Zum Rückzah­lungs­an­spruch bei unwirk­samer Preis­gleit­klausel: Zu BGH, Urteil vom 10.03.2021 (Az.: VIII ZR 200/18)

Die Proble­matik ist bekannt: Nach langen Jahren des reibungs­losen Versor­gungs­ver­hält­nisses meldet sich der Abnehmer eines Liefer­ver­hält­nisses beim Versorger und wider­spricht einer Preis­an­passung. Argument: Die Preis­gleit­klausel sei unwirksam. Für die Zukunft will der Kunde die erhöhten Preise nicht zahlen. Für die Vergan­genheit verlangt er Rückzahlung angeblich überhöhter Beträge. Sofern er recht hat und die Preis­gleit­klausel wirklich unwirksam ist, stellt sich damit die Folge­frage: Für welche Vergan­gen­heits­zeit­räume kann er zu viel gezahlte Beträge zurück­fordern? Schließlich beruhen alle über den Ursprungs­preis hinaus geflos­senen Beträge auf einer unwirk­samen Klausel und sind mithin ohne Rechts­grund geflossen. Mit dieser Frage und mit der Frage nach dem Mindest­inhalt eines Wider­spruchs hat sich im März erneut der Bundes­ge­richtshof (BGH) beschäftigt.

In dem am 10. März 2021 entschie­denen Verfahren geht es um Fernwär­me­ent­gelte. Einen schrift­lichen Vertrag gab es nicht, der klagende Kunde war also Entnah­me­kunde. Er schuldete damit nach § 2 Abs. 2 AVBFern­wärmeV den üblichen Preis des Versorgers für gleich­artige Versor­gungs­ver­hält­nisse, die dieser alle sechs Monate anpasste. Nach mehreren Jahren vorbe­halt­loser Zahlung, meldete sich der Kunde am 15. Juni 2013, wider­sprach aber in diesem ersten Schreiben nur dem aktuellen Arbeits­preis 2013 und stellte die gefor­derten Abschläge ein. 2014 wieder­holte er seine Vorbe­halte, wider­sprach nun erst auch allen Preis­an­pas­sungen bis zurück ins Jahr 2010 und machte Rückzahlung geltend.

In Hinblick auf die Preis­be­stim­mungen selbst hatte der Kunde den richtigen Riecher: Sie erwiesen sich wegen Verstoß gegen § 24 Abs. 4 AVBFern­wärmeV  als unwirksam (BGH, Urt. v. 18.12.2019, Az.: VIII ZR 209/18). Doch für welche Zeiträume musste nun der Versorger Geld zurück­zahlen? Der BGH bleibt in seiner Entscheidung zunächst bei den bewährten drei Jahren. Dies stützt er auf ergän­zende Vertrags­aus­legung gemäß §§ 157, 133 BGB, da es immer dann, wenn eine Preis­gleit­klausel unwirksam ist, eine ausfül­lungs­be­dürftige  Lücke gebe. Damit war klar: Preis­an­pas­sungen für 2011, 2012 und 2013 hatte der Kunde 2014 recht­zeitig wider­sprochen. Doch was war mit der Preis­an­passung 2010? Der Versorger argumen­tierte, dass dieser Preis­an­passung 2014 zu spät wider­sprochen worden war. Zu diesem Zeitpunkt war die Preis­gleitung 2010 ja mehr als drei Jahre her. 2013 dagegen war der Dreijah­res­zeitraum zwar noch nicht verstrichen, aber der Kunde hatte nur den aktuellen Preisen 2013 wider­sprochen, nicht der Preis­an­passung drei Jahre zuvor.

Dieses Argument überzeugte den 8. Senat indes nicht. Nach Ansicht der Richter reicht es, dass wider­sprochen wurde. Die Begründung des Wider­spruchs sei gleich­gültig, es sei auch unerheblich, ob nicht nur aktuelle, sondern auch frühere Preis­er­hö­hungen beanstandet würden. Dies aller­dings ist mindestens überra­schend. Der Senat meint, dass es reiche, „dass der Kunde dem Energieversorger gegenüber zum Ausdruck bringt, er beanstande den derzeit gefor­derten (aktuellen) Preis der Höhe nach.“. Dies stützt er auf die ergän­zende Verrags­aus­legung, der er bereits die Begrenzung auf drei Jahre entnommen hat. Im Ergebnis reicht also irgendein Widerspruch.

Paragraf, Waage, Recht, Gesetz, Justiz, Gerechtigkeit

Uns nimmt dieser Gedan­kengang letztlich nicht mit. Ergän­zende Vertrags­aus­le­gungen sind als Ausdruck dessen, was Parteien geregelt hätten, immer auch ein Stück weit speku­lativ. Aber  wenn ein Kunde ganz klar zum Ausdruck gebracht hat, was er warum bemängelt, ist aus unserer Sicht schon das Bestehen einer ausfül­lungs­be­dürf­tigen Lücke fraglich. Doch wer sind wir, wenn Karlsruhe bereits gesprochen hat: Unter­nehmen müssen sich darauf einstellen, dass jede Form von Wider­spruch gegen Preise sich auf jede Preis­an­passung in den letzten drei Jahren bezieht (Miriam Vollmer).

Sie inter­es­sieren sich für Neuerungen und Neuig­keiten rund um den Vertrieb von Strom, Gas und Wärme? Wir schulen am 2. September 2021, 10.00 Uhr bis 16.00 Uhr, EUR 400 zzgl. USt., Infos und Anmeldung finden Sie hier oder per E‑Mail an office@re-rechtsanwaelte.de

2021-08-02T17:35:42+02:0030. Juli 2021|Gas, Strom, Vertrieb, Wärme|

Das GASAG-Urteil des BGH: Rekom­mu­na­li­sierung am Ende?

Das Land Berlin hat in letzter Instanz vorm Bundes­ge­richtshof (BGH) den Rechts­streit um das Berliner Gasnetz verloren (wir berich­teten gestern). Das Gasnetz hier in Berlin wird also auch zukünftig die GASAG betreiben.

Nun scheitern nicht ganz wenige Städte beim Versuch, den Zuschlag für das Energie­netz­be­trieb an eigene, kommunale Unter­nehmen zu vergeben. Doch die Entscheidung des BGH ist für die Kommu­nal­wirt­schaft besonders schmerzhaft: Das BGH hat nämlich nicht wegen handwerk­licher Fehler das Verfahren aufge­hoben, sondern die Vergabe an den Landes­be­trieb für rechts­widrig erklärt, weil der nicht ausrei­chend wirtschaftlich leistungs­fähig sei. Der Landes­be­trieb ist nämlich ganz neu, er hat bisher weder die Struk­turen noch das Personal der bishe­rigen Netzbe­trei­berin. Er hätte diese Struk­turen erst dann aufgebaut, wenn er den Zuschlag bekommen hätte. Alles andere wäre ja auch das reine finan­zielle Harakiri: Die alte Netzkon­zession endete an sich Silvester 2013, seitdem hängt das Verfahren vor Gericht. Das Land hätte also, denkt man dieses Argument, einen voll ausge­rüs­teten Betrieb über acht Jahre ohne Einnahmen unter­halten müssen, um gemessen an diesem Maßstab „wirtschaftlich leistungs­fähig“ zu sein.

Berliner Dom, Berlin, Stadt, Spree, Licht, Abend

Natürlich kann Berlin das nicht. Natürlich kann das auch keine andere Gemeinde. Es wäre wohl auch mit den Grund­sätzen einer ordnungs­ge­mäßen Haushalts­führung gar nicht vereinbar. Das aber heißt: Gemeinden, die ihr Strom- oder Gasnetz nicht schon selbst betreiben, können faktisch kaum ein eigenes kommu­nales Unter­nehmen gründen, das leistungs­fähig genug ist, sich im Konzes­si­ons­ver­fahren durch­zu­setzen. Sie brauchen immer mindestens einen erfah­renen Partner, der schon andernorts Netze betreibt.

Das ist eine schlechte Nachricht nicht nur für die Städte selbst. Die sogenannte „Rekom­mu­na­li­sierung“, die auf den Betrieb der Energie­netze durch städtische Gesell­schaften abzielt, ist keineswegs ein reines Presti­ge­projekt von Bürgermeister*innen und eitlen Lokalpolitiker*innen. Zum einen ist der Netzbe­trieb lukrativ. Bleibt das Geld in der Stadt, wird es von einer städti­schen Gesell­schaft entweder in der Stadt inves­tiert und finan­ziert die örtliche Energie­wende. Oder wird an die Stadt ausge­schüttet und verschafft den oft klammen Kommunen Spiel­räume für soziale oder kultu­relle Aufgaben. Aber hier geht es nicht nur um Geld. Kommunale Energie­ver­sorgung kann sehr unter­schiedlich aussehen. Natürlich gibt es auch viele Unter­nehmen in privater Hand, die die Energie­wende klug moderieren. Aber nur dann, wenn die Netze vor Ort von kommu­nalen Unter­nehmen betrieben werden, wird der Betrieb durch gewählte Vertreter*innen kontrol­liert und seine Eckpfeiler vor Ort demokra­tisch legiti­miert entschieden, und zwar nicht vermittelt durch Aktionär*innen, sondern durch die Bürge­rinnen und Bürger selbst, die die Mehrheiten vor Ort bestimmen. Dass das nun so erschwert wird, ist auch in Hinblick auf Art. 28 Abs. 2 GG mehr als bedau­erlich (Miriam Vollmer).

2021-03-16T19:00:21+01:0016. März 2021|Energiepolitik, Gas, Strom|

Wann ist Erzeugung dezentral?

Der § 18 der StromNEV gewährt bei Einspeisung ins Nieder­span­nungs- oder ins Mittel­span­nungsnetz ein Entgelt für den einspei­senden Anlagen­be­treiber, weil die Übertra­gungs­netze entlastet werden. Doch wann ist eine Anlage eine solche dezen­trale Erzeu­gungs­anlage? Hierzu hat sich der BGH am 27.10.2020 (Az.: EnVR 70/19) geäußert.

In der Entscheidung geht es um Block E des Kraft­werks Westfalen mit statt­lichen 764 MW Leistung. Der Block wurde 2014 in Betrieb genommen und war zunächst nur ans 380-kV-Höchst­span­nungsnetz angeschlossen. Erst 2016 kam ein zusätz­licher Anschluss ans 110-kV-Hochspan­nungs­ver­tei­lernetz der Netzbe­trei­berin und Antrags­geg­nerin im Verfahren hinzu. Seitdem speist der Block E in mehr als 90% der Betriebs­stunden ins Hochspan­nungsnetz, gleich­zeitig findet stets eine Mindestein­speisung von 50 MW ins Übertra­gungsnetz statt.

Die Netzbe­trei­berin verwei­gerte der Kraft­werks­be­trei­berin ab Januar 2017 die Entgelte für vermiedene Netzent­gelte für 2.117 GWh, die diese ins Verteilnetz einge­speist hatte. Darauf regte die Kraft­werks­be­trei­berin ein Missbrauchs­ver­fahren bei der Bundes­netz­agentur (BNetzA) an, das diese ablehnte. Hiergegen richtete sich die Beschwerde der Kraft­werks­be­trei­berin. Das OLG Düsseldorf wies die Beschwerde zurück, nun hat auch der BGH die Rechts­be­schwerde zurückgewiesen.

Wie schon das OLG Düsseldorf betrachtet auch der BGH Kraft­werke, die auch ins Übertra­gungsnetz einspeisen, nicht als dezen­trale Erzeu­gungs­anlage. Es sei erfor­derlich, dass eine Anlage ausschließlich ans Verteilnetz angeschlossen sei. Denn die Netzkosten durch Ausbau­ver­meidung sinken nur, wenn ausschließlich das Verteilnetz genutzt wird. Zudem beruhe § 18 StromNEV auf einer genera­li­sierten Fiktion, so dass der Vortrag, die Netzent­lastung finde tatsächlich statt, den BGH nicht überzeugt. Auch syste­ma­tische HInweise auf ältere Normver­sionen überzeugten den BGH ebenso wenig wie Vertrau­ens­schutz, weil 2016 für einige Monate vermie­denes Netzentgelt gezahlt wurde.

Im Ergebnis bleibt es dabei: Dezen­trale Erzeu­gungs­an­lagen dürfen nur an eine Netzebene angeschlossen sein (Miriam Vollmer)

2021-02-19T19:39:05+01:0019. Februar 2021|BNetzA, Strom|