Berliner Verfas­sungs­ge­richt: Autofreie Innen­stadt zulässig

Dass Fußgän­ger­zonen rechtlich zulässig sind, ist klar. Aber eine ganze Innen­stadt in eine Art „Fußgän­gerzone“ mit einer nur begrenzten Anzahl an Fahrten für die Bewohner zu verwandeln wäre auch rechtlich ein Novum. Dies fordert in Berlin aber der „Volks­ent­scheid Berlin autofrei“. Er möchte ein Volks­be­gehren über ein „Berliner Gesetz für gemein­wohl­ori­en­tierte Straßen­nutzung“ (GemStrG Bln) einleiten. Die Senats­ver­waltung hat sich auf den Stand­punkt gestellt, dass das Projekt verfas­sungs­widrig sei und den Gesetz­entwurf dem Berliner Verfas­sungs­ge­richt zur Überprüfung vorgelegt.

Im Bereich der Berliner Umweltzone soll die Widmung der Straßen geändert werden. Der Verkehr mit Kfz einschließlich des Parkens wäre dann nach einer Übergangszeit von vier Jahren nur noch einge­schränkt zulässig. Pro Person und Jahr sollen nur noch 12 Privat­fahrten möglich sein. Ausnahmen gibt es unter anderem zu öffent­lichen Zwecken, zu unter­neh­me­ri­schen Tätig­keiten und bei beson­deren Bedürfnissen.

Das Verfas­sungs­ge­richt hat mit einer Mehrheit von acht Stimmen und einem Sonder­votum entschieden, dass der Gesetz­entwurf verfas­sungs­konform ist und nicht gegen Bundes­recht verstößt. Die gesetz­lichen Voraus­set­zungen für die Zulassung zum Volks­be­gehren sind somit gegeben.

Ganz unabhängig vom Ausgang des Volks­ent­scheids ist es gut zu wissen, dass eine Einschränkung des Autover­kehrs in einer Innen­stadt in diesen Ausmaßen möglich ist. Von der Senats­ver­waltung war insbe­sondere beanstandet worden, dass die Widmung aufgrund der zahlreichen Ausnahmen regelnden Charakter habe. Dieser Argumen­tation ist das Gericht  nicht gefolgt. Der Gemein­ge­brauch könne im Übrigen von den Ländern unter­schiedlich definiert werden.

Insgesamt zeigt die Entscheidung große Spiel­räume für die Gestaltung des öffent­lichen Raums durch die Länder auf. (Olaf Dilling)

2025-06-27T09:21:11+02:0027. Juni 2025|Rechtsprechung, Verkehr, Verwaltungsrecht|

Nach der Reform ist vor der Reform? Radfahr­streifen laut VG Düsseldorf unzulässig

Der Verord­nungs­geber hat sich nach langem Hin- und Her endlich dazu durch­ge­rungen, dem Fuß- und Radverkehr mehr Platz zu geben und den Kommunen mehr Spiel­räume. Was macht nun das Verwal­tungs­ge­richt Düsseldorf bei erster Gelegenheit? Es stellt in einer Eilent­scheidung bei der Prüfung eines geschützten Radfahr­streifens auf das vorsint­flut­liche Kriterium der Unfall­sta­tistik ab und entscheidet, dass der Radfahr­streifen rückgebaut werden muss (VG Düsseldorf, Beschluss vom 26.02.2025, Az 6 L 3858/24).

Das ist angesichts der Reformen der StVO unter mehreren recht­lichen Gesichts­punkten fragwürdig:

1) Schon die Herab­stufung der quali­fi­zierten zur einfachen Gefahr für Radfahr­streifen in § 45 Abs. 9 Satz 4 Nr. 3 StVO durch die vorher­ge­hende Reform dürfte es erübrigen, einen Unfall­schwer­punkt oder eine überdurch­schnittlich hohe Anzahl an Radfah­renden zu ermitteln. Denn auch ohne ein erheblich über dem Durch­schnitt liegende Wahrschein­lichkeit des Schadens­ein­tritts darf ein Radfahr­streifen von der Kommune angeordnet werden. Jeden­falls, wenn der Radweg im Bestand – unstreitig – zu schmal ist.

2) Erst Recht, nachdem in § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr 7 StVO den Kommunen Möglich­keiten zur Bereit­stellung angemes­sener Flächen für den Fuß- und Radverkehr einge­räumt worden sind, dürfte sich die Entscheidung des VG Düsseldorf nicht halten lassen. Notfalls müsste die Stadt Mönchen­gladbach hier nachlegen und ein Konzept erstellen, aufgrund dessen deutlich wird, dass der Radfahr­streifen dem Umwelt‑, Gesund­heits­schutz oder der geord­neten städte­bau­lichen Entwicklung dient.

3) Auch das weitere Argument, dass die Trenn­ele­mente aus Beton nicht in der StVO vorge­sehen seien geht fehl. Denn es handelt sich gerade nicht um Verkehrs­ein­rich­tungen mit Anord­nungs­cha­rakter, sondern um bloß physisch wirkende straßen­recht­liche Maßnahmen. So wie Bordsteine, die in der StVO auch nicht ausdrücklich vorkommen.

Gerichte haben im Rechts- und Verfas­sungs­staat eine wichtige Aufgabe. Sie müssen Gesetze nicht nur anwenden, sondern auch überprüfen. Zumal wenn es sich bei der Rechts­grundlage um eine Verordnung handelt, müssen sie auf eine verfas­sungs­kon­forme Auslegung achten. Dies darf aber nicht dazu führen, dass Gerichte sich über den Gesetz- und Veror­dungs­geber und seine Inten­tionen hinweg­setzen. Die Rolle der Gerichts­barkeit ist im Rahmen der Gewal­ten­teilung eine dienende. Wenn sich Gerichte über Richtungs­ent­schei­dungen des Gesetz- und Verord­nungs­gebers offen­sichtlich hinweg­setzen, führt dies zu Frustra­tionen und einem Vertrau­ens­verlust in den demokra­ti­schen Prozess.

Es ist zu hoffen, dass Beschwerde eingelegt wird und diese offen­sicht­liche Fehlent­scheidung vom Oberver­wal­tungs­ge­richt aufge­hoben wird. (Olaf Dilling)

2025-03-09T01:23:40+01:0027. Februar 2025|Allgemein, Kommentar, Verkehr|

Die hilflos zugeparkte Querungshilfe

Bauliche Querungs­hilfen sind ein gutes Mittel, um den Fußverkehr zu fördern. Gemeint sind damit Gehweg­vor­stre­ckungen, also quasi „Nasen“ des Gehwegs, die in die Fahrbahn oder in den Parkraum herein­ragen und den querenden Fußgängern den Weg verkürzen und sie zugleich für den fließenden Verkehr „sicht­barer“ machen. Diese Maßnahmen für den Fußverkehr werden baulich ausge­führt. Sie haben insofern keinen regelnden Gehalt, sondern sind sogenannte „Realakte“ der Verwaltung. Sie gestalten den Verkehrsraum, geben ihm seine spezi­fische Form und beruhen auf dem Straßen­recht der Länder.

Sie eignen sich gerade für Straßen, die ohnehin verkehrs­be­ruhigt sind oder sich in Tempo-30 Zonen befinden. Bei Querungen auf Schul­wegen können sie im Prinzip dazu beitragen, dass Kinder nicht hinter parkenden Autos übersehen werden. Im Prinzip, denn tatsächlich machen wild parkende Autos diesen Effekt oft wieder zunichte. Zum Beispiel in Berlin, in der Walde­mar­straße. Auf dieser Straße mit Wohnbe­bauung, auf der Linien­busse unterwegs sind, und sich mindestens eine KiTa befindet, sind solche Querungs­hilfen in regel­mä­ßigen Abständen zwischen den Parkständen baulich einge­richtet worden. Jeweils mit zwei Pollern und zwei Baumnasen.

Gehwegvorstreckung mit Pollern und Leitflächen für blinde Menschen. Am Theodor-Loos-Weg, Berlin Gropiusstadt

Gehweg­vor­stre­ckung am Theodor-Loos-Weg, Berlin Gropi­us­stadt. Alles richtig gemacht: Hier ist die Bordstein­ab­senkung eindeutig. https://wiki.openstreetmap.org/wiki/File:Gehwegvorstreckung_Theodor-Loos-Weg.jpg CC-by-SA‑4.0, Foto: User:Supaplex030

Aller­dings wurde bei der baulichen Umsetzung ein Fehler gemacht: Die Bordstein­ab­senkung, die für Querungs­hilfen typisch ist, wurde hier nur sehr halbherzig vorge­nommen. Es ist für einen unbefan­genen Beobachter unklar, ob der Bordstein hier abgesenkt ist, oder nicht. So auch für einen Außen­dienst­mit­ar­beiter des Ordnungs­amtes, den ich kürzlich vor einem Auto antraf, das die Querungs­hilfe zugeparkt hat. Die Bordstein­ab­senkung wäre aber nach § 12 Abs. 3 Nr. 5 StVO die Voraus­setzung, dass das Parken dort verboten ist.

Dass das Auto dort parkt, behindert und gefährdet ersichtlich den Verkehrs­fluss. Und zwar auf doppelte Weise: Denn die Blick­achse ist zugeparkt und querende Fußgänger werden aufge­halten, jeden­falls, wenn sie mit dem Kinder­wagen zur gegen­über­lie­genden Kita wollen. Für fahrende Kfz, Radfahrer und Linien­busse stellt das Auto ein Hindernis dar, das umfahren werden muss, voraus­ge­setzt, die gegen­über­lie­gende Fahrbahn ist frei. Wenn Donnerstags die Müllabfuhr kommt, warten hier wegen eines parkenden Fahrzeugs oft viele Fahrgäste für mehrere Minuten. Fahrrad­fahrer müssen sich vor öffnenden Türen und dem nachfol­genden Kfz-Verkehr in Acht nehmen, der trotz solcher Engstellen oft überholt.

Da der Bordstein aber nicht eindeutig abgesenkt ist, musste die zuständige Straßen­ver­kehrs­be­hörde, in diesem Fall das Bezirksamt Fried­richshain-Kreuzberg eine Anordnung treffen. Dies ist durch einge­schränkte Halte­verbote jeweils an jeder Querung erfolgt, die dort aber inzwi­schen nicht mehr sind.

Prakti­scher­weise sollte alter­nativ am Anfang und Ende der Walde­mar­straße jeweils ein einge­schränktes (oder absolutes) Haltverbot angeordnet werden. Dies müsste durch das Zusatz­zeichen „Parken in gekenn­zeich­neten Flächen erlaubt“ ggf. unter Berück­sich­tigung einer Parkschein- oder Bewoh­ner­park­re­gelung ergänzt werden. Dann müssten nicht so viele einzelne Anord­nungen getroffen werden und der Schil­derwald würde reduziert. Auch das würde der Barrie­re­freiheit dienen.

Fazit: Kommunen müssen bei der Planung und Ausführung von Querungs­hilfen daran denken, dass sie eine eindeutige Bordstein­ab­senkung vorsehen. Dies hilft nicht nur Verkehrs­teil­nehmern, die mit Kinder­wagen oder Rollstühlen unterwegs sind. Es signa­li­siert auch den Kfz-Fahrern, dass sie die Fußgän­ger­infra­struktur nicht zuparken sollen. Wenn nicht wenigstens ein Haltverbot angeordnet wird (oder die Schilder verloren gehen), war die Inves­tition in den Straßenbau anderen­falls umsonst. Denn es ist absehbar, dass die Querungs­hilfen von Autofahrern ganz rabiat und hilflos zugeparkt werden. (Olaf Dilling)

2025-01-08T23:04:32+01:007. Januar 2025|Verkehr|