkehrs kommt. In einem Gerichts­ver­fahren in Nieder­sachsen wurde dies nun vom dortigen Oberver­wal­tungs­ge­richt (OVG) ausdrücklich anerkannt

Betroffen war eine Straße mit hoher Frequen­tierung (13.000 Kraft­fahr­zeuge pro Tag) und zuläs­siger Geschwin­digkeit von 50 km/h. In der relevanten Fahrt­richtung war nur eine Fahrspur mit einer Fahrbahn­breite von 2,50 m und aufgrund eines längeren Kurven­be­reich ist das Überholen aufgrund der Unüber­sicht­lichkeit nur einge­schränkt möglich. Hier war das Gericht der Auffassung, dass Gefahr eines Rückstaus bestünde oder gefähr­liche Überhol­ma­növer provo­ziert werden könnten.

Worüber die Gerichte bisher nicht entschieden haben, ist die Frage, ob die mangelnde Kapazität eines zu schmalen oder mit dem Fußverkehr zusammen geführten Radwegs auch ein Grund sein kann, Parkstände oder eine von mehreren Kfz-Spuren in einen geschützten Radfahr­streifen umzuwandeln. Dies wird häufig von der Verwaltung verweigert, da hier keine Gefah­renlage gesehen wird und dabei ausschließlich auf die Unfall­sta­tistik verwiesen wird. Nach der Logik des Gerichts dürften aber regel­mäßige Staus oder stockender Verkehr auf dem Radweg zu Stoßzeiten auch ein Grund sein, um gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 9 Satz 4 Nr. 3 2. Alt. StVO einen Radfahr­streifen anzuordnen. Immerhin ist hier sogar nur eine einfache Gefah­renlage gefordert. (Olaf Dilling)

2024-09-12T08:48:43+02:0011. September 2024|Allgemein, Rechtsprechung, Verkehr|

Streiks und Staus in Berlin und Toronto

Wenn, wie in den letzten Tagen, mal wieder ein Streik bei Bussen und Bahnen angekündigt wird, mögen manche sich glücklich über ein eigenes Fahrzeug schätzen. Vermutlich wohnen die dann aber nicht in Berlin. Hier führt Streik beim ÖPNV regel­mäßig auch zu Stau: Ein klares Zeichen, dass die paral­lelen öffent­lichen Infra­struk­turen von Schiene und Straße zusam­men­hängen wie kommu­ni­zie­rende Röhren. 

Leider werden diese Zeichen in Verkehrs­po­litik und Verkehrs­recht häufig übersehen. Statt den Ausbau eines Netzes von Fahrrad­wegen, Straßen­bahnen oder Busspuren voran­zu­treiben, kam nach dem Regie­rungs­wechsel zur großen Koalition in Berlin jeder bereits geplante einzelne Kilometer Fahrradweg wieder auf den Prüfstand. Vor allem sollten keine Parkplätze wegfallen. Der Straßen­bahnbau soll zwar in Fried­richshain und Mitte grund­sätzlich weiter­gehen, aber die Verkehrs­se­na­torin will sich nicht auf Termine zur Fertig­stellung festlegen. Was die Busspuren angeht, ist letztes Jahr eine in der Clay-Allee vom Verwal­tungs­ge­richt kassiert worden, weil die Linien­busse dort nicht oft genug pro Stunde fuhren. 

Wahrscheinlich wäre die effek­tivste Stauprä­vention ein gut vernetzter und zuver­läs­siger Umwelt­verbund, also die Kombi­nation aus Fuß‑, Fahrrad‑, Bus- und Bahnin­fra­struktur, mit ausrei­chend Redun­danzen, um Ausfälle aufzu­fangen. Dass dies tatsächlich wirkt, kann man bei Auslands­auf­ent­halten in Städten sehen, in denen es diese Alter­native zum Kfz-Verkehr nicht gibt. 

Zum Beispiel Toronto in Kanada, wo selbst nach Mitter­nacht noch Stau auf innen­städ­ti­schen Straßen zu beobachten ist. Da es im Prinzip nur eine Regio­nalbahn- und eine U‑Bahnlinie und ansonsten Busse und Straßen­bahnen gibt, die sich die Fahrbahn mit Kfz teilen, wirkt sich der Stau des Kfz-Verkehrs auch auf den ÖPNV aus: Auch die Straßenbahn steht einträchtig mit im Stau. Auch ein Beispiel für „Mitein­ander im Verkehr“…

Downtown Toronto mit Hochhäusern, dem Blick auf den Ontariosee bei Sonnenuntergang und einer mehrspurigen Schnellstraße.

Der Fußverkehr ist dann eine Alter­native, aller­dings keine besonders attraktive, denn er ist buchstäblich in den Unter­grund verlegt worden: Die Innen­stadt ist unter­mi­niert von einem labyrin­thi­schen Netzwerk von insgesamt mehr als 30 km Unter­füh­rungen, unter­ir­di­schen Food-Malls und Einkaufs­zentren, dem sogenannten PATH. Immerhin muss man dort nicht an jeder Ampel mehrere Minuten auf Grün warten. Daher sind die Fußgän­ger­tunnel und ‑hallen unter Toronto nicht nur bei Regen oder Schnee­sturm belebt. Das bringt immerhin Umsatz für die darüber liegenden Kaufhäuser, die ihre Angebote daher weitgehend in den Keller verlegt haben. (Olaf Dilling)

 

2024-02-29T17:22:14+01:0029. Februar 2024|Allgemein, Kommentar, Verkehr|

Straßen­blo­ckaden als legale Protestform?

Straßen­blo­ckaden sind ein von Protes­tie­renden gern genutztes Mittel im politi­schen Meinungs­kampf. Davon betroffene Autofahrer sind davon in der Regel weniger begeistert. Wie legitim und legal Straßen­blo­ckaden sind, wird angesichts der Bauern­pro­teste auch dieses Jahr wieder heiß disku­tiert. Nachdem im letzten Jahr ausgiebig die Proteste der letzten Generation sowohl in der Presse auch in Gerichts­sälen thema­ti­siert worden waren, zeigen sich nun sowohl Gemein­sam­keiten als auch Unter­schiede in der Beurteilung.

Aktuell zeigt eine Eilent­scheidung des Oberver­wal­tungs­ge­richts (OVG) Berlin-Brandenburg, dass Straßen­blo­ckaden, auch wenn sie über einen längeren Zeitraum andauern, nicht per se verboten oder gar kriminell sein müssen. Ausgangs­punkt war die geplante Blockade von sechs Autobahnab- und ‑zufahrten in Brandenburg durch Landwirte, die gegen den Abbau von Subven­tionen und Steuer­erleich­te­rungen protes­tieren wollen. Die zuständige Behörde hatte den Versamm­lungs­leitern Auflagen erteilt, u.a. sollten die Blockaden im 30-minütigen Wechsel zwischen Blockade und Freigabe stattfinden.

Das VG hat im Eilver­fahren die aufschie­bende Wirkung des Wider­spruchs wieder­her­ge­stellt. Die Beschwerde des Antrag­gegners vor dem OVG blieb ohne Erfolg. Das OVG begründete seine Entscheidung mit der Bedeutung der Versamm­lungs­freiheit gemäß Art. 8 GG. In der Abwägung dürfe die Leich­tigkeit des Straßen­ver­kehrs, insbe­sondere die Aufrecht­erhaltung eines gewissen Verkehrs­flusses zwar nicht völlig zurück­stehen. Angesichts einer angemel­deten Dauer von 7 Stunden und einer Sicher­stellung der Durch­fahrt von Polizei, Feuerwehr und Rettungs­fahr­zeugen sei die Gefahr erheb­licher Einschrän­kungen von der Antrags­gegner nicht hinrei­chend dargelegt worden. Denn es stünden ausrei­chend Bundes- und Landes­straßen zur Verfügung auf die ausge­wichen werden könne.

Auch im Zusam­menhang mit Klima­pro­testen haben einige Gerichte klarge­stellt, dass nicht jede Straßen­blo­ckade strafbar sei. Der Tatbe­stand der Nötigung erfordere eine einzel­fall­be­zo­genen Würdigung aller Tatum­stände, so etwa das Kammer­ge­richt Berlin. Aller­dings wurde schon bei weitaus weniger einschnei­denden und dauer­haften Blockaden eine Straf­barkeit angenommen. An sich ist verständlich, dass das OVG die Versamm­lungs­freiheit angesichts ihres Verfas­sungs­rangs stark gewichtet. Aller­dings muss dies dann für alle Protes­tie­renden unabhängig von ihren politi­schen Anliegen gelten. (Olaf Dilling)

2024-01-10T13:02:21+01:0010. Januar 2024|Allgemein, Kommentar, Rechtsprechung, Verkehr, Verwaltungsrecht|