Eigentlich ist es ja im Zivilrecht ganz einfach. Streitigkeiten mit einem Streitwert mehr als 5000,00 EUR gehören vor das Landgericht, darunter ist das Amtsgericht anzurufen. Von diesem einfachen Grundsatz hat der Gesetzgeber jedoch in einigen Fällen Ausnahmen geschaffen – so auch im Energierecht.
Der § 102 EnWG bestimmt für bürgerlich-energierechtliche Streitigkeiten ohne Rücksicht auf den Streitwert eine ausschließliche gerichtliche Sonderzuständigkeit der Landgerichte. Dies soll für die Herausbildung einer gewisse Spezialisierung und besondere energierechtliche Sachkenntnis sorgen. Voraussetzung der Sonderzuständigkeit ist, dass es sich um eine bürgerliche Streitigkeit handelt, die sich gem. § 102 EnWG „aus diesem Gesetz“ – also dem EnWG – ergibt.
Da das Energierecht jedoch nicht nur im EnWG kodifiziert ist, fallen damit viele typische energierechtliche Streitfelder wie etwa Streitigkeiten aus dem EEG oder dem KWKG aus dem Anwendungsbereich dieser Sondervorschrift wieder hinaus. Zudem haben viele Zivilgerichte typische energierechtliche Streitigkeiten über die Bezahlung von Energielieferungen oder die Angemessenheit von Preisanpassungen vom Anwendungsbereich des § 102 EnWG ausgeschlossen, weil diese Fälle nach ihrer Ansicht nach dem BGB und nicht dem EnWG zu entscheiden seien. Schließlich ergäbe sich der Zahlungsanspruch des Versorgers aus § 433 BGB und die Angemessenheit von Preisanpassungen sei nach § 315 BGB zu beurteilen (OLG Celle, Beschluss vom 23. Dezember 2010, Az. 13 AR 9/10) und sogar die Frage der Abgrenzung eines Grundversorgungsvertrages (§ 36 EnWG) von einem Sonderkundenvertrag (§ 41 EnWG) soll kein Streit sein, der „nach dem EnWG“ zu entscheiden wäre. (OLG Hamm, 20.10.2014, Az. 32 SA 72/14).
Da bleibt für die vom Gesetzgeber angedachte Spezialisierung der Landgerichte gar nicht mehr so viel Raum.
In einem von uns aktuell geführten Verfahren war nun streitig, ob sich die Sonderzuständigkeit des Landgerichts nach § 102 EnWG auch auf Streitigkeiten erstreckt, die zwar nicht direkt nach dem EnWG selbst zu entscheiden sind, aber nach einer der zugehörigen Rechtsverordnungen, die ihre Ermächtigungsgrundlage im EnWG haben (wie etwa NAV/NDAV, Strom/GasGVV, Strom/GasNEV, Strom/GasNZV). Hier ist das Gericht unserer Auffassung gefolgt, dass auch diese Streitigkeiten der Sonderzuständigkeit des § 102 EnWG unterfallen.
Hierfür sprechen nach zutreffender Ansicht des Gerichts bereits Sinn und Zweck der Norm, der darin liegt, eine einheitliche Rechtsprechung auf dem Gebiet des Energiewirtschaftsrechts in allen Instanzen zu gewährleisten. Das Energiewirtschaftsrecht werde aber gerade maßgeblich durch die auf seiner Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen ausgestaltet. Würden diese nicht von der Zuständigkeitsnorm umfasst, wäre diese Zweckerreichung bedroht. Dies wird nach zutreffender Ansicht des Gerichts durch eine systematische Auslegung des Energiewirtschaftsgesetzes gestützt. § 32 Abs. 1 und 3 EnWG gewähren den Betroffenen Beseitigungs‑, Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche auch bei einem Verstoß gegen eine auf Grundlage der Vorschriften dieser Abschnitte (§§ 17 ff., 20 ff. EWG) erlassenen Rechtsverordnungen. Eine Differenzierung der sachlichen Zuständigkeit in diesen Fällen wäre weder sachlich gerechtfertigt noch sinnvoll (AG Luckenwalde, Beschluss vom 21.10.2020, 12 C 227/20 unter Verweis auf BGH, Beschluss vom 17. Juli 2018, EnZB 53/17). (Christian Dümke)
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