Fernwär­me­preis­klauseln per Veröf­fent­li­chung: BGH vom 26.01.2022 (VIII ZR 175/19)

In der Vergan­genheit war es gängige Praxis: Die Kosten­struktur eines Fernwär­me­er­zeugers änderte sich, etwa wegen eines Brenn­stoff­wechsels. Nun musste er – siehe Bundes­ge­richtshof (BGH) vom 25. Juni 2013 (VIII 344/13) die Preis­gleit­klausel umgehend ändern. Die neue Klausel setzte er per Veröf­fent­li­chung gem. § 4 Abs. 2 AVBFern­wärmeV in Kraft. Doch mehrere Urteile von Land- und Oberge­richten hielten dies für rechts­widrig. Um Rechts­si­cherheit zu schaffen, ergänzte der Verord­nungs­geber 2021 dann den § 24 Abs. 4 AVBFern­wärmeV: Seitdem ist klar, wenn der Kunde der neuen Klausel nicht zustimmt, bleibt nur die Änderungskündigung.

Nun hat der BGH am 26. Januar 2022 (VIII ZR 175/19) entschieden und es stellt sich heraus: Anders als die Oberge­richte meinten, war die frühere Praxis recht­mäßig. Versorger konnten sehr wohl per Veröf­fent­li­chung Preis­gleit­klauseln ändern.

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Bisher liegen keine schrifl­tichen Gründe vor, aber in der mündlichen Verhandlung hat der Senat seine Ansicht erläutert: Wenn der Versorger seine Klauseln ändern muss, so muss man ihm diese Möglichkeit auch eröffnen. Denn der BGH möchte die oben skizzierte Situation, in der der Versorger nur noch per Änderungs­kün­digung reagieren kann, auf jeden Fall vermeiden. Dies begründet er mit einem Verbrau­cher­schutz­ar­gument: Die Änderungs­kün­digung sei inn Hinblick auf die an sich geltenden langen Laufzeiten schwierig. Die binden den Kunden aber nicht nur, sie sichern ihn auch ab, da er ja bei einer Kündigung durch den Versorger nicht ohne größere Umbauten auf andere Heizsysteme – wie Gas, Geothermie – umsteigen kann.

Soll also die Klausel angepasst, aber gleich­zeitig nicht gekündigt und vielleicht die Lieferung einge­stellt werden, muss – so der BGH – der Versorger irgendwie auch ohne den Kunden an die Klausel kommen. Denn eine Versorgung ohne Möglichkeit der Preis­an­passung sei proble­ma­tisch, weil dies die Leistungs­fä­higkeit des Versorgers gefährden kann. Zudem könnten auch Preis­sen­kungen so nicht korrekt weiter­ge­geben werden.

Schnee von gestern, weil der Verord­nungs­geber die AVBFern­wärmeV ja nun geändert und die Änderung per Veröf­fent­li­chung verboten hat? Für den BGH offenbar nicht ganz, denn er hat darauf hinge­wiesen, dass der Verord­nungs­geber seine schon erwähnte Entscheidung vom 25. Juni 2014 (VIII ZR 344/13) falsch verstanden hat. Da die Erwägungen des BGH, welche Schwie­rig­keiten die aktuelle Rechtslage nun aufwirft, weitere ihre Berech­tigung behalten, stellt sich die Frage, ob der Verord­nungs­geber nicht gut daran täte, die Ergänzung des § 24 Abs. 4 AVBFern­wärmeV rückgängig zu machen (Miriam Vollmer).

2022-01-31T23:01:22+01:001. Februar 2022|Wärme|

Preis­ober­grenze Regel­en­ergie: Zum Beschluss BGH EnVR 69/21

Oha! Eine weitere Wendung in der inzwi­schen schon recht verschlun­genen Recht­spre­chungs­ge­schichte der Preis­ober­grenze für Regel­en­ergie: Am 11. Januar 2022 (Az.: BGH EnVR 69/21) hat der Bundes­ge­richtshof (BGH) die aufschie­bende Wirkung der Beschwerde von Uniper gegen den Beschluss der BNetzA vom 16. Dezember 2020 angeordnet, mit dem diese die Preis­ober­grenze für die MWh Regel­en­ergie auf 9.999,99 EUR/MWh herab­ge­setzt hat. Mit anderen Worten: Der Beschluss der BNetzA gilt bis zur endgül­tigen Klärung der Sache durch den BGH nicht mehr, damit liegt die Preis­ober­grenze aktuell wieder bei (verzehn­fachten) 99.999,99 EUR/MWh.

Worum geht’s?

Aber der Reihe nach: Was ist eigentlich passiert? Strom­erzeuger und ‑versorger prognos­ti­zieren täglich Einspeisung und Entnahme von Strom, damit das Netz jederzeit seine Normal­fre­quenz hält und nicht zusam­men­bricht. Das funktio­niert weitgehend, aber es bleiben kleine Lastdif­fe­renzen, die durch Regel­en­ergie ausge­glichen werden müssen: Entweder wird kurzfristig etwas mehr Strom, als eigentlich prognos­ti­ziert einge­speist oder etwas weniger entnommen. Diese Stabi­li­sierung ist der Job der Übertra­gungs­netz­be­treiber (ÜNB), die zu diesem Zweck Regel­en­ergie über eine Inter­net­plattform ausschreiben.

Im Oktober 2019 wurde durch die BNetzA für diesen Regel­leis­tungs­markt eine Preis­ober­grenze von 99.999,99 EUR/MWh genehmigt. Als der Regel­ar­beits­markt im November 2020 startete, kam es direkt in den ersten sechs Wochen zu 33 Tagen, an denen mehr als ein Drittel der bezuschlagten Gebote einen Arbeits­preis von mehr als 9.999,99 EUR/MWh auswiesen. Die BNetzA sah sich durch diese Preise zum Handeln genötigt, hörte die ÜNB am 15. Dezember 2020 per Telefon an und erließ einen Tag später den später angegrif­fenen Beschluss, nach dem die Preis­ober­grenze auf 9.999,99 EUR/MWh herab­ge­setzt wurde. Uniper erhob hiergegen Beschwerde. Das OLG Düsseldorf hob darauf den Beschluss der BNetzA auf. Diese legte hiergegen Rechts­be­schwerde ein. Die Sache liegt also beim BGH. Damit bis zur endgül­tigen Klärung die höhere Preis­ober­grenze gilt, erhob Uniper wiederum – erfolg­reich – Beschwerde.

Analyse, Bankwesen, Makler, Geschäft, Die Krise

Was sagt der BGH?

Der BGH sagt sehr deutlich: Er wird die Absenkung der Preis­ober­grenze wahrscheinlich aufheben. Er hält sie für rechts­widrig. Die BNetzA war nicht berechtigt, ohne eine öffent­liche Konsul­tation die Spiel­regeln für den Regeleis­tungs­markt selbst eigen­in­itiativ abzuändern. Dies sei Aufgabe der ÜNB, nicht der BNetzA.Die Behörde hätte sich an die ÜNB wenden müssen und diese zu einem Änderungs­vor­schlag auffordern müssen, das hat sie aber nicht getan. Außerdem darf die BNetzA nicht einfach auf eine Konsul­tation der Öffent­lichkeit verzichten, nur weil sie glaubt, eine Sache sei ausrei­chend disku­tiert worden.

Der BGH geht – kurz gesagt – davon aus, dass die BNetzA hier übermäßig selbst­herrlich gehandelt und die Grenzen ihrer Aufgaben überschritten hat.

Wie geht es nun weiter?

Der BGH weist selbst darauf hin, dass er die Haupt­sache nicht allein entscheiden kann. Hier ist auch der EuGH gefragt. Entspre­chend wird eine Klärung wohl noch etwas dauern. Mögli­cher­weise ist der europäische und/oder deutsche Gesetz­geber schneller und regelt vor der Recht­spre­chung, wie es weitergeht mit den Preisen für Regel­en­ergie. (Miriam Vollmer)

2022-01-28T21:13:03+01:0028. Januar 2022|BNetzA, Strom|

Zum Rückzah­lungs­an­spruch bei unwirk­samer Preis­gleit­klausel: Zu BGH, Urteil vom 10.03.2021 (Az.: VIII ZR 200/18)

Die Proble­matik ist bekannt: Nach langen Jahren des reibungs­losen Versor­gungs­ver­hält­nisses meldet sich der Abnehmer eines Liefer­ver­hält­nisses beim Versorger und wider­spricht einer Preis­an­passung. Argument: Die Preis­gleit­klausel sei unwirksam. Für die Zukunft will der Kunde die erhöhten Preise nicht zahlen. Für die Vergan­genheit verlangt er Rückzahlung angeblich überhöhter Beträge. Sofern er recht hat und die Preis­gleit­klausel wirklich unwirksam ist, stellt sich damit die Folge­frage: Für welche Vergan­gen­heits­zeit­räume kann er zu viel gezahlte Beträge zurück­fordern? Schließlich beruhen alle über den Ursprungs­preis hinaus geflos­senen Beträge auf einer unwirk­samen Klausel und sind mithin ohne Rechts­grund geflossen. Mit dieser Frage und mit der Frage nach dem Mindest­inhalt eines Wider­spruchs hat sich im März erneut der Bundes­ge­richtshof (BGH) beschäftigt.

In dem am 10. März 2021 entschie­denen Verfahren geht es um Fernwär­me­ent­gelte. Einen schrift­lichen Vertrag gab es nicht, der klagende Kunde war also Entnah­me­kunde. Er schuldete damit nach § 2 Abs. 2 AVBFern­wärmeV den üblichen Preis des Versorgers für gleich­artige Versor­gungs­ver­hält­nisse, die dieser alle sechs Monate anpasste. Nach mehreren Jahren vorbe­halt­loser Zahlung, meldete sich der Kunde am 15. Juni 2013, wider­sprach aber in diesem ersten Schreiben nur dem aktuellen Arbeits­preis 2013 und stellte die gefor­derten Abschläge ein. 2014 wieder­holte er seine Vorbe­halte, wider­sprach nun erst auch allen Preis­an­pas­sungen bis zurück ins Jahr 2010 und machte Rückzahlung geltend.

In Hinblick auf die Preis­be­stim­mungen selbst hatte der Kunde den richtigen Riecher: Sie erwiesen sich wegen Verstoß gegen § 24 Abs. 4 AVBFern­wärmeV  als unwirksam (BGH, Urt. v. 18.12.2019, Az.: VIII ZR 209/18). Doch für welche Zeiträume musste nun der Versorger Geld zurück­zahlen? Der BGH bleibt in seiner Entscheidung zunächst bei den bewährten drei Jahren. Dies stützt er auf ergän­zende Vertrags­aus­legung gemäß §§ 157, 133 BGB, da es immer dann, wenn eine Preis­gleit­klausel unwirksam ist, eine ausfül­lungs­be­dürftige  Lücke gebe. Damit war klar: Preis­an­pas­sungen für 2011, 2012 und 2013 hatte der Kunde 2014 recht­zeitig wider­sprochen. Doch was war mit der Preis­an­passung 2010? Der Versorger argumen­tierte, dass dieser Preis­an­passung 2014 zu spät wider­sprochen worden war. Zu diesem Zeitpunkt war die Preis­gleitung 2010 ja mehr als drei Jahre her. 2013 dagegen war der Dreijah­res­zeitraum zwar noch nicht verstrichen, aber der Kunde hatte nur den aktuellen Preisen 2013 wider­sprochen, nicht der Preis­an­passung drei Jahre zuvor.

Dieses Argument überzeugte den 8. Senat indes nicht. Nach Ansicht der Richter reicht es, dass wider­sprochen wurde. Die Begründung des Wider­spruchs sei gleich­gültig, es sei auch unerheblich, ob nicht nur aktuelle, sondern auch frühere Preis­er­hö­hungen beanstandet würden. Dies aller­dings ist mindestens überra­schend. Der Senat meint, dass es reiche, „dass der Kunde dem Energieversorger gegenüber zum Ausdruck bringt, er beanstande den derzeit gefor­derten (aktuellen) Preis der Höhe nach.“. Dies stützt er auf die ergän­zende Verrags­aus­legung, der er bereits die Begrenzung auf drei Jahre entnommen hat. Im Ergebnis reicht also irgendein Widerspruch.

Paragraf, Waage, Recht, Gesetz, Justiz, Gerechtigkeit

Uns nimmt dieser Gedan­kengang letztlich nicht mit. Ergän­zende Vertrags­aus­le­gungen sind als Ausdruck dessen, was Parteien geregelt hätten, immer auch ein Stück weit speku­lativ. Aber  wenn ein Kunde ganz klar zum Ausdruck gebracht hat, was er warum bemängelt, ist aus unserer Sicht schon das Bestehen einer ausfül­lungs­be­dürf­tigen Lücke fraglich. Doch wer sind wir, wenn Karlsruhe bereits gesprochen hat: Unter­nehmen müssen sich darauf einstellen, dass jede Form von Wider­spruch gegen Preise sich auf jede Preis­an­passung in den letzten drei Jahren bezieht (Miriam Vollmer).

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2021-08-02T17:35:42+02:0030. Juli 2021|Gas, Strom, Vertrieb, Wärme|