Der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) muss für viele ausländische Besucher in mancher Hinsicht wie aus der Zeit gefallen wirken. Das gilt insbesondere für die Fahrkartenkontrollen. Wer in Paris, London oder Madrid in Busse oder Stadtbahnen steigt, hat meist eine physische Barriere zu überwinden, was ohne die richtige Fahrkarte gar nicht geht. Die meisten Menschen benutzen Chipkarten und die Tarife sind mit etwas Übung einigermaßen zu durchschauen.
In Berlin stehen viele Menschen erst eine Weile hilflos vor dem Fahrkartenautomaten, bis sich jemand ein Herz fasst und hilft, die richtige Fahrkarte zu kaufen. Natürlich ist sie dann aus Papier und muss noch korrekt abgestempelt werden. Zwar gibt es auch Chipkarten, aber da die gesamte Infrastruktur kaum auf elektronische Tickets ausgerichtet ist, werden sie kaum genutzt, jedenfalls nicht von temporären Gästen.
Wenn also so ein Besucher aus dem europäischen Ausland dann tatsächlich in der S‑Bahn angekommen ist, droht eine Fahrkartenkontrolle. Und vermutlich macht jeder Urlaubsgast, dessen sich niemand erbarmt hat, beim ersten Mal mindestens einen Fehler, der ein erhöhtes Beförderungsentgelt fällig werden lässt. Dabei sind die Urlaubsgäste, die meist größere Mengen Bargeld mit sich führen, meist noch besser dran als Leute ganz ohne Geld. Die müssen, wenn sie wiederholt wegen Schwarzfahrens aufgefallen sind, nicht selten sogar ins Gefängnis. Denn wenn sie die Strafen nicht zahlen können, kann Ersatzhaft drohen. Die Frage der Verhältnismäßigkeit solcher Strafen wäre einen eigenen Blogartikel wert: Inzwischen gibt es eine Initiative, die Menschen hilft, die in diese Notlage geraten sind.
Die Frage hier ist jedoch eine andere: Ist es tatsächlich effizient, ein so aufwendiges und kompliziertes Bezahl- und Kontrollsystem aufrecht zu halten, um den öffentlichen Verkehr am Laufen zu halten? Seit einiger Zeit wird in vielen Städten diskutiert, den öffentlichen Verkehr gar nicht mehr über die individuelle Benutzung zu finanzieren. Das hat zwar einige Nachteile, u.a. könnten damit Qualitätseinbußen einhergehen. Die Vorteile liegen jedoch auf der Hand. Es könnte erheblich an Personal- und Kontrollkosten gespart werden.
Aktuell geht es eher um eine – temporäre – Flatrate, einen günstigen Monatstarif, der den gesamten deutschen öffentlichen Nah- und Regionalverkehr umfassen soll, das sogenannte 9‑Euro-Ticket. Als Teil des Entlastungspakets 2022 soll er dafür sorgen, dass Pendler von steigenden Energiekosten entlastet werden. Zugleich soll die Attraktivitätssteigerung des ÖPNV auch einen Anreiz zur Einsparung von Kraftstoffen setzen. Noch könnte das bereits offiziell angekündigte und in Kürze in Kraft tretende Projekt am Widerstand der Länder scheitern. Denn zwischen Bundesregierung und einigen Ländern ist die Finanzierung strittig. Vermutlich könnte das 9‑Euro-Ticket nicht nur für volle Züge, sondern auch für leere Kassen sorgen. Es sei denn jetzt schon wird eine angemessene Anschlussfinanzierung für das zeitlich begrenzte Projekt sichergestellt. Heute stimmt der Bundesrat darüber ab (Olaf Dilling).
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