Stellen wir uns Herrn Rechts­anwalt R. vor, wie er fröhlich an seinem Schreib­tisch sitzt mit einer Tasse Kaffee. Neben seinem Büro sitzt sein Sekre­tariat, in seinem Sekre­tariat steht ein Schrank, und in dem Schrank stehen Akten. In den Akten stehen alle Möglichen teilweise brisanten Infor­ma­tionen aus internen Ermitt­lungen bei einem Mandanten. Nennen wir ihn das Unter­nehmen V.

Stellen wir uns weiter Frau Staats­an­wältin S. vor. Auch sie sitzt an ihrem Schreib­tisch, in der Rechten eine Tasse Tee, und denkt darüber nach, wie sie endlich Licht in die duiosen Abläufe beim Unter­nehmen V. bekommt. An R.’s Akten müsste man ran, denkt Frau S. und träumt vom § 94 StPO.

Zwei Tage später ordnet Frau S. die Durch­su­chung und Beschlag­nahme der Akten aus Rechts­anwalt R.’s Büro an. R. tobt. Die schönen Geheim­nisse. Wie kann das überhaupt sein, schließlich gelten doch für ihn als Anwalt § 97 Abs. 1 Nr. 3 und § 160a StPO, die ein Beschlag­nah­me­verbot auch für den Anwalt eines Beschul­digten enthalten.

Mit einer solchen Konstel­lation hat sich – nach erfolg­loser Anrufung der Fachge­richte – nun das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) beschäftigt und ist zu einem überra­schenden Ergebnis gekommen. Ganz abseits der – spezia­li­sierten Kollegen vorbe­hal­tenen – Frage, wie die Abwägung zwischen dem Ermitt­lungs­in­teresse und dem Anwalts­pri­vileg zu beurteilen ist: Kann es wirklich richtig sein, dass das BVerfG auslän­dische Kanzleien weniger schützen will als deutsche Häuser?

Hinter­grund dieser Diffe­ren­zierung: Das Grund­gesetz unter­scheidet zwischen auslän­di­schen und inlän­di­schen juris­ti­schen Personen. Dies ergibt sich aus Art. 19 Abs. 3 GG, wo es heißt:

Die Grund­rechte gelten auch für inlän­dische juris­tische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.“

Eine Kanzlei, die im Ausland ihren Hauptsitz hat und deren Entschei­dungen im Ausland getroffen werden, hat danach eine schwä­chere Rechts­stellung als eine deutsche Kanzlei (vgl. Rz. 25 der Entscheidung 2 BvR 1287/17). So weit, so gut. Die Kanzlei kann sich also nicht auf Grund­rechte berufen.

Doch kann es für die Schutz­wür­digkeit von Rechts­anwalt R.’s Akten wirklich einen Unter­schied machen, ob er zur Partner­ver­sammlung nach Berlin oder nach NYC fährt? Anwälte sind Freibe­rufler, sie bringen sich als Person ein, und werden auch als Person am anwalt­lichen Standes­recht gemessen. Herr R. ist nicht nur ein Mitar­beiter einer auslän­di­schen Kanzlei. Er ist ein deutscher Anwalt. Dies hat, meinen wir, das BVerfG nicht zutreffend gewürdigt.