EU-weite Gefahren durch nach Deutschland impor­tierte Pick Ups

Um auf den Straßen Klima­schutz und Verkehrs­si­cherheit durch­zu­setzen, sollten die Europäische Union und Deutschland idealer­weise an einem Strang ziehen: Denn nicht nur das deutsche Straßen- und Straßen­ver­kehrs­recht, sondern auch das das europäi­sierte Recht der Straßen­ver­kehrs­zu­lassung hat Auswir­kungen auf CO2-Ausstoß und Verlet­zungs­risiko der Fahrzeuge.

Nun ist in Deutschland nicht nur die Straßen­ver­kehrs­rechts­reform blockiert, sondern die Verkehrs­ver­waltung hinter­treibt drüber hinaus auch die europäi­schen Ansätze, Klima­schutz und „Vision Zero“ durch­zu­setzen. Denn für den Import von Fahrzeugen gibt es neben der Typge­neh­migung auch die Einzel­ge­neh­migung (Individual Vehicle Approval – IVA), die Ausnahmen von den Produkt­stan­dards zulässt. Dieses Schlupfloch wird von den deutschen Zulas­sungs­be­hörden so weit ausgelegt, dass inzwi­schen Tausende großer Pick Ups und SUVs jährlich nach Deutschland impor­tiert und in andere EU-Mitglied­staaten weiter­ver­kauft werden.

An sich gibt es in der EU nämlich vergleichs­weise strenge Produkt­stan­dards für Automobile. Dies zeigt jeden­falls der Blick über den großen Teich: In den USA und in Kanada werden die SUVs und Pick Ups immer martia­li­scher. Gerade das sogenannte „Front-End“ rund um Stoßstange und Kühler­haube erinnert auch bei Trucks, die privat im urbanen Umfeld genutzt werden, an Militär­fahr­zeuge, die sich den Weg durch feind­liches Terrain bahnen müssen.

Diese Fahrzeuge weisen mehrere Merkmale auf, die an ihrer Eignung für einen zivilen Straßen­verkehr zweifeln lassen. Was die Verkehrs­si­cherheit angeht, führt das Design des sogenannten „Front-End“, also Stoßstange, Kühler­grill und ‑haube, zu mehr schweren und tödlichen Unfällen mit vulner­ablen Gruppen, insbe­sondere Kindern, Fußgängern, Fahrrad­fahrern und Menschen, die im Rollstuhl fahren. Je höher und ausge­prägter die Kühler­haube, ist desto leichter werden Fußgänger an lebens­wich­tigen Organen oder gar am Kopf verletzt. Die Höhe der Kühler­haube und das robuste Design der Fenster­rahmen führt zu großen Bereichen, die nicht einge­sehen werden können, so dass kleine Kinder, Rollstuhl­fahrer oder Radfahrer und beim Abbiegen übersehen werden. Das hohe Gewicht bedingt zudem eine hohe kinetische Energie beim Aufprall.

Pick -Up Truck

Das Gefühl der Sicherheit, dass diese Fahrzeuge ihren Insassen vermitteln wird teuer erkauft durch den Verlust an Sicherheit für alle anderen Verkehrs­teil­nehmer. Dies spiegelt sich deutlich in der Verkehrs­un­fall­sta­tistik der USA wieder, die nach dem konti­nu­ier­lichen Sinken der Unfall­zahlen bis ca 2010 seitdem einen deutlichen Anstieg verzeichnet. Besonders drastisch ist der Anstieg bei den Fußgängern. Seit 2020 gibt es einen solchen Anstieg auch in anderen OECD-Ländern, auch in Deutschland und besonders markant im Bereich der Fußgänger. Auch wenn das Fahrzeug­design sicher nur einer von mehreren Faktoren ist, trägt es zum Gefühl der Unsicherheit bei, und führt in einer Art Teufels­kreis zum weiteren Wettrüsten auf den Straßen.

Auch was Klima­schutz angeht, entsprechen die Pick-Ups und großen SUVs aus den USA nicht den Europäi­schen Vorgaben. Trotzdem werden sie im Wege der Einzel­ge­neh­migung von deutschen Zulas­sungs­be­hörden genehmigt. Tatsächlich lässt die EU Verordnung gemäß Artikel 44 der Verordnung (EU) 2018/858 die indivi­duelle Geneh­migung zu. Dass  exzessiv von diesem Schlupfloch Gebrauch gemacht wird, zeigt die Tatsache, dass die Zahl der Neuzu­las­sungen dieser Fahrzeuge von knapp 3000 im Jahr 2019 auf 6800 im Jahr 2022 angestiegen sind. Typischer­weise wird nach Deutschland impor­tiert und dann innerhalb der EU weiterverkauft.

Zuständig ist das Kraft­fahr­bun­desamt und verant­wortlich letztlich das Bundes­ver­kehrs­mi­nis­terium. Das FDP-geführte Verkehrs­ressort hat nicht nur seine Hausauf­gaben im Klima­schutz nicht gemacht. Es verhindert mit seiner ideolo­gi­schen Fixierung auf Freihandel und „Konsum­de­mo­kratie“ auch, dass die Ansätze der EU zum Schutz von Klima und Verkehrs­si­cherheit durch­ge­halten werden. (Olaf Dilling)

2024-07-24T11:16:12+02:0026. April 2024|Kommentar, Umwelt, Verkehr|

Vision Zero: Tod auf der Landstraße

Wie wie der Presse entnehmen konnten, ist am Dienstag ein Aktivist der Radfah­rer­szene gestorben, dessen Beiträge wir unter dem Pseudonym „Natenom“ gerne bei Twitter gelesen haben. Natenom war mit den Fahrrad auf der Landstraße auf Strecken von 50 bis 80 km am Tag unterwegs. Er fuhr auch im Winter und abends.

Er wies immer wieder darauf hin, welche Gefahren daraus resul­tieren, wenn Fahrrad­fahrer zu eng und zu schnell überholt werden. Zum Teil auch von Autofahrern, die sich darüber aufregen, dass sie die Fahrbahn nicht für sich haben und die dem Fahrrad­fahrer durch riskantes Überholen ein Denkzettel verpassen wollen.

Dabei gibt es gute Gründe, warum Natenom die Fahrbahn nicht nutzte. Oft gab es keinen Fahrradweg, manchmal war er nicht benut­zungs­pflichtig, weil er nicht per Verkehrs­zeichen angeordnet war, oder in einem Zustand, dass er nicht benutzbar war.

Wenn Natenom die Polizei auf das Fehlver­halten der anderen Verkehrs­teil­nehmer aufmerksam machte, dann wurde das in der Regel nicht verfolgt. Im Gegenteil wurde ihm nahe gelegt, seine Anzeigen sein zu lassen.

Natenom ist genau wegen dieser Misstände gestorben, die er täglich angeprangert hat. Er wurde von einem Kraft­fahrer von hinten überfahren und ist an seinen schweren Verlet­zungen gestorben. Es ist inakzep­tabel, dass immer noch so viele Fahrrad­fahrer auf deutschen Straßen sterben. Wenn sein Tod dazu führt, dass sich an der Infra­struktur etwas bessert und an der mangelnden Bereit­schaft, Regeln auf der Straße durch­zu­setzend, wäre das durchaus im Sinne von Natenom. (Olaf Dilling)

2024-02-02T09:33:24+01:002. Februar 2024|Kommentar, Verkehr|

Reform der StVO: Ringen um Vision Zero

Bei der Reform der StVO ist aktuell noch Einiges in Bewegung. Vorgestern hat der Verkehrs­aus­schuss des Bundesrats einige Änderungs­emp­feh­lungen beschlossen. Am 24.11.2023 soll dann im Plenum abgestimmt werden. Bis dahin gibt es zwischen den Ländern und den betei­ligten Bundes­mi­nis­terien noch erheb­lichen Abstimmungsbedarf.

Denn vom Verkehrs­aus­schuss wurden gleich mehrere Änderungs­an­träge mehrheitlich empfohlen. Vor allem waren sich die Verkehrs­po­li­tiker der Länder weitgehend einig, dass die Verkehrs­si­cherheit nicht ins Hinter­treffen geraten darf und stärker betont werden solle.

In den Verwal­tungs­vor­schriften zur  StVO findet sich zwar bereits ein Verweis auf die „Vision Zero“ (keine Verkehrs­un­fälle mit Todes­folge oder schweren Perso­nen­schäden) als Grundlage aller verkehr­lichen Maßnahmen. Das hilft zwar, die Proble­matik in der Verwaltung stärker ins Bewusstsein zu rufen, ist aber in dieser Form nicht bindend für Gerichte. Das Straßen­ver­kehrs­recht gilt daher weiter als beson­deres Ordnungs­recht, so dass auf Abwehr konkreter Gefahren abgestellt wird. Der Gedanke der Prävention von abstrakten Gefahren gerät dabei ins Hintertreffen.

Der Verkehrs­aus­schuss empfiehlt nun, das Ziel von „null“ Verkehrs­toten und Schwer­ver­letzten ausdrücklich in die StVO aufzu­nehmen. Nur ein Bundesland, Brandenburg, stimmte gegen den Antrag.

Neben dieser Empfehlung fanden noch weitere Änderungs­vor­schläge Mehrheiten, beispiels­weise die Ermög­li­chung von Lücken­schlüsse zwischen zwei Tempo 30-Abschnitten bis auf eine Distanz von 1000 m (statt 500 m) zuzulassen, um häufige Tempo­wechsel zu vermeiden. Weiterhin gibt es nun die Empfehlung, die Regel­bei­spiele für schüt­zens­werte Einrich­tungen wie Schulen, Kinder­gärten und – nach dem aktuellen StVO-Entwurf – auch hochfre­quen­tierte Schulwege oder Spiel­plätze, in die Verwal­tungs­vor­schrift zu verlagern. Dies hätte den Vorteil, dass sie leichter geändert und angesichts der neuen unbestimmten Rechts­be­griffe (wie „Spiel­plätze“ oder „hochfre­quen­tierte Schulwege“) auch besser präzi­siert werden könnten.

Es sieht so aus, als könnte die Reform der StVO, die im Kabinetts­entwurf hinter den Erwar­tungen des Koali­ti­ons­ver­trags zurück­ge­fallen ist, nun doch größeres Innova­ti­ons­po­tential entfalten. Aller­dings hat das Bundes­ver­kehrs­mi­nis­terium offenbar schon signa­li­siert, dass bestimmte Änderungen nicht akzep­tiert würden. Bis zum Plenar­ent­scheidung des Bundesrats wird also noch viel verhandelt werden müssen. Wenn dabei am Ende mehr für die Sicherheit im Straßen­verkehr heraus­springt und die Kommunen größere Handlungs­spiel­räume erhalten, dann hat es sich gelohnt. (Olaf Dilling)

2023-11-10T12:41:49+01:0010. November 2023|Verkehr|