BGH zu Netzentgelten: Beurteilungsspielraum der BNetzA nicht überschritten
Energiewende bedeutet nicht einfach nur: Kohlekraftwerk A wird abgerissen und Windkraftanlage B statt dessen aufgebaut. Dort, wo heute Atomkraftwerke oder Kohlekraftwerke stehen, sind nämlich oft – wenn nicht meistens – nicht die idealen Standorte für Anlagen, die aus Erneuerbaren Energien Strom generieren. Auch wenn die Erzeugungskapazitäten gleich bleiben würden, muss Strom künftig über ganz andere Strecken transportiert werden. Und außerdem braucht man wegen der Volatilität von Windkraft- und PV-Anlagen künftig deutlich mehr Reservekapazitäten, damit im Falle einer Dunkelflaute nicht auf einmal die Lichter ausgehen. Auch darauf müssen sich Netze künftig einstellen. Grundlegende Umbauten sind aber nicht für nichts zu haben. Wer eine Energiewende will, braucht starke Netzbetreiber. Auch aus diesem Grunde ist die Entscheidung des Bundesgerichtshof vom 09.07.2019 (EnVR 41/18 und EnVR 52/18) zu bedauern.
Der BGH hob mit dieser Entscheidung eine Entscheidung des Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf vom 22.03.2018 auf (3 Kart 143/16 (V) u. a.). In dieser Entscheidung hatte das OLG die Festlegung der Renditen durch die Bundesnetzagentur (BNetzA) als rechtswidrig angesehen. Diese hatte die Eigenkapitalverzinsung der Netzbetreiber Ende 2016 unter Verweis auf die allgemeine Zinsentwicklung deutlich beschnitten. Dabei stützte sie sich auf ein umstrittenes Gutachten von Frontier Economics Ltd. London, das unter Verwendung von teils internationalen Vergangenheitswerten einen risikolosen Basiszinssatz und einen Wagniszuschlag berechnet hat. Verbände und Unternehmen ließen die Frage der angemessenen Eigenkapitalverzinsung ebenfalls mehrfach nachprüfen und gelangten zu völlig anderen Ergebnissen. U. a. wurde bemängelt, dass die BetzA bei den Restlaufzeiten von Anleihen nicht differenziert hat. Auch wurden beim Wagniszuschlag auch Länder wie China und Russland herangezogen, was zu Verzerrungen führen musste. Die Mittelwertberechnung und der EU-Vergleich seien fehlerhaft, der Umgang mit der kalkulatorischen Gewerbesteuer unrichtig, die Kapitalstruktur der Vergleichsunternehmen nicht hinreichend gewürdigt worden und gegenüber der Vorgehensweise im TK-Bereich bei Altanlagen grundlos abgewichen worden.
Das OLG hatte die Festlegung der Marktrisikoprämie bemängelt. Diese beruhe auf einer methodisch unzulässigen Verengung. Dies sah der BGH nun anders. Bisher liegen allerdings noch keine ausführlichen Gründe vor, warum das höchste deutsche Zivilgericht die Entscheidung des OLG aufgehoben hat. Die Pressemitteilung liest sich aber so, als hätten die Karlsruher Richter die ziselierten Details der Entscheidung des OLG Düsseldorf nicht besonders interessiert. Statt dessen beruht ihre Entscheidung offenbar auf einer grundlegend abweichenden Ansicht über den Spielraum der BNetzA bei der Festlegung der Eigenkapitalverzinsung. Danach ist wohl nur die Methodik, nicht aber ihre Anwendung gerichtlich voll überprüfbar.
Dies wäre – wenn die Gründe dies bestätigen – nicht nur vom Ergebnis her aus den eingangs erwähnten Überlegungen zu bedauern. In einem Rechtsstaat sollte der Bereich der gerichtlich nicht überprüfbaren Beurteilungsspielräume möglichst eng ausfallen, um den Bürger vor einer fehlerhaften oder gar willkürlichen Ausübung öffentlicher Gewalt zu schützen. Auch diejenigen, die niedrige Netzentgelte begrüßen, weil sie sich eine Senkung der Stromkosten erhoffen, sollten eine solche Entwicklung in Ansehung von Art. 19 Abs. 4 GG deswegen nachdenklich stimmen.