10 Jahre ist es her, dass vor Japan der Meeresboden bebte und ein Tsunami eine Dreifachkernschmelze im Atomkraftwerk in Fukushima auslöste. Wegen der freigesetzten radioaktiven Strahlung mussten damals über 100.000 Menschen evakuiert werden. Ebenso wie der Super-GAU 1986 in Tschernobyl steht auch der in Fukushima auf der höchsten Stufe der internationalen Skala für nukleare Havarien, obwohl bei der Katastrophe in Fukushima nur etwa 10–20% der Strahlung freigesetzt wurde, als bei jener in Tschernobyl. Deutschland verkündete aufgrund des Super-GAUs nur wenige Tage später den Austritt aus der Kernkraft bis 2022. Und Japan?
Unmittelbar nach dem großen Unglück wurden alle 54 japanischen Reaktoren erst einmal abgeschaltet und einer verschärften Überprüfung unterzogen. Auch die Aufsicht wurde neu strukturiert, nachdem die vorherige Regulierungsbehörde zu stark unter dem Einfluss der Energieversorger stand. Ein Teil der Reaktoren blieb nach der Überprüfung abgeschaltet, 9 Reaktoren sind jedoch derzeit wieder in Betrieb.
Gleichwohl fristet die japanische Atomkraft seither nur noch ein Schattendasein. Vor der Katastrophe lieferte die Atomkraft etwa 30 % des japanischen Strombedarfs. In den beiden darauffolgenden Jahren lag der Anteil dann jeweils bei unter 3%, 2014 sogar bei null. Wie der fehlende Atomstrom kompensiert werden konnte, ist umstritten. Einige sagen, dass er durch eine sparsame Energiepolitik und den Ausbau erneuerbarer Energien ausgeglichen werden konnte, andere sind der Meinung, dass die Kompensation durch fossile Brennstoffe erreicht wurde. Und obwohl Japan quasi eine Steilvorlage für den Atomausstieg hatte, steigt der Anteil des Atomstroms im japanischen Energiemix seitdem wieder an und soll bis 2030 mindestens 20% erreichen. Im Jahr 2019 lag der Anteil gleichwohl nur bei 7,5 %.
Doch warum will Japan trotz der von Kernkraftwerken ausgehenden, bekannten Gefahren, trotz seiner für Atomkraft geografisch ungünstigen Lage und trotz des immer größer werdenden Widerstandes in der Gesellschaft zurück zur Kernkraft? Die simpelste Antwort wäre vermutlich: es liegt an der starken Atomlobby des Landes. Das würde zumindest auch die Antwort der Regierung erklären, die die Rückkehr zur Atomkraft mit der Rohstoffarmut ihres Landes und der damit verbundenen Abhängigkeit von Energieimporten begründete. Denn schaut man genauer hin, fällt einem auf, dass fossile Rohstoffe zwar tatsächlich eher Mangelware sind, Japan jedoch beste Voraussetzungen für die Nutzung alternativer Energien aus Sonne, Wind, Wellen und Geothermie hat.
Vor dem Atomdesaster von Fukushima war für Erneuerbare Energien im Strommix nur Platz für 4%, mittlerweile erzeugen sie immerhin knapp 20% des japanischen Stroms, 2050 soll der Anteil bei 50% liegen. Denn bis 2050 will auch Japan klimaneutral sein. Um dieses Ziel zu erreichen, will das Land jedoch nicht ausschließlich auf Erneuerbare Energien setzen, sondern auch auf „umweltfreundliche Atomkraft“, kohlenstoffarmen bzw. grünen Wasserstoff sowie Kohlekraft.
Der Anteil der Kohlekraft im Strommix liegt momentan bei etwa 30%. Auch 2030 soll der Anteil des Kohlestroms noch bei 26% liegen. Doch auch die Japaner wissen, dass beim Verfeuern von Braunkohle eine erhebliche Menge CO2 freigesetzt wird, sodass sie zum einen neuartige Kohlekraftwerke mit einem geringeren CO2-Ausstoß bauen zum anderen das trotzdem ausgestoßene CO2 mittels CCS-Technologie abscheiden und im Boden speichern wollen (sog. Carbon Capture and Storage). Ob dieser so vielversprechend ist, bleibt zu bezweifeln – insbesondere vor dem Hintergrund, dass die CCS-Technologie ökonomisch nicht sinnvoll ist.
Blickt man auf die Förderung von Atom‑, und Kohlekraft und den mangelnden Ausbau Erneuerbarer Energien, wird sichtbar, wie widersprüchlich Japans „Energiewende“ doch eigentlich ist (falls man überhaupt von Energiewende sprechen möchte). Und das, obwohl Japan die Langzeitfolgen einer Atomkatastrophe hautnah miterlebt: Etwa 40.000 Menschen leben noch immer fern ihrer Heimat. Einige wollen nicht zurückkehren, andere können aufgrund der Sperrzone nach wie vor nicht in ihr Haus zurück. Denn auch 10 Jahre später beträgt die Sperrzone um das Kraftwerk herum noch immer 30% der ursprünglichen Fläche und damit etwa 38% der Fläche Berlins.
Täglich sind noch immer knapp 5.000 Menschen im Einsatz, um geschmolzenen Brennstoff und hochradioaktive Trümmer zu bergen. 2022 sollen Millionen Liter kühl- und Regenwasser, die aus den Reaktorgebäuden abgepumpt wurden und momentan noch Tanks auf dem Gelände lagern, in den Pazifik abgelassen werden. Bis auf Spuren von Tritium ist das Wasser von radioaktiven Substanzen gereinigt. Vor dem Ablassen würde das Wasser abermals gereinigt und anschließend so verdünnt ins Meer eingeleitet, dass es internationalen Standards genüge. Einen großen – und auch verständlichen – Aufschrei gibt es trotzdem. Allerdings drängt die Zeit, da die Lagerkapazitäten auf dem Kraftwerksgelände Mitte des nächsten Jahres gefüllt sein werden. Bis das Kraftwerk dann irgendwann vollständig stillgelegt werden kann, dauert es wohl noch mindestens 40 Jahre.
(Josefine Moritz)
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