Frischer Wind für das Helgo­länder Papier?

Es nützt ja nichts, für erneu­erbare Energien auf dem Papier immer neue Ausbau­ziele zu projek­tieren, wenn es dafür in der Fläche keine brauch­baren Standorte mehr gibt. Bei Planungen von Windkraft­an­lagen stellt sich zwangs­läufig die Frage nach dem Natur­schutz. Grade ein in der Nähe befind­liches Brutvor­kommen, wichtige Rastplätze oder Haupt­zug­routen von Großvögeln können sich dann vor Ort als unüber­wind­liche Hinder­nisse erweisen. Die Einschrän­kungen für Planungen ergeben sich außerhalb von Schutz­ge­bieten vor allem aus dem arten­schutz­recht­lichen Tötungs­verbot in § 44 Bundes­na­tur­schutz­gesetz. Diese Norm wird zwar, wie wir bereits an andere Stelle ausge­führt haben, nicht bloß auf vorsätz­liche Tötungen angewandt, sondern auch auf Handlungen, als deren Folge Tiere eher als „Kolla­te­ral­schaden“ umkommen. Aller­dings gibt das Gesetz kaum Auskunft über die dabei anwend­baren Kriterien und auch wissen­schaftlich ist vieles ungeklärt.

Daher richtet sich in Deutschland die Praxis vor allem nach dem sogenannten „Helgo­länder Papier“, genauer gesagt, den Abstands­re­ge­lungen der Länder­ar­beits­ge­mein­schaft der Vogel­schutz­warten. Darin werden detail­liert Abstände für unter­schied­liche Vogel­arten empfohlen. Das Papier wurde zuletzt 2015 überar­beitet, wobei beispiels­weise der Abstand zur Brutstätte zum Schutz von Rotmi­lanen von 1000 auf 1500 Metern herauf­ge­setzt wurde. Zusätzlich soll innerhalb eines Radius von 4000 Metern um das Nest geprüft werden, ob Orte zur Nahrungs­auf­nahme oder ähnlichem häufig angeflogen werden, so dass entspre­chend Flugschneisen freige­halten werden müssen. Tatsächlich handelt es sich bei Rotmi­lanen um eine weltweit gefährdete Art, mit einem Vorkommen von 50% des weltweiten Bestandes in Deutschland. Da Rotmilane gerne in halbof­fenen Landschaften in Thermiken oder Aufwinden kreisen, ohne Rotor­blättern gezielt auszu­weichen, kommt es besonders häufig zu Totfunden unter Windkraftanlagen.

Mögli­cher­weise kann die Technik „smarter“ Windener­gie­an­lagen helfen, die Konflikte zwischen Natur­schutz und Windenergie zu entschärfen. Aktuell soll in Sachsen-Anhalt, wo besonders viele Milane brüten, eine Art Vogel­radar vorge­stellt werden, der in der Schweiz entwi­ckelt wurde. Innerhalb von 30 Sekunden soll er die Windkraft­anlage abschalten, sobald sich ein Vogel der Anlage innerhalb einer Zone von 500 Metern nähert. Dabei soll das Programm erkennen, um welche Vogelart es sich handelt. Falls das Umwelt­mi­nis­terium in Magdeburg sich von dem Vogel­radar überzeugen lässt, wird sich rechtlich die Frage stellen, ob deshalb Abwei­chungen von den Abstands­re­ge­lungen möglich sind. Grund­sätzlich handelt es sich bei dem Helgo­länder Papier, aber auch bei entspre­chenden Leitlinien der Länder, wie sie etwa in Sachsen-Anhalt erlassen wurden, streng genommen um keine rechtlich zwingenden Anfor­de­rungen. Vielmehr sind es typischer­weise normin­ter­pre­tie­rende Verwal­tungs­vor­schriften ohne direkte Bindungs­wirkung. In der Praxis werden sie dennoch in der Regel die Entschei­dungen der Planungs- und Geneh­mi­gungs­be­hörden bestimmen. Aller­dings dürften mit entspre­chend erhöhtem Begrün­dungs­aufwand im Einzelfall Ausnahmen möglich sein.

2019-02-06T10:34:39+01:006. Februar 2019|Allgemein, Umwelt|

Entschei­dungen im „Erkennt­nis­vakuum“? BVerfG zu Windan­lagen und Rotmilanen

Eigentlich müssen Juristen, Richter zumal, es ja schon von Berufs wegen besser wissen. Wenn jemand durch die öffent­liche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, heißt es im Grund­gesetz in Art. 19 Abs. 4, steht ihm der Rechtsweg offen. Das damit garan­tierte Gebot des effek­tiven Rechts­schutzes verlangt an sich die vollständige gericht­liche Überprüfung von Verwal­tungs­akten in recht­licher und tatsäch­licher Hinsicht. Aller­dings hat die Recht­spre­chung für bestimmte Bereiche der Verwaltung seit langem Beurtei­lungs­spiel­räume angenommen. Mit anderen Worten: hier darf die Verwaltung das letzte Wort behalten, und dies nicht nur bei gesetzlich ausdrücklich einge­räumten Ermes­sens­ent­schei­dungen, sondern auch bei der Auslegung unbestimmter Recht­be­griffe. Dies gilt beispiels­weise für Prognose- und Risikoent­schei­dungen oder bei den Entschei­dungen von Prüfungs- und Sachverständigengremien.

Seit einiger Zeit wird vor den Gerichten und in der Rechts­lehre auch von der sogenannten „natur­schutz­fach­lichen Einschät­zungs­prä­ro­gative“ gesprochen. Entwi­ckelt wurde diese Figur in den letzten 10 Jahren durch Entschei­dungen des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts vor allem im Bereich des natur­schutz­recht­lichen Tötungs­ver­botes und des Gebiets­schutzes. Hinter­grund ist unter anderem die Ausweitung des Tötungs­verbots von der vorsätz­lichen Tötung auch auf ansonsten recht­mäßige Handlungen, in deren Folge Tiere zu Tode kommen können. Hier sind oft sehr voraus­set­zungs­reiche, auf Wahrschein­lich­keits­ur­teilen beruhende fachwis­sen­schaft­liche Prognosen erfor­derlich. Auch diese natur­schutz­be­zo­genen Entschei­dungen der Verwaltung werden von den Gerichten seither oft nicht mehr detail­liert überprüft. Oft handelt es sich um Vorha­ben­ge­neh­mi­gungen und häufig um Windkraft­an­lagen.

Kürzlich hat auch das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt im Beschluss vom 23. Oktober 2018 – 1 BvR 2523/13 zu diesen Entschei­dungen Stellung genommen. Zwei Betreiber von Windkraft­an­lagen hatten Verfas­sungs­be­schwerden erhoben, um die verwal­tungs­ge­richt­liche Praxis zu überprüfen. Den Unter­nehmen war die Geneh­migung von Windener­gie­an­lagen durch die zuständige Behörde versagt worden, weil die in der Gegend vorkom­menden Rotmilane durch die Anlagen einem erhöhten Tötungs­risiko ausge­setzt seien. Die Verwal­tungs­ge­richte waren nach ständiger Recht­spre­chung von der Einschät­zungs­prä­ro­gative der Behörde ausge­gangen. Schließlich handele es sich um eine außer­ge­richt­liche Frage, für die es bislang keine allgemein anerkannten wissen­schaft­lichen Maßstäbe und keine fachlichen Entschei­dungs­kri­terien gibt.

Wegen der schwach ausge­prägten verwal­tungs­ge­richt­lichen Kontrolle waren die Unter­nehmen der Auffassung, nicht ausrei­chend gegen behörd­liche Willkür geschützt zu sein. So richtig Erfolg hatten sie mit ihrer Beschwerde nicht. Letztlich hat das Bundes­ver­wal­tungs­ge­richt in seiner Entscheidung nämlich die Praxis der Verwal­tungs­ge­richte im Wesent­lichen gestützt. Zwar seien die Gerichte verpflichtet, den Sachverhalt weitest­gehend aufzu­klären. Wenn aber der aktuelle Erkennt­nis­stand der natur­schutz­fach­lichen Wissen­schaft und Praxis für die zu klärende Frage nichts hergibt, muss das Gericht nicht weiter ermitteln. Es sei vielmehr kein Verstoß gegen das Gebot des effek­tiven Rechts­schutzes hier die plausible Einschätzung der Behörde zugrunde zu legen. Aller­dings weist das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt auch darauf hin, dass der Gesetz­geber in der Pflicht sei, zumindest auf längere Sicht geeignete Entschei­dungs­maß­stäbe zumindest auf unter­ge­setz­licher Ebene zur Verfügung zu stellen. Er dürfe nämlich Gerichten und Verwaltung nicht ohne Vorgabe entspre­chender Kriterien Entschei­dungen in einem „Erkennt­nis­vakuum“ übertragen. Künftige Anlagen­be­treiber könnten wegen der zu erwar­tenden Klärung der Rechtslage doch noch von den Verfas­sungs­be­schwerden profitieren.

2018-11-27T12:14:06+01:0027. November 2018|Erneuerbare Energien, Umwelt, Verwaltungsrecht|