Straf­schär­fungen für Klima­schützer, Zweiter-Reihe-Parker und Karnevalisten?

Thomas Fischer, ehemals BGH-Richter ist eine Art Urviech des deutschen Straf­rechts. Er hat nicht nur den Kommentar zum Straf­ge­setzbuch verfasst, mit denen Referendare ihr zweites Staats­examen schreiben, sondern ist auch medial äußert präsent und nimmt gerne Stellung zu allen möglichen Fragen. So auch letzte Woche zu der hitzig debat­tierten Frage, wie man mit Klima­pro­testen, insbe­sondere Straßen­blo­ckaden umgehen soll.

Blockade des Aufstands der letzten Generation am Berliner Hbf

Foto: Stefan Müller, CC BY 2.0 <https://creativecommons.org/licenses/by/2.0>, via Wikimedia Commons

Fischer hat dabei keine Scheu, mit den Protes­tie­renden schwer ins Gericht zu gehen, wie sein Beitrag in der LTO zeigt: Wenn sich Demons­tranten an der Straßen festkleben würden, dann sei das eine Nötigung, bei der nicht nur eine vorüber­ge­hende Behin­derung gewollt ist und auch Fahrzeuge in zweiter und dritter Reihe betroffen seien. Dass die Autofahrer auch dring­liche Anliegen hätten, wie Arztbe­suche oder ähnliches, sei nämlich nahe liegend. Die Demons­trie­renden könnten ihren (bedingten) Vorsatz nicht dadurch ausschließen, dass sie allen Betrof­fenen „von Herzen wünschten“, dass ihnen durch die Verzö­ge­rungen nichts zustoßen möge. Letztlich komme es aber bei Feststellung des Vorsatzes auf die indivi­du­ellen Umstände des Einzel­falls an, beispiels­weise, ob die Demons­trie­renden tatsächlich, wie von ihnen behauptet, auf das Freihalten einer Rettungs­gasse achten würden.

Aller­dings wäre Fischer nicht Fischer, wenn er am Schluss nicht doch eine ironische Volte folgen ließe: Dieser Mainstream würde notorisch übersehen, dass die gleiche Proble­matik des bedingten Vorsatzes auch für das gefähr­dende Fahren mit 50 km/h durch die Tempo-30er-Zone, das Parken in zweiter Reihe, das Missachten der Rettungs­gasse oder selbst noch für Karne­va­listen gelten würde, die mit ihrem Zug Rettungs­ein­sätze behindern würden. Insofern könnten alle aktuellen Überle­gungen, Autofahrern durch Straf­schärfung gegenüber Autobahn­blo­ckierern einen Dienst zu erweisen, diese am Ende selbst treffen. (Olaf Dilling)

2022-11-08T00:21:47+01:008. November 2022|Allgemein, Kommentar, Verkehr|

Verkehr: Schluss­licht in Scharm el-Sheich

Beim Umwelt­gipfel im ägypti­schen Scharm el-Scheich bilan­zieren die Vertrags­staaten ihre Fortschritte bei der Umsetzung des Pariser Klima­ab­kommen. Für Deutschland könnte es peinlich werden. Dann im größten Problem­sektor, dem Verkehr, hat der einstige Vorreiter im Klima­schutz kaum etwas vorzu­weisen, um dem 1,5‑Grad-Ziel näher zu kommen. Bisher konnte sich der Wirtschafts­mi­nister Habeck mit dem Verkehrs­mi­nister Wissing nicht auf anspruchs­volle Maßnahmen einigen. Die Gespräche sind nun erst einmal ausge­setzt und wurden auf 2023 verschoben.

Bremslicht eines Pkw

Die von Wissing selbst vor einiger Zeit vorge­schla­genen Maßnahmen gelten als unzurei­chend. Nachge­bessert hat er bisher nicht. Durch das unambi­tio­nierte Vorgehen reduzieren sich die Anfor­de­rungen nicht, da bis 2030 die Emissionen auf fast die Hälfte sinken müssen. Die aktuellen Freiheiten im Umgang mit dem Klima­schutz bedeuten, dass in Zukunft noch schneller noch größere Einschrän­kungen kommen werden. Dadurch setzt sich die Politik immer stärker unter Zugzwang.

Die FDP geht sogar  noch weiter: Sie fordert jetzt im Zusam­menhang mit dem Klima­schutz­pro­gramm eine Anpassung des Klima­schutz­ge­setzes: Bisher sieht es jedes Jahr Obergrenzen für jeden Sektor vor. Die FDP will, dass sowohl über die Jahre hinweg als auch über die Sektoren mehr Flexi­bi­lität gewährt wird. Für die Koali­ti­ons­partner (und künftige Regie­rungen) klingt das nicht nach einer attrak­tiven Option. Denn es ist zu vermuten, dass sie dann wegen der aktuellen Verfeh­lungen im Verkehrs­sektor weitere Spiel­räume verlieren. Und da es im Verkehr bisher, anders als in den anderen Sektoren Energie­wirt­schaft, Industrie, Gebäude, Landwirt­schaft und Abfall, bisher so gut wie keine Einspa­rungen gab, wären hier die Poten­tiale am größten. Und dass das Ganze ein Nullsum­men­spiel ist, liegt an den europa- und völker­recht­lichen Verpflich­tungen bezüglich der Gesamt­ziele keine Flexi­bi­lität, die sich nicht mehr so einfach durch einen Strich des Gesetz­gebers ändern lassen. (Olaf Dilling)

2022-11-01T12:40:40+01:001. November 2022|Kommentar, Umwelt, Verkehr|

Wie mächtig ist der Klima­schutz? Zu BVerwG 9 A 7.21 vom 4. Mai 2022

Im vergan­genen Jahr schrieb das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt (BverfG) dem Gesetz­geber ins Stammbuch, dass die jungen Beschwer­de­führer Anspruch auf mehr Klima­schutz haben als das Klima­schutz­gesetz (KSG) damals vorsah (hierzu hier). Inzwi­schen hat der Bundes­ge­setz­geber nachge­bessert. Doch wie mächtig ist das neue KSG? Ganz konkret: Welche Bedeutung hat § 13 Abs. 1 KSG, der bestimmt, dass die Träger öffent­licher Aufgaben bei ihren Planungen und Entschei­dungen den Zweck dieses Gesetzes und die zu seiner Erfüllung festge­legten Ziele zu berück­sich­tigen haben? Unter anderem mit dieser Frage hat sich das Bundes­ver­wal­tungs­ge­richt (BverwG) in einem Urteil vom 4. Mai 2022 zum Autobahn­ausbau A 14 beschäftigt (bisher liegt nur die PM vor).

Mit dem Auftrag zur Berück­sich­tigung des Klima­schutzes sei es unver­einbar, so meinte die klagende Umwelt­ver­ei­nigung, dass das Landes­ver­wal­tungsamt Sachsen-Anhalt die Nordver­län­gerung der A 14 per Planfest­stel­lungs­be­schluss genehmigt habe. Ursprünglich hatte der Planungs­träger Klima­schutz­be­lange gar nicht berück­sichtigt, hierzu dann aber in einem Planer­gän­zungs­be­schluss nachge­liefert. Doch den Klägerin reichte dies nicht: Dem Autobahnbau müssen Waldflächen weichen, und die Kläger vermuten, dass die Ausgleichs­maß­nahmen nicht dieselbe Emissi­ons­menge absor­bieren wie die abzuhol­zenden Bäume.

Milchstraße, Sterne, Himmel, Sternenhimmel

Im Ergebnis drangen die Kläger mit dem Argument, das Landes­ver­wal­tungsamt hätte den Klima­schutz beim Autobahnbau zu wenig berück­sichtigt, nicht durch. Auch das Argument, man bräuchte im notorisch dünn besie­delten Sachsen-Anhalt mangels ausrei­chend Verkehrs­auf­kommen gar keinen Lücken­schluss im Autobahnnetz, überzeugte die Richter nicht. Doch bedeutet das, dass das Berück­sich­ti­gungs­gebot im KSG ein zahnloser Tiger ist und Behörden die Norm schnell wieder vergessen dürfen? So scheint es nun auch wieder nicht zu, denn die Richter erklärten, ihnen würden vor allem konkre­ti­sie­rende Vorschriften, Leitfäden oder sonstige Handrei­chungen fehlen. Hier könnte die Verwaltung also mögli­cher­weise noch einmal nachlegen. Und offen bleibt auch: Existiert mögli­cher­weise ein verfas­sungs­recht­liches Gebot, diese Leitfäden o. ä. zu erlassen, um dem Klima­schutz die praktische Bedeutung zu verleihen, die das BVerfG ihm in seiner Entscheidung aus dem April 2021 beigemessen hat? (Miriam Vollmer).

2022-05-06T23:28:29+02:006. Mai 2022|Umwelt, Verwaltungsrecht|