BGH: Verkehrs­si­che­rungs­pflichten bei Fahrradunfall

Mountainbiker auf Feldweg

Erst kürzlich hatten wir über Staats­haftung bei Fahrrad­un­fällen wegen Defiziten bei der Infra­struktur berichtet. Bzw darüber, dass nach Auffassung der Recht­spre­chung in der Mehrheit der Fälle Verkehrs­teil­nehmer mit den Widrig­keiten der Verkehrs­in­fra­struktur klarkommen müssen. Jeden­falls ist dies dann der Fall, wenn die Risiken vorher­sehbar sind, wie etwas bei Schienen in der Fahrbahn, in die Fahrrad­fahrer geraten oder auf denen sie ausrut­schen können.

Zwischen­zeitlich ist ein Fall vor den Bundes­ge­richtshof (BGH) geraten, der zugunsten des klagenden Fahrrad­fahrers ausge­gangen ist. Verur­sacht worden war der Unfall durch einen in Höhe von 60 und 90 cm quer waagrecht über einen Feldweg gespannten Stachel­drähten, an denen nur zwei Holzleisten und ein Verkehrs­schild befestigt waren. Eine weitere Markierung war nicht vorhanden, so dass der Fahrrad­fahrer den Zaun erst ca. 8 m vor dem Hindernis sehen konnte. Durch eine entspre­chend starke Bremsung stürzte er über den Lenker und ist seitdem querschnittsgelähmt.

Nachdem das Landge­richt Lübeck die Klage zunächst abgewiesen und das Berufungs­ge­richt dem Kläger wegen Mitver­schuldens nur einen Teil zugesprochen hatte, kam der Fall vor den BGH. Der hat bestätigt, dass die Gemeinde gegen die Verkehrs­si­che­rungs­pflicht verstoßen hätte, da der Weg für Fahrräder zugelassen sei und mit einem solchen Hindernis ohne auffällige Kennzeichnung nicht zu rechnen sei. Ein Mitver­schulden falle nicht erheblich ins Gewicht. Insbe­sondere sei nämlich nicht gegen das Sicht­fahr­gebot verstoßen worden. Das Hindernis sei schlicht nicht aus größerer Entfernung erkennbar gewesen, so dass der Fahrrad­fahrer sich nicht darauf einstellen musste (Olaf Dilling).

2021-11-10T18:48:23+01:0020. September 2021|Rechtsprechung, Verkehr|

Velosi­chere Schienen, vorher­sehbare Schwellen

Wenn es um die Förderung des Radver­kehrs geht, denken viele Menschen primär an Radwege. Oft gibt es jedoch auch auf den Fahrbahnen Hinder­nisse oder Gefah­ren­stellen, die sich oft mit relativ einfachen Mitteln entschärfen lassen, wenn die Belange des Radver­kehrs präventiv berück­sichtigt werden. So zum Beispiel bei Straßen- oder Werks­bahn­gleisen: Reste von Bahnen, die nicht mehr genutzt werden, können oft ohne große Probleme mit Asphalt oder Beton verfüllt und überdeckt werden.

Schwie­riger ist es, wenn eine Bahn noch oder wieder in Betrieb ist. Doch ein findiges Unter­nehmen aus Thüringen hat hier vor zwei Jahren eine Vorrichtung erfunden, die mit Hilfe einer Gummi­füllung Abhilfe für Fahrräder schafft, ohne die Funkti­ons­fä­higkeit der Straßenbahn zu beein­träch­tigen. Zumindest für „neural­gische“ Punkte, an denen es besonders häufig zu Stürzen und dadurch verur­sachten schweren Unfällen kommt, könnten diese „velosi­cheren Schienen“ Schule machen.

Tunnel mit Straßenbahnschienen und Fahrradfahrern

Was die Haftung angeht, sind Kommunen übrigens in der Regel auf der sicheren Seite, auch wenn sich Fahrrad­un­fälle im Zusam­menhang mit Fahrrad­schienen häufen. Zwar sind die Kommunen als Träger der Straßen­baulast der Gemein­de­straßen in der Regel nach Landes­stra­ßen­recht für ihren Zustand verant­wortlich. Aus der Verkehrs­si­che­rungs­pflicht der Gemeinde folgt selbst­ver­ständlich nicht, dass Straßen vollkommen gefahrlos und frei von allen Mängeln sein müssen. Die Recht­spre­chung des Bundes­ge­richtshofs geht vielmehr davon aus, dass eine Haftung erst dann erfolgt, wenn eine Gefahr für den Verkehrs­teil­nehmer nicht vorher­sehbar war. Der dafür entwi­ckelte Maßstab ist relativ streng. So soll eine Gefahr selbst dann noch vorher­sehbar sein, wenn eine Gefahr durch eine unvoll­ständige Maßnahme scheinbar entschärft wurde, etwa durch Verfüllung, aber weitere Gefahr, im Beispiel die Glätte der blank­po­lierten Gleise, andauert.

Entscheidend ist, ob eine Gefahr für einen sorgfäl­tigen Benutzer der Straße nicht oder nicht recht­zeitig erkennbar ist und ob er sich auf sie noch recht­zeitig einrichten kann. So wurde dies im Mai diesen Jahres vom Landge­richt Köln entschieden: Ein Rennrad­fahrer war über eine Schwelle gefahren und hatte sich dabei das Schlüs­selbein gebrochen. Das Gericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass die Schwelle an sich ordnungs­gemäß ausge­führt sei und zum Ableiten von Nieder­schlags­wasser nötig sei. Die Straße sei im Übrigen so offen­sichtlich schadhaft, dass der Radfahrer gewarnt gewesen sei und sein Fahrver­halten hätte anpassen müssen.

Die mangelnde Haftung muss jedoch nicht bedeuten, dass eine Kommune nicht ein Interesse haben kann, zur Prävention von Unfällen Maßnahmen zur Sanierung von Gefah­ren­stellen zu ergreifen. Auch für Betroffene, z.B. Fahrrad­ver­bände, kann es sich insofern durchaus lohnen, bei der zustän­digen Behörde einen entspre­chenden Antrag zu stellen. Gerade wenn, wie anfangs beschrieben, inzwi­schen Techniken vorhanden sind, um lange bestehende Probleme mit einem innova­tiven Ansatz zu lösen (Olaf Dilling).

 

2021-09-09T19:18:26+02:009. September 2021|Verkehr|

Das kann teuer werden: Schadens­ersatz bei nicht einge­löstem Kita-Anspruch

Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass die mangelnde Ausstattung mit Kita-Plätzen für Gemeinden wegen des seit 2018 bestehenden Anspruchs auf einen Kita-Platz für jedes Kind über einem Jahr nicht nur juris­tisch für Ärger sorgen kann. Es kann wohlmöglich auch sehr teuer werden: Jeden­falls hat der Bezirk Pankow einer Mutter nach Presse­mel­dungen 7.500 Euro im Rahmen eines Vergleichs vor dem Landge­richt Berlin gezahlt, weil sie erst fünf Monate später als geplant wieder in den Beruf einsteigen konnte. 

Tatsächlich liegt es auf der Hand, dass neben dem primären Anspruch auf Verschaffung eines Kita-Platzes nach § 24 Abs. 2 SGB VIII auch sogenannte Sekun­där­an­sprüche auf Schadens­ersatz möglich sind. Denn einen Schaden haben Eltern natürlich, wenn sie ihrer Arbeit mangels Betreuung nicht nachgehen können. Und verant­wortlich dafür sind seit der gesetz­lichen Regelung die zustän­digen Gemeinden. Insofern können sich Eltern über die zu erwar­tenden Entschä­di­gungen freuen, während die Gemeinden um ihren Haushalt bangen müssen…

Aber was folgt nun daraus für die Verteilung von Kita-Plätzen? Da die Höhe des Schadens vom Einkommen abhängt, könnte die Aussicht auf Schadens­ersatz den sozial­po­li­tisch zweifel­haften Effekt haben, dass die Gemeinden bei Kapazi­täts­eng­pässen bevorzugt Eltern mit hohem Einkommen bedienen, um die Schadens­er­satz­summe niedrig zu halten. Zugleich könnte es sich für Eltern als Strategie auszahlen, möglichst dick aufzu­tragen. Ob das alles wirklich im Sinne des Gesetz­gebers war, als er den Anspruch nach § 24 Abs. 2 SGB VIII eingefügt hat, ist natürlich fraglich. Aber es ist wie so oft im Recht, wer A sagt, muss auch B sagen. Auch wenn er sich die Konse­quenzen vorher nicht umfassend überlegt hat (Olaf Dilling).

2020-01-28T18:30:32+01:0028. Januar 2020|Allgemein|