Ungeschützte Radfahrstreifen
Gestern war ich mit einer Bekannten in einem Café in den Hackeschen Höfen. Das Gespräch ging so über dies und das, aber vor allem hatten wir uns aber über die Beschäftigung mit dem Radverkehr kennengelernt. Daher kam das Gespräch irgendwann unweigerlich auch auf Verkehrsrecht. Mit einer Frage hat sie mich etwas in Bedrängnis gebracht:
Die Frage lautete, welche Abstände Kraftfahrer zu Fahrradfahrern einhalten müssen, die auf einem Radfahrstreifen fahren. Die Antwort kam mir selbst völlig unzureichend vor: Während Kfz beim Überholen von Radfahrern auf einem Schutzstreifen oder im Mischverkehr gemäß § 5 Abs. 4 Satz 3 StVO einen Seitenabstand von 1,5 m innerorts und 2 m außerorts einhalten müssen, ist für das Vorbeifahren an Radfahrern auf dem Radfahrstreifen kein bezifferter Seitenabstand vorgesehen. Denn genau genommen handelt es sich hierbei nicht um einen Überholvorgang. Die Radfahrer befinden sich nicht auf der Fahrbahn, sondern vielmehr auf einem Sonderweg.
Irgendwie handelt es sich um eine dieser juristischen Fragen, bei denen es einem als gesetzestreuem Juristen mehr oder weniger die Sprache verschlägt. Denn eigentlich kann es ja nicht sein: Ein Radfahrer ist auf dem Radfahrstreifen schließlich nicht weniger schutzbedürftig als auf dem Schutzstreifen oder im Mischverkehr. Außerdem werden Radfahrstreifen extra dafür angelegt, um die Sicherheit und Ordnung des Radverkehrs zu gewährleisten. Dort wo sie angeordnet sind, müssen nach § 45 Abs. 1 iVm. Abs. 9 Satz 1 und 4 Nr. 3 StVO konkrete Gefahren bestehen und die Anordnung zwingend sein. Denken wir also an Kinder, die ab acht Jahren auf dem Radfahrstreifen fahren dürfen bzw. ab 10 Jahren müssen. Denken wir an Radfahrstreifen, die zwischen einer Kfz-Spur entlangführen, die geradeaus führt und einer Kfz-Spur, die für Rechtsabbieger gedacht ist. Denken wir an große LKW, die immer noch nicht alle mit Assistenzsystemen ausgestattet sind.
Nun folgt aus § 1 Abs. 2 StVO, dass Verkehrsteilnehmer sich so zu verhalten haben, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Aber bedeutet das wirklich, dass Kfz auf mehrstreifigen Streifen warten, wenn sie zu Fahrradfahrern auf dem Radfahrstreifen einen angemessenen Abstand nicht einhalten können? Ich habe Zweifel.

Dylan Passmore from Toronto, Canada, CC BY 2.0 <https://creativecommons.org/licenses/by/2.0>, via Wikimedia Commons
Konsequenz sollte sein, dass Radfahrstreifen ohne physische Barrieren nur dann angeordnet werden sollten, wenn sie ausreichend breit sind. Die 2,00 m, bzw. 1,60 m bei geringem Radverkehr, die laut aktuellen Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA) der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. (FGSV) bisher vorgesehen sind, reichen da nicht. Vor allem dann nicht, wenn der Kfz-Fahrstreifen daneben nicht breit genug ist. Denn die meisten Kfz-Fahrer wollen Radfahrer ja nicht vorsätzlich oder fahrlässig gefährden.
Überall wo das nicht der Fall ist, sollten geschützte Radfahrstreifen der Standard sein. Das heißt Radfahrstreifen, die durch Poller oder Trennelemente von der Kfz-Fahrbahn separiert sind. Leider gibt es bezüglich der Gestaltung dieser Trennelemente oft noch Unsicherheiten bei der Verwaltung und sogar bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Daher wäre es sehr wichtig, dass fachliche Standards entwickelt und von den Verkehrsministerien aufgegriffen werden, die hier Klarheit schaffen. Sicher ist nur eins: weiße Farbe gibt Orientierung, verhindert im Zweifel aber keine Unfälle. (Olaf Dilling)