Beim Blick auf die Uhr bekomme ich einen Schreck. Auweia. Es ist halb acht und es stehen noch eine ganze Reihe von Tages­ord­nungs­punkten an. In der Urania ist es saukalt und zumindest einige der Anträge in der Antrags­bro­schüre scheinen mir keine für die Breite der Berliner Anwalt­schaft wirklich wichtige Punkte zu berühren.

Wichtig ist aber das besondere elektro­nische Anwalts­postfach (beA). Frau Kollegin Dr. Auer-Reins­dorff gibt einen Abriss über die Abläufe, die dazu geführt haben, dass das beA immer noch offline ist. Der Ärger ist groß. Am Ende bekommen zwei Anträge überwäl­ti­gende Mehrheiten, die dem Präsi­denten der Bundes­rechts­an­walts­kammer (BRAK) Herrn Ekkehard Schäfer und dem verant­wort­lichen Vizeprä­si­denten Dr. Martin Abend das Misstrauen aussprechen und sie zum Rücktritt auffordern. Der Applaus ist groß, auch als Kammer­prä­sident Dr. Markus Mollnau erklärt, den Äußerungen der BRAK nicht mehr zu vertrauen. In diesem Punkt ist der Saal sich einig. Offenbar sehen die Präsi­denten der anderen Kammern in der Haupt­ver­sammlung der BRAK das anders. Aller­dings kann ich mir kaum vorstellen, dass die Mitglieder der anderen Kammern das Debakel mit dem beA anders beurteilen als wir.

Neben denen, die sich – wie ich – über das technische Versagen der BRAK und die schlechte Kommu­ni­kation nach dem 22.12.2017 ärgern, gibt es aber nach wie vor eine gar nicht so kleine Minderheit, die elektro­nische Kommu­ni­kation in Bausch und Bogen ablehnt. Ein weißhaa­riger Herr scheint in seiner Wortmeldung schon den Computer als solchen für Teufelszeug zu halten. Gar nicht so wenige wenden sich gegen die Nutzungs­pflicht und wollen offenbar weiterhin der Post und Fax operieren. Mir will das nicht in den Kopf. Ich habe dermaßen viel Lebenszeit damit verbracht, vorm Faxgerät zu beten, dass meine Schrift­sätze samt Anlagen durch­gehen, aufwändig über Gerichts­voll­zieher an Gegen­seiten zuzustellen und nachts vorm Verwal­tungs­ge­richt Berlin Brief­um­schläge in den Nacht­brief­kasten zu stopfen: Ich bin für alles, was elektro­nisch funktio­niert. Immerhin bekommt der Vorstand nicht den Auftrag, sich gegen die Nutzungs­pflicht einzu­setzen, aber die Abstimmung verläuft knapper, als ich dachte.

Vor allem bin ich aber für ein halbwegs pünkt­liches Ende dieser Veran­staltung. Wir haben noch zwei wichtige Punkte. Den Haushaltsplan, den Schatz­meister Kollege Plassmann vorstellt, und in dessen Rahmen die Berliner Kollegen aus Rücklagen zumindest einen Teil des Sonder­bei­trags fürs beA zugeschossen bekommen. Und die Änderung der Wahlordnung, weil der Gesetz­geber künftig per Brief- und elektro­ni­scher Wahl die Vorstände wählen lassen will. Ich finde das gut: Im Raum sind etwas über 400 Personen, bei Wahlver­samm­lungen auch mal 700, aber bei 14.000 Mitgliedern würde eine elektro­nische Wahl vermutlich zu einer breiteren Reprä­sen­tation aller Anwälte im Vorstand führen. Abwei­chend vom ursprüng­lichen Antrag entscheidet sich die Versammlung für eine Wahl bis zum Tag nach der Kammer­ver­sammlung, damit zumindest dieje­nigen, die das wollen, sich die Kandi­daten noch einmal ansehen können.

Der letzte Teil aller­dings schleppt sich. Ein Kollege stellt über zehn einzelne Anträge, teilweise zu ausge­sprochen klein­tei­ligen Frage­stel­lungen und ich muss mich sehr zusam­men­nehmen, um nicht die ganze Zeit laut zu gähnen. Langsam leert sich der Saal. Bei den letzten Abstim­mungen sind nur mehr etwas über 130 Kollegen im Saal. Ein weiterer Kollege hatte eine ausge­sprochen kontro­versen Antrag angekündigt, war dann aber zum Zeitpunkt der Antrags­be­fassung selbst nicht mehr da. Norma­ler­weise hätte ich mich geärgert, aber gerade ist mir das alles recht.

Das Kammerfest hat man sich nicht allzu bacchan­tisch vorzu­stellen. Es gibt Suppe, Curry­wurst und vegeta­rische Maulta­schen. ich trinke zwei Weißwein, treffe frühere Kollegen, Kollegen aus anderen Häusern und plaudere so ein bisschen hin und her. Ich bin wegen meiner Spezia­li­sierung bundesweit aktiv. Deswegen kenne ich weniger Berliner Kollegen als andere Anwälte, die mehr vor Ort aktiv sind. Trotzdem, als ich auf die Uhr schaue ist es kurz vor zwölf. Ich bin todmüde, total verfroren, und als ich mit Kollegen im Taxi Richtung Prenz­lberg sitze, fallen mir fast die Augen zu. Mindestens zwei Stunden gehen auf die Kappe von nur drei Kollegen, schießt es mir durch den Kopf. Und dass es vielleicht eine gute Idee wäre, Anträge müssten von einer gewissen Zahl von Kollegen unter­stützt werden, was mögli­cher­weise eine Filter­funktion haben könnte und die Kammer­ver­samm­lungen inhaltlich vielleicht aufwerten könnte. Wenn ab 2019 schon nicht mehr gewählt wird.