Eine bemerkenswerte Entscheidung zum Anschluss- und Benutzungszwang in Fernwärmevorranggebieten (hierzu schon zB hier) hat das VG Freiburg am 16. Juni 2021 (1 K 5140/18) getroffen:
Was ist passiert?
Die Klägerin ist Eigentümer einer Supermarktkette, zu der auch ein Supermarkt in Baden-Württemberg gehört. Für das Gebiet, in dem der Supermarkt liegt, galt eine Fernwärmesatzung aus 1994, die 2000 geändert worden war. Die Satzung sah die Pflicht zum Anschluss an die Fernwärme vor, befreit werden konnte man nur, wenn der Anschluss wegen überwiegender privater Interessen nicht zumutbar war. Darauf berief sich die spätere Klägerin 2017 unter Verweis auf ein Klimatisierungskonzept unter Nutzung von Wärmepumpen und Abwärme der Kühlaggregate und Kühlmöbel. Die Gemeinde lehnte den Antrag auf Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang aber ab. Die Klägerin schloss sich an, legte aber gegen die Ablehnung Widerspruch ein. Ihr Hauptargument: Die Fernwärmesatzung diene dem Gesundheits- und Klimaschutz, aber ihr Konzept wäre für diese Belange sogar noch besser, weil sie mit Geothermie und Umweltwärme noch klimafreundlichere Technologien verwenden würde als die kommunale Fernwärme. Nachdem das Landratsamt den Widerspruch – unter anderem mit Verweis auf die Wirtschaftlichkeit der Fernwärme und die Leistungsfähigkeit der internationalen Supermarktkette – zurückgwiesen hatte, ging die Klägerin 2018 zu Gericht.
Offenbar war die Gemeinde von ihrer damaligen Fernwärmesatzung nicht so wirklich überzeugt. Sie änderte sie nämlich 2020 rückwirkend ab 2015 und fasste die Befreiungsvoraussetzungen neu. Nunmehr sollte vom Anschluss- und Benutzungszwang befreit werden, wer sich ausschließlich auf Basis Erneuerbarer Energien versorgt, und wenn dies den Stadtwerken als Fernwärmeversorger wirtschaftlich zumutbar ist.
Die Klägerin trug daraufhin vor, auch nach der neuen Satzung wären die Befreiungsvoraussetzungen erfüllt, weil ihre Filialen zu 100% mit Erneuerbaren Energien versorgt würden. Ansonsten sah sie die Satzung aus formellen Gründen als unwirksam an, unter anderem auch wegen der angeordneten Rückwirkung.
Was sagt das VG Freiburg?
Das VG Freiburg gab der Supermarktkette recht. Die Satzung aus 2000 sei schon fehlerhaft, weil die Beschränkung auf ausschließlich Erneuerbare Energien ohne Gleichstellung von Ersatzmaßnahmen nach § 7 EEWärmeG (heute im GEG aufgegangen) gleichheitswidrig sei. Es ist bemerkenswert, dass das Gericht hier mit einer gewissen Selbstverständlichkeit davon ausgeht, dass das Wärmekonzept der Supermarktkette mit Wärmepumpen, Abwärmenutzung der Tiefkühltruhen und Ökostromverträgen ökologisch hochwertiger wäre als das Blockheizkraftwerk des Kommunalversorgers. Konsequent würde das möglicherweise bedeuten, dass überhaupt kein Fernwärmevorrang verlässlich Bestand hätte, wenn ein Eigentümer sich eine Wärmepumpe kauft und Ökostrom bezieht. Angesichts des Verbreitungsgrades dieser Technologie begründet diese Ansicht angesichts des oft wirtschaftlich notwendigen hohen Anschlussgrades der Fernwärme ein erhebliches Risiko für eine wirtschaftliche kommunale Versorgung.
Weiter steht das Gericht auf dem Standpunkt, dass die Gemeinde das Gebot verbraucherfreundlicher Ausgestaltung der öffentlichen Fernwärmeversorgung missachtet hätte, die das Gericht aus dem Leistungsanpassungsrecht der (damals noch nicht geänderten) AVBFernwärmeV ableitet. Zwar verweist das Gericht selbst auf die Rechtsprechung des BVerwG, das 1991 urteilte, dass die AVBFernwärmeV das Recht zum Satzungserlass nicht aushöhlen dürfte (7 B 17, 18.91), im nächsten Satz will das VG Freiburg dann aber doch die Befreiungstatbestände der AVB übertragen. Angesichts der jüngsten Änderungen des Leistungsanpassungsrechts wäre, konsequent zuende gedacht, das Ferwärmevorranggebiet quasi wertlos.
Was halten wir davon?
Zunächst: Emissionsfreie Wärmeversorgung ist immer top. Und Wärmepumpen und Abwärmenutzung wichtige Bausteine der Wärmewende. Doch über sinnvollen Einzelregelungen darf der gemeindliche Rahmen nicht vergessen werden, denn am Ende zählt die Bilanz. Dem trägt das baden-württembergische Landesrecht durch die Pflicht zur kommunalen Wärmeplanung in den §§ 7c, 7d Klimaschutzgesetz Baden-Württemberg Rechnung. Doch eine kommunale Planung wird erschwert, wenn gerade größere Wärmeverbraucher die zentralen Strukturen verlassen und so kleineren Abnehmern die wirtschaftliche emisisonsarme Versorgung im Ergebnis oft unmöglich machen. Auch dogmatisch schwierig ist die Heranziehung der AVBFernwärmeV als „Stoppschild“ der normhierarchisch höherrangigen Gemeindeordnung (Miriam Vollmer).
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