re Advents­ka­lender Tür 1 – Vergleich über Schulweg-Ampel

Alle Jahre wieder…“ wollen wir unseren virtu­ellen re Advents­ka­lender aufleben lassen, mit dem wir unserer Leser­schaft einen kleinen Einblick geben, was unsere Kanzlei in diesem Jahr so an Verfahren und Projekten betrieben hat.

re Adventskalender mit winterlicher Landschaft und Bergen mit Weihnachtsbäumen und einem hell erleuchteten Haus.

Vor zwei Jahren haben wir hier im Advents­ka­lender unter dem „13. Türchen“ über eine Klage berichtet, mit der Kinder und Senioren eine Fußgän­ger­ampel über eine vierspurige Straße in Berlin-Neukölln erstreiten wollten. Wir würden hier jetzt gerne über den Erfolg dieser Klage berichten, um Mut zu machen in einer Zeit, in der die Berliner Verkehrs­un­fall­sta­tistik wieder mehr Tote und Schwer­ver­letzte zu verzeichen hat, gerade beim Fuß- und Radverkehr. Die Bilanz ist aber leider besten­falls durchwachsen:

Zwar haben sich drei Kinder und zwei Senio­rinnen die Licht­si­gnal­anlage vor Gericht erkämpft. So hatte das Land Berlin nach Erhebung der Klage zunächst die gefor­derte Ampel zugesagt und sich schließlich zur Beendigung des Verfahrens auch in einem gericht­lichen Vergleich zu ihrer Einrichtung verpflichtet. Darüber hinaus will das Land auch die Kosten des Rechts­streits übernehmen – ein klares Zeichen, dass an der Klage auch rechtlich was dran war.

Verkehrszeichen T30, Achtung Kinder, Überholverbot

Obwohl die Initiative diesen Sieg bereits im März errungen hat, gibt es bis heute keine sichere Querung für Schul­kinder, ältere Menschen und allgemein den Fuß- und Fahrrad­verkehr über die vierspurige Straße. Die Umsetzung des Vergleichs zieht sich hin und es gibt noch nicht mal eine feste zeitliche Perspektive, bis wann die Anlage einge­richtet werden soll.

Ein paar Wochen sind es nun noch bis Weihnachten. Wir haben die Hoffnung noch nicht verloren, dass die Berliner Senats­ver­waltung den Kindern und Menschen mit Gehbe­hin­derung in Neukölln ihren Wunsch erfüllt und einen realis­ti­schen und konkreten Zeitplan zur Umsetzung entwi­ckelt: Versprochen ist schließlich versprochen!

Das Klage­ver­fahren führte für die Kläge­rinnen und Kläger Dr. Olaf Dilling.

2024-12-03T19:42:56+01:002. Dezember 2024|Allgemein, Verkehr|

StVO-Reform: Rechtsrat ohne Verwal­tungs­vor­schrift, geht das?

Wenn der Gesetz- und Verord­nungs­geber schnell noch in der Legis­la­tur­pe­riode was durch­bringen muss, dann kommt oft die Minis­te­ri­al­ver­waltung nicht hinterher. Mit der Konse­quenz, dass Gesetze und Verord­nungen in Kraft sind, bezüglich deren Auslegung vieles unklar ist. So aktuell etwa bei der StVO-Reform, die mit einiger Verzö­gerung schließlich im Oktober in Kraft getreten war. Das Fehlen konkreter Dienst­an­wei­sungen ist schlecht für die Mehrheit der Rechts­an­wender. Insbe­sondere die untere, operative Verwal­tungs­ebene und die Kommunen steht vor dem Problem, nun mit unbestimmten Rechts­be­griffen hantieren zu müssen. Vorteilhaft weil profi­tabel sind die Rechts­un­si­cher­heiten allen­falls für Rechts­an­wälte, die ihren Rechtsrat verkaufen wollen.

Aber ist das seriös überhaupt möglich? Denn bekanntlich steht in den Verwal­tungs­vor­schriften (VwV) oft mehr und Genaueres drin, als in den Gesetzen und Verord­nungen. Insofern besteht eine gewisse Wahrschein­lichkeit, dass der Rechtsrat durch die Neufassung der VwV bald überholt sein wird.

Nun, hier kommt die Kunst der Auslegung in Spiel. Dabei muss die neue Norm in den vorhan­denen Kontext gesetzt und aus ihm heraus verstanden werden. Genauer gesagt geht die juris­tische Methodik von verschie­denen, unter­schied­lichen Kontexten aus: Es gibt den allge­mein­sprach­lichen Kontext, die sogenannte wörtliche Auslegung, den syste­ma­ti­schen Kontext des Rechts­systems und der Rechts­sprache, den rechts­po­li­ti­schen Kontext und den zweck­be­zo­genen Kontext der Praxis­pro­bleme, die sich stellen.

Ein Beispiel: Seit dem 04. Oktober 2024 können Straßen­ver­kehrs­be­hörden gemäß dem neuen § 45 Abs. 9 Satz 4 Nr. 6 StVO unter erleich­terten Bedin­gungen in weiteren Fällen strecken­be­zogen Geschwin­dig­keits­be­schrän­kungen auf 30 km/h anordnen. Dies geht auch an überört­lichen Bundes‑, Landes- und Kreis­straßen und sonstigen inner­ört­lichen Vorfahrts­straßen. Voraus­setzung dafür ist, dass sich die Geschwin­dig­keits­be­gren­zungen im unmit­tel­baren Bereich von an diesen Straßen gelegenen Fußgän­ger­über­wegen, hochfre­quen­tierten Schul­wegen, Spiel­plätzen und Einrich­tungen für Menschen mit Behin­de­rungen befinden.

Statue von spielenden Kindern im Park

Statue spielender Kinder im Park: Strecken­be­zogen Tempo 30 jetzt auch in unmit­tel­barer Nähe von Spiel­plätzen und hochfre­quen­tierten Schulwegen.

Was in diesen Fällen genau unter „im unmit­tel­baren Bereich“ gemeint ist, darüber sagt die Verordnung nichts. Die bisher nicht aktua­li­sierte VwV sagt nur etwas zu den schon vorher geregelten Ausnahmen von Einrich­tungen, d.h. Kinder­gärten, Kinder­ta­ges­stätten, allge­mein­bil­dende Schulen, Förder­schulen, Alten- und Pflege­heime oder Krankenhäuser:

Die strecken­be­zogene Anordnung ist auf den unmit­tel­baren Bereich der Einrichtung und insgesamt auf höchstens 300 m Länge zu begrenzen. Die beiden Fahrt­rich­tungen müssen dabei nicht gleich behandelt werden.

Da stellt sich die Frage, ob sich diese Regelung auf Fußgän­ger­überwege, hochfre­quen­tierte Schulwege und Spiel­plätze übertragen lassen. Denn die räumliche Ausdehnung aller dieser Fälle ist an sich typischer­weise unter­schiedlich. Fußgän­ger­überwege sind relativ schmal, Einrich­tungen wie Schulen und Kranken­häuser etwas breiter, hochfre­quen­tierte Schulwege können sich dagegen über einen längeren Abschnitt, sagen wir 400 m, entlang einer Straße erstrecken. Um der daraus resul­tie­renden abstrakten Gefahr abzuhelfen, wäre es erfor­derlich, die strecken­be­zogene Anordnung zumindest auf den gesamten Strecken­ab­schnitt, im genannten Beispiel von 400 m, auszu­dehnen. Das wäre dann wohl auch im Kontext des allge­mein­sprach­lichen Wortlauts von „im unmit­tel­baren Bereich“ vertretbar.

Aber es gibt ja auch den rechtlich-syste­ma­ti­schen Kontext: Angesichts der hohen Bedeutung der Schutz­güter des Lebens und der Gesundheit in Art. 2 Abs. 1 GG, die sich auch in der VwV zu § 1 StVO in Form der Vision Zero wider­spiegelt, sollte eine Pufferzone einge­plant werden. Denn bei lebens­naher Betrachtung bremsen Kraft­fahrer nicht immer meter­genau bis zum Verkehrs­schild auf die vorge­schriebene Geschwin­digkeit ab. Zudem halten sich Schüler nicht immer strikt an ihren Schulweg. Der Einfachheit halber und um die Norm übersichtlich zu halten, könnte hier an die bestehende Regelung angeknüpft werden, so dass die Länge des an der Straße verlau­fenden hochfre­quen­tierten Schulwegs um eine bis zu 300 m lange Pufferzone ergänzt wird. Im Beispiel würde eine maximale Gesamt­länge von 700 m resultieren.

Es lässt sich aber nicht ganz ausschließen, dass das Bundes­mi­nis­terium für Infra­struktur und Verkehr sich anders, nämlich im Interesse der Kraft­fahrer und der Leich­tigkeit des Kfz-Verkehrs entscheidet. Die „Bottom line“ wäre dabei zumindest, dass durch den Vollzug der Verordnung ein Mindestmaß an effek­tivem Schutz für „schwä­chere Verkehrs­teil­nehmer wie Kinder und Senioren“ sicher­ge­stellt wird. Dies lässt sich im rechts­po­li­ti­schen Kontext auch aus der Begründung der Verordnung ableiten. Unter Berück­sich­tigung des teleo­lo­gisch-zweck­be­zo­genen Kontexts der Norm sollte dann zumindest der Anhal­teweg (der sich aus Reakti­onsweg und Bremsweg zusam­men­setzt) als Pufferzone auf beiden Seiten zusätzlich mit einkal­ku­liert werden. Bei 50 km/ h wären das dann 40 m, die vor der Gefah­ren­stelle jeweils mindestens zusätzlich einge­räumt werden sollten. Insgesamt wären es im Beispiel also 440 m, gegebe­nen­falls um jeweils 40 m auf beiden Straßen­seiten versetzt. Hierbei werden die Spiel­räume deutlich, wobei mit Gründen für die eine oder die andere Lesart argumen­tiert werden kann.

Fazit: Bei der Rechts­be­ratung auf der Grundlage neuer Gesetze und Verord­nungen ist oft vieles unklar, was die Auslegung angeht. Was Rechts­an­wälte dann bieten können, ist pausible Lesarten zu entwi­ckeln und gut zu begründen. Es lässt sich dann zwar oft nicht mit Sicherheit sagen, wie die Norm konkre­ti­siert wird. Wir können aber Spiel­räume aufzeigen, in denen sich recht­liche Festle­gungen mit hoher Wahrschein­lichkeit bewegen werden. (Olaf Dilling)

2024-11-26T18:31:34+01:0026. November 2024|Verkehr, Verwaltungsrecht|

Kinder im Berliner Verkehr

Die Zahl der Kinder, die in Berlin im Verkehr verletzt werden, ist in den letzten Monaten stark angestiegen. Im Vergleich zum Vorjahr sind 50 % mehr Kinder verletzt worden, insgesamt dieses Jahr 730. Offenbar wird in Berlin aktuell zu wenig für Verkehrs­si­cherheit getan. Das passt dazu, dass in den letzten Wochen vom Berliner Senat laut darüber nachge­dacht wurde,  Tempo 30 vor Schulen und Alten­heimen auf den Prüfstand zu stellen. Aller­dings ist dieser Vorschlag nach Protesten der SPD nun wohl wieder vom Tisch.

Statt­dessen macht die Verkehrs­se­na­torin Ute Bonde eine Werbe-Kampagne für 300.000 Euro, die an das „Monster“ im Verkehrs­teil­nehmer appel­liert. Alle sollen ein bisschen weniger emotional und aggressiv unterwegs sein. Ob das die Eltern von Grund­schul­kindern beruhigen wird?

Es bleibt jeden­falls weiter bei der wohl einzigen Schul­straße in Berlin, in der Kfz-Verkehr zugunsten des Rad- und Fußver­kehrs ausge­sperrt bleibt. Und Geld für den Bau von bereits geplanten Fußgän­ger­ampeln ist oft nicht da, so dass Schul­kinder oft zum Teil über mehrspurige Straßen ohne sichere Querungs­hilfen gehen müssen.

Immerhin hat das Oberver­wal­tungs­ge­richt (OVG) Berlin nun die Poller in der Fahrrad­straße, die in der Tuchol­sky­straße einge­richtet wurde, vor dem Abbau gerettet. Dort hatten Anwohner, Geschäfts­leute und Gastro­nomen geklagt und einen Eilantrag gestellt, weil der Durch­gangs­verkehr gestoppt worden war. Vor dem Verwal­tungs­ge­richt Berlin hatten sie zunächst recht bekommen. Das OVG entschied nun, dass wegen des gemein­samen Rad- und Kfz-Verkehr eine quali­fi­zierte Gefah­renlage bestanden hatte. Eine Fahrrad­straße, die nicht nur von Anliegern, sondern auch von anderen Kfz-Führern ungehindert durch­fahren werden kann, würde tatsächlich keine zusätz­liche Sicherheit bieten. (Olaf Dilling)

2024-10-03T06:33:54+02:003. Oktober 2024|Allgemein, Kommentar, Rechtsprechung, Verkehr|