Es gibt krisenhafte Ereignisse, nach denen nichts auf der Welt mehr so erscheint wie zuvor. Die meisten werden sich noch an den 09.11.2001 und seine einschneidenden Folgen erinnern. Vermutlich wird es mit Corona nicht viel anders werden. Es ist nicht bloß eine Krankheit, die bei den meisten der Patienten hoffentlich bald vorüber sein wird. Sondern es werden „Narben“ bleiben, nicht nur bei den Patienten, sondern auch in der Gesellschaft insgesamt.
Die Phase der Ausgangsbeschränkungen, der Aufrufe zu Hause zu bleiben, bis hin zum kompletten Lock-Down, sie wird hoffentlich irgendwann aufhören. Denn dauerhaften Stillstand können wir alle nicht wollen, weder was die Wirtschaft, noch was die Bildung unserer Kinder, noch was unser Sozialleben angeht. Und das, was danach kommt, wird vermutlich kein „Zurück“ zu den alten Regeln und Gewohnheiten sein. Denn vor allem die Risikogruppen müssen weiter geschützt werden und selbst die „ganz normale“ Bevölkerung ist nicht gegen schwer verlaufende Fälle gefeit. Sogar wer nach überstandener Erkrankung immun ist, muss dies nicht immer bleiben. Denn das Virus entwickelt sich.
Wie das genau aussehen soll, mit Corona zu leben, ist noch unklar. Klar ist nur, dass bereits jetzt die Weichen gestellt werden müssen. Sonst könnten wir irgendwann in einer Welt aufwachen, für deren juristische und soziale Regeln wir uns nie bewusst entschieden haben. Viel von dem, was wichtig werden könnte, wird zur Zeit unter dem Stichwort „Smart Distancing“ verhandelt. Juristisch gesehen ist im Grunde das Meiste auch eine Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit: Wie können wir uns und insbesondere die Gefährdeten, also Alte und Immunschwache, effektiv schützen? Und wie können wir es tun, ohne dabei das Augenmaß zu verlieren und Freiheiten unnötig zu beschränken?
Oft sind diese Maßnahmen ganz simpel und konkret. Zum Beispiel die Einhaltung der Hygienemaßnahmen, wie regelmäßiges Händewaschen und die Einhaltung von Abständen. Oder vielleicht auch das Tragen von selbst geschneiderten Gesichtsmasken, nicht so sehr zum Eigenschutz, als vielmehr als Geste der Höflichkeit. Zum Schutz aller Anderen vor einer eigenen, unerkannten Infektion.
Manche Maßnahmen erfordern die Umgestaltung von öffentlicher Infrastruktur: So ist der öffentlicher Raum mit schmalen Gehwegen und der öffentliche Verkehr (insbesondere in der Rush-Hour) bislang nicht wirklich auf Minimierung der Ansteckung durch Einhalten von Abständen eingerichtet gewesen. Städte wie Vancouver, New York, Paris oder Wien haben daher vorübergehend Fahrbahnen für Fußgänger freigegeben. Gerade längerfristig, wenn sich die Straßen und S‑Bahnen wieder füllen sollen, dürfte es sinnvoll sein, den Menschen auf Bürgersteigen und in öffentlichen Verkehrsmitteln mehr Platz zu geben. Selbstverständlich bietet auch die Digitalisierung Möglichkeiten. Sowohl was Homeoffice angeht, als auch, um Ansteckungspfade per Handy-App anonymisiert nachzuvollziehen. Stets stellen sich in diesen Fällen auch rechtliche Fragen: Wie sind Grundrechte konkret abzuwägen? Sind die Eingriffe wirklich erfolgversprechend und erforderlich?
Aber abgesehen von der Infektion selbst wiegt kaum ein Eingriff schwerer, als kollektiv monatelang mit Ausgangsbeschränkungen leben zu müssen. Daher sollte das Arsenal an gezielten Maßnahmen eher hoffnungsvoll stimmen. Zumindest ein verhaltener Optimismus ist begründet, dass wir trotz der Verantwortung zur Infektionsvermeidung in nicht allzu ferner Zukunft wieder zu einem geregelten Alltag zurückkehren können (Olaf Dilling).
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