Über Investitionsschutzabkommen hört man in der Öffentlichkeit wenig Gutes. Es handele sich um eine Paralleljustiz für Konzerne, nationale Standards würden unterlaufen: Im Internet und auch in manchen Medien gibt es eine ganz große Koalition von links nach rechts, die solche Abkommen verurteilt. Dabei ist der Grundgedanke solcher Abkommen sicherlich mehr als sinnvoll. Sie schützen den ausländischen Investor meist vor unrechtmäßigen Enteignungen, garantieren eine faire und gerechte Behandlung, das Recht, Gewinne ins Ausland zu transferieren und sichern Vertrauensschutz zu. Der Investor soll nicht durch plötzlichen und unerwartete Kehrwendungen des Landes, in dem er investiert, um sein Investment gebracht werden.
Auch die Idee, Verletzungen der jeweils vereinbarten Standards nicht vor ein nationales, sondern vor ein internationales Gericht zu bringen, ist an sich nachvollziehbar. Schließlich sind nationale Gerichte an nationale Gesetze gebunden. Wenn die Verletzungshandlung aber in einem nationalen Gesetz besteht, so verringert sich die Chance des Investors aus fremden Landen in vielen Fällen sicher ganz erheblich, geht der Rechtsstreit vor die Gerichte des Landes.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in einer viel diskutierten Entscheidung vom 06.03.2018 (Rs.: C‑284/16) den Weg zu internationalen Schiedsgerichten gleichwohl deutlich erschwert. Was war hier geschehen? Die Niederlande, Tschechien und die Slowakische Republik hatten 1991 ein Investitionsschutzabkommen mit Schiedsklausel abgeschlossen, das BIT.
Die Slowakische Republik wurde erst später Mitglied der EU und öffnete ihren Krankenversicherungsmarkt. U. a. ein niederländisches Unternehmen, die Achmea, wurde daraufhin im Lande aktiv. Aber 2006 machte die Slowakei die Liberalisierung teilweise rückgängig Sie verbot u. a. die Gewinnausschüttung. Nach einem Spruch des dortigen Verfassungsgerichts wurde dies erst 2011 wieder erlaubt. Das niederländische Unternehmen hatte aber nach eigenem Dafürhalten bis zu diesem Zeitpunkt bereits einen Schaden erlitten. Es forderte diesen als Schadensersatz vor einem Schiedsgericht ein. Dieses tagte in Frankfurt, so dass für den Schiedsspruch deutsches Recht Anwendung fand. Dieses enthält mit § 1059 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) eine Regelung, nach der Schiedssprüche u. a. aufgehoben werden können, wenn die Schiedsvereinbarung nach dem Recht, dem die Parteien sie unterstellt haben, ungültig ist oder wenn die Anerkennung oder Vollstreckung des Schiedsspruchs der öffentlichen Ordnung widerspräche.
Die Slowakische Republik war überzeugt, dass genau das vorliegt. Nachdem sie vom Schiedsgericht verurteilt wurde, 22,1 Mio. EUR an das niederländische Unternehmen zu zahlen, zog sie vor die deutschen Zivilgerichte. Das Unionsrecht gehe dem BIT vor, trugen die Anwälte der Slowakischen Regierung vor. Vor allem stützten sie ihre Bedenken auf Art. 19 EUV und Art. 344 AEUV, der lautet:
„Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, Streitigkeiten über die Auslegung oder Anwendung der Verträge nicht anders als hierin vorgesehen zu regeln.“
Daneben stützte die Slowakische Republik ihre Argumentation noch auf Art. 267 Abs. 1 AEUV, der seinerseits lautet:
„Der Gerichtshof der Europäischen Union entscheidet im Wege der Vorabentscheidung
a) | über die Auslegung der Verträge, | |
b) | über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union,“ |
Wird eine derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedstaats gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich, so kann es diese Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen.“
Doch sind diese Regelungen wirklich einschlägig? Schließlich streiten hier nicht Mitgliedstaaten, sondern ein Mitgliedstaat mit einer Krankenversicherung. Und geht es hier überhaupt um die Verträge der EU? Der Bundesgerichtshof (BGH), vor dem der Rechtsstreit schließlich landete, hatte Zweifel. Bei solchen Zweifeln über die Auslegung des Gemeinschaftsrechts darf ein deutsches Gericht nicht selbst entscheiden, sondern muss die Frage dem EuGH im sogenannten Vorabentscheidungsverfahren vorlegen. So kam der Rechtsstreit also am Ende nach Luxemburg.
Die Luxemburger Richter meinten, das Schiedsgericht habe schließlich EU-Recht anzuwenden. Für dieses seien aber nach den genannten Regelungen die Gerichte der Mitgliedstaaten und die Europäischen Gerichte zuständig. Zu diesen Gerichte gehöre ein solches Schiedsgericht nicht. Dies beeinträchtige die Autonomie und damit auch die volle Wirksamkeit des Unionsrechts. Die Schiedsklausel ist damit hinfällig. Der Schiedsspruch wird aufgehoben werden. Aus den 22,1 Mio. Schadensersatz wird also nur dann etwas, wenn – was wohl unwahrscheinlich ist – dies nach nationalem Recht und Europarecht der Fall sein sollte.
Der EuGH, so sinngemäß, will also keine anderen Gerichte neben sich haben. Schiedsvereinbarungen zwischen Mitgliedstaaten der EU sind damit wohl hinfällig. Anders mag es möglicherweise aussehen, wenn die EU selbst Partei eines Investitionsschutzabkommens ist. Allerdings ist es durchaus denkbar, dass auch dann der EuGH bei seinen Bedenken bleibt, weil auch in diesen Fällen kein Weg zum EuGH führen dürfte. Indes stellt sich die Frage, ob solche Abkommen nicht dem EU-Recht grundsätzlich vorgehen. Hier bleibt abzuwarten, ob in diesen Fällen auch zwischen EU-Mitgliedern Schiedsverfahren möglich sind. Oder nur zwischen Mitgliedstaaten oder der EU selbst und Dritten. Dies wird große Bedeutung auch für die Energiewende haben, weil sich gerade in diesem Bereich die Gesetzgebung in den letzten Jahren schnell geändert und damit Investitionen entwertet hat. Bekannt sind vor allem die Verfahren der Vattenfall AB wegen des Atomausstiegs und das inzwischen abgeschlossene Verfahren wegen des Kraftwerks Hamburg Moorburg. Aber auch das Vorgehen von RWE Innogy gegen Spanien wegen der geänderten Vergütung für Solarstrom.
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