Preis­ober­grenze Regel­en­ergie: Zum Beschluss BGH EnVR 69/21

Oha! Eine weitere Wendung in der inzwi­schen schon recht verschlun­genen Recht­spre­chungs­ge­schichte der Preis­ober­grenze für Regel­en­ergie: Am 11. Januar 2022 (Az.: BGH EnVR 69/21) hat der Bundes­ge­richtshof (BGH) die aufschie­bende Wirkung der Beschwerde von Uniper gegen den Beschluss der BNetzA vom 16. Dezember 2020 angeordnet, mit dem diese die Preis­ober­grenze für die MWh Regel­en­ergie auf 9.999,99 EUR/MWh herab­ge­setzt hat. Mit anderen Worten: Der Beschluss der BNetzA gilt bis zur endgül­tigen Klärung der Sache durch den BGH nicht mehr, damit liegt die Preis­ober­grenze aktuell wieder bei (verzehn­fachten) 99.999,99 EUR/MWh.

Worum geht’s?

Aber der Reihe nach: Was ist eigentlich passiert? Strom­erzeuger und ‑versorger prognos­ti­zieren täglich Einspeisung und Entnahme von Strom, damit das Netz jederzeit seine Normal­fre­quenz hält und nicht zusam­men­bricht. Das funktio­niert weitgehend, aber es bleiben kleine Lastdif­fe­renzen, die durch Regel­en­ergie ausge­glichen werden müssen: Entweder wird kurzfristig etwas mehr Strom, als eigentlich prognos­ti­ziert einge­speist oder etwas weniger entnommen. Diese Stabi­li­sierung ist der Job der Übertra­gungs­netz­be­treiber (ÜNB), die zu diesem Zweck Regel­en­ergie über eine Inter­net­plattform ausschreiben.

Im Oktober 2019 wurde durch die BNetzA für diesen Regel­leis­tungs­markt eine Preis­ober­grenze von 99.999,99 EUR/MWh genehmigt. Als der Regel­ar­beits­markt im November 2020 startete, kam es direkt in den ersten sechs Wochen zu 33 Tagen, an denen mehr als ein Drittel der bezuschlagten Gebote einen Arbeits­preis von mehr als 9.999,99 EUR/MWh auswiesen. Die BNetzA sah sich durch diese Preise zum Handeln genötigt, hörte die ÜNB am 15. Dezember 2020 per Telefon an und erließ einen Tag später den später angegrif­fenen Beschluss, nach dem die Preis­ober­grenze auf 9.999,99 EUR/MWh herab­ge­setzt wurde. Uniper erhob hiergegen Beschwerde. Das OLG Düsseldorf hob darauf den Beschluss der BNetzA auf. Diese legte hiergegen Rechts­be­schwerde ein. Die Sache liegt also beim BGH. Damit bis zur endgül­tigen Klärung die höhere Preis­ober­grenze gilt, erhob Uniper wiederum – erfolg­reich – Beschwerde.

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Was sagt der BGH?

Der BGH sagt sehr deutlich: Er wird die Absenkung der Preis­ober­grenze wahrscheinlich aufheben. Er hält sie für rechts­widrig. Die BNetzA war nicht berechtigt, ohne eine öffent­liche Konsul­tation die Spiel­regeln für den Regeleis­tungs­markt selbst eigen­in­itiativ abzuändern. Dies sei Aufgabe der ÜNB, nicht der BNetzA.Die Behörde hätte sich an die ÜNB wenden müssen und diese zu einem Änderungs­vor­schlag auffordern müssen, das hat sie aber nicht getan. Außerdem darf die BNetzA nicht einfach auf eine Konsul­tation der Öffent­lichkeit verzichten, nur weil sie glaubt, eine Sache sei ausrei­chend disku­tiert worden.

Der BGH geht – kurz gesagt – davon aus, dass die BNetzA hier übermäßig selbst­herrlich gehandelt und die Grenzen ihrer Aufgaben überschritten hat.

Wie geht es nun weiter?

Der BGH weist selbst darauf hin, dass er die Haupt­sache nicht allein entscheiden kann. Hier ist auch der EuGH gefragt. Entspre­chend wird eine Klärung wohl noch etwas dauern. Mögli­cher­weise ist der europäische und/oder deutsche Gesetz­geber schneller und regelt vor der Recht­spre­chung, wie es weitergeht mit den Preisen für Regel­en­ergie. (Miriam Vollmer)

2022-01-28T21:13:03+01:0028. Januar 2022|BNetzA, Strom|

Zum Rückzah­lungs­an­spruch bei unwirk­samer Preis­gleit­klausel: Zu BGH, Urteil vom 10.03.2021 (Az.: VIII ZR 200/18)

Die Proble­matik ist bekannt: Nach langen Jahren des reibungs­losen Versor­gungs­ver­hält­nisses meldet sich der Abnehmer eines Liefer­ver­hält­nisses beim Versorger und wider­spricht einer Preis­an­passung. Argument: Die Preis­gleit­klausel sei unwirksam. Für die Zukunft will der Kunde die erhöhten Preise nicht zahlen. Für die Vergan­genheit verlangt er Rückzahlung angeblich überhöhter Beträge. Sofern er recht hat und die Preis­gleit­klausel wirklich unwirksam ist, stellt sich damit die Folge­frage: Für welche Vergan­gen­heits­zeit­räume kann er zu viel gezahlte Beträge zurück­fordern? Schließlich beruhen alle über den Ursprungs­preis hinaus geflos­senen Beträge auf einer unwirk­samen Klausel und sind mithin ohne Rechts­grund geflossen. Mit dieser Frage und mit der Frage nach dem Mindest­inhalt eines Wider­spruchs hat sich im März erneut der Bundes­ge­richtshof (BGH) beschäftigt.

In dem am 10. März 2021 entschie­denen Verfahren geht es um Fernwär­me­ent­gelte. Einen schrift­lichen Vertrag gab es nicht, der klagende Kunde war also Entnah­me­kunde. Er schuldete damit nach § 2 Abs. 2 AVBFern­wärmeV den üblichen Preis des Versorgers für gleich­artige Versor­gungs­ver­hält­nisse, die dieser alle sechs Monate anpasste. Nach mehreren Jahren vorbe­halt­loser Zahlung, meldete sich der Kunde am 15. Juni 2013, wider­sprach aber in diesem ersten Schreiben nur dem aktuellen Arbeits­preis 2013 und stellte die gefor­derten Abschläge ein. 2014 wieder­holte er seine Vorbe­halte, wider­sprach nun erst auch allen Preis­an­pas­sungen bis zurück ins Jahr 2010 und machte Rückzahlung geltend.

In Hinblick auf die Preis­be­stim­mungen selbst hatte der Kunde den richtigen Riecher: Sie erwiesen sich wegen Verstoß gegen § 24 Abs. 4 AVBFern­wärmeV  als unwirksam (BGH, Urt. v. 18.12.2019, Az.: VIII ZR 209/18). Doch für welche Zeiträume musste nun der Versorger Geld zurück­zahlen? Der BGH bleibt in seiner Entscheidung zunächst bei den bewährten drei Jahren. Dies stützt er auf ergän­zende Vertrags­aus­legung gemäß §§ 157, 133 BGB, da es immer dann, wenn eine Preis­gleit­klausel unwirksam ist, eine ausfül­lungs­be­dürftige  Lücke gebe. Damit war klar: Preis­an­pas­sungen für 2011, 2012 und 2013 hatte der Kunde 2014 recht­zeitig wider­sprochen. Doch was war mit der Preis­an­passung 2010? Der Versorger argumen­tierte, dass dieser Preis­an­passung 2014 zu spät wider­sprochen worden war. Zu diesem Zeitpunkt war die Preis­gleitung 2010 ja mehr als drei Jahre her. 2013 dagegen war der Dreijah­res­zeitraum zwar noch nicht verstrichen, aber der Kunde hatte nur den aktuellen Preisen 2013 wider­sprochen, nicht der Preis­an­passung drei Jahre zuvor.

Dieses Argument überzeugte den 8. Senat indes nicht. Nach Ansicht der Richter reicht es, dass wider­sprochen wurde. Die Begründung des Wider­spruchs sei gleich­gültig, es sei auch unerheblich, ob nicht nur aktuelle, sondern auch frühere Preis­er­hö­hungen beanstandet würden. Dies aller­dings ist mindestens überra­schend. Der Senat meint, dass es reiche, „dass der Kunde dem Energieversorger gegenüber zum Ausdruck bringt, er beanstande den derzeit gefor­derten (aktuellen) Preis der Höhe nach.“. Dies stützt er auf die ergän­zende Verrags­aus­legung, der er bereits die Begrenzung auf drei Jahre entnommen hat. Im Ergebnis reicht also irgendein Widerspruch.

Paragraf, Waage, Recht, Gesetz, Justiz, Gerechtigkeit

Uns nimmt dieser Gedan­kengang letztlich nicht mit. Ergän­zende Vertrags­aus­le­gungen sind als Ausdruck dessen, was Parteien geregelt hätten, immer auch ein Stück weit speku­lativ. Aber  wenn ein Kunde ganz klar zum Ausdruck gebracht hat, was er warum bemängelt, ist aus unserer Sicht schon das Bestehen einer ausfül­lungs­be­dürf­tigen Lücke fraglich. Doch wer sind wir, wenn Karlsruhe bereits gesprochen hat: Unter­nehmen müssen sich darauf einstellen, dass jede Form von Wider­spruch gegen Preise sich auf jede Preis­an­passung in den letzten drei Jahren bezieht (Miriam Vollmer).

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2021-08-02T17:35:42+02:0030. Juli 2021|Gas, Strom, Vertrieb, Wärme|

Das GASAG-Urteil des BGH: Rekom­mu­na­li­sierung am Ende?

Das Land Berlin hat in letzter Instanz vorm Bundes­ge­richtshof (BGH) den Rechts­streit um das Berliner Gasnetz verloren (wir berich­teten gestern). Das Gasnetz hier in Berlin wird also auch zukünftig die GASAG betreiben.

Nun scheitern nicht ganz wenige Städte beim Versuch, den Zuschlag für das Energie­netz­be­trieb an eigene, kommunale Unter­nehmen zu vergeben. Doch die Entscheidung des BGH ist für die Kommu­nal­wirt­schaft besonders schmerzhaft: Das BGH hat nämlich nicht wegen handwerk­licher Fehler das Verfahren aufge­hoben, sondern die Vergabe an den Landes­be­trieb für rechts­widrig erklärt, weil der nicht ausrei­chend wirtschaftlich leistungs­fähig sei. Der Landes­be­trieb ist nämlich ganz neu, er hat bisher weder die Struk­turen noch das Personal der bishe­rigen Netzbe­trei­berin. Er hätte diese Struk­turen erst dann aufgebaut, wenn er den Zuschlag bekommen hätte. Alles andere wäre ja auch das reine finan­zielle Harakiri: Die alte Netzkon­zession endete an sich Silvester 2013, seitdem hängt das Verfahren vor Gericht. Das Land hätte also, denkt man dieses Argument, einen voll ausge­rüs­teten Betrieb über acht Jahre ohne Einnahmen unter­halten müssen, um gemessen an diesem Maßstab „wirtschaftlich leistungs­fähig“ zu sein.

Berliner Dom, Berlin, Stadt, Spree, Licht, Abend

Natürlich kann Berlin das nicht. Natürlich kann das auch keine andere Gemeinde. Es wäre wohl auch mit den Grund­sätzen einer ordnungs­ge­mäßen Haushalts­führung gar nicht vereinbar. Das aber heißt: Gemeinden, die ihr Strom- oder Gasnetz nicht schon selbst betreiben, können faktisch kaum ein eigenes kommu­nales Unter­nehmen gründen, das leistungs­fähig genug ist, sich im Konzes­si­ons­ver­fahren durch­zu­setzen. Sie brauchen immer mindestens einen erfah­renen Partner, der schon andernorts Netze betreibt.

Das ist eine schlechte Nachricht nicht nur für die Städte selbst. Die sogenannte „Rekom­mu­na­li­sierung“, die auf den Betrieb der Energie­netze durch städtische Gesell­schaften abzielt, ist keineswegs ein reines Presti­ge­projekt von Bürgermeister*innen und eitlen Lokalpolitiker*innen. Zum einen ist der Netzbe­trieb lukrativ. Bleibt das Geld in der Stadt, wird es von einer städti­schen Gesell­schaft entweder in der Stadt inves­tiert und finan­ziert die örtliche Energie­wende. Oder wird an die Stadt ausge­schüttet und verschafft den oft klammen Kommunen Spiel­räume für soziale oder kultu­relle Aufgaben. Aber hier geht es nicht nur um Geld. Kommunale Energie­ver­sorgung kann sehr unter­schiedlich aussehen. Natürlich gibt es auch viele Unter­nehmen in privater Hand, die die Energie­wende klug moderieren. Aber nur dann, wenn die Netze vor Ort von kommu­nalen Unter­nehmen betrieben werden, wird der Betrieb durch gewählte Vertreter*innen kontrol­liert und seine Eckpfeiler vor Ort demokra­tisch legiti­miert entschieden, und zwar nicht vermittelt durch Aktionär*innen, sondern durch die Bürge­rinnen und Bürger selbst, die die Mehrheiten vor Ort bestimmen. Dass das nun so erschwert wird, ist auch in Hinblick auf Art. 28 Abs. 2 GG mehr als bedau­erlich (Miriam Vollmer).

2021-03-16T19:00:21+01:0016. März 2021|Energiepolitik, Gas, Strom|