Der neue § 27 EnSiG: Leistungs­ver­wei­gerung nur mit BNetzA

Die neue Umlage in der Gasman­gellage wird viel disku­tiert. Wenig Beachtung findet hingegen der ebenfalls neue § 27 EnSiG, der heute, am 8. Juli 2022, den Bundesrat passieren soll (Entwurf hier).

Anders als das Super­preis­an­pas­sungs­recht des § 24 EnSiG und die Umlage nach § 26 EnSiG soll § 27 EnSiG unmit­telbar greifen. Denn nach seinem Absatz 3 gilt er auf der Alarm- oder Notfall­stufe. Da die Bundes­re­publik sich schon seit dem 23. Juni 2022 im Gasalarmfall befindet, ist die Regelung also unmit­telbar nach Inkraft­treten anwendbar.

Worum geht’s? § 27 Abs. 1 EnSiG stellt gesetz­liche oder vertrag­liche Leistungsver-
weige­rungs­rechte unter einen Geneh­mi­gungs­vor­behalt. Das klingt zunächst unspek­ta­kulär, ist aber eine ziemliche Bombe. Denn norma­ler­weise zeichnet sich Zivil­recht dadurch aus, dass Behörden gerade nicht mitmi­schen, außer es gibt wirklich triftige Gründe wie etwa bisweilen im Kartell­recht. Dass ein Unter­nehmen für die Ausübung von vertrag­lichen Rechten eine Geneh­migung braucht, ist also ungewöhnlich.

Tatsächlich werden gesetz­liche und vertrag­liche Leistungs­ver­wei­ge­rungs­rechte seit Monaten viel disku­tiert. Zum einen geht es um § 313 BGB. Zum anderen um vertraglich verein­barte Force-Majeure-Klauseln. Verall­ge­mei­nernd – es gibt viele Spiel­arten – geht es jeweils darum, dass wichtige Umstände für ein Vertrags­ver­hältnis sich seit Vertrags­schluss grund­legend geändert haben. In diesem Fall sollen die Parteien nicht am Vertrags­schluss festge­halten werden. Konkret bezogen auf Erdgas stehen viele Unter­nehmen auf dem Stand­punkt, dass bei einer Explosion der Preise vor der Krise geschlossene Verträge auf den Prüfstand gehören. Es solle nicht wie vereinbart erfüllt werden, sondern die Leistung – Gas für den vor der Krise verein­barten günstigen Preis – verweigert werden dürfen.

Ob und wann dieses Leistungs­ver­wei­ge­rungs­recht überhaupt besteht, wird heftig disku­tiert. Es wäre ohne Erlass dieser neuen Norm anzunehmen gewesen, dass in einigem zeitlichen Abstand Zivil­ge­richte über die Maßstäbe der Anwendung entscheiden. Diese Unsicherheit wollte der Gesetz­geber nicht hinnehmen. Die neue Norm knüpft die Ausübung solcher Leistungs­ver­wei­ge­rungs­rechte wegen Reduzierung oder Ausfall von Gasmengen an die Geneh­migung durch die Bundes­netz­agentur (BNetzA). Die BNetzA entscheidet im Rahmen einer Ermes­sens­ent­scheidung mit Blick auf die Funkti­ons­fä­higkeit des Marktes.

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(Foto: Eckhard Henkel / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0 DE)

Wenn eine Ersatz­be­schaffung unmöglich wird, ist eine Geneh­migung nicht mehr nötig, dies muss aber nachge­wiesen werden. Offenbar gilt hier dann eine Anzei­ge­pflicht. Gänzlich erlischt die Geneh­mi­gungs­pflicht, wenn der börsliche Handel mit Gas ausge­setzt ist, denn dann gibt es keinen Markt mehr, den es zu schützen gilt. Immerhin: Verbietet die BNetzA die Ausübung des Leistungs­ver­wei­ge­rungs­rechts, muss also trotz völlig verän­derter Umstände geleistet werden, gewährt § 28 EnSiG einen Entschä­di­gungs­an­spruch in aller­dings engen Grenzen.

Was ist von der Norm zu halten? Sie zeigt die Bemühungen des BMWK um Versor­gungs­si­cherheit auch zulasten der Privat­au­to­nomie. Rechtlich dürfte sie an der äußersten Grenze der noch zuläs­sigen Bestimmtheit einer Norm zu verorten sein. Neben der neuen Umlage, den Möglich­keiten staat­lichen Engage­ments bei wichtigen Infra­struk­tur­un­ter­nehmen und der Aussetzung nicht völlig unerheb­licher Teile des Umwelt­rechts für einen vorüber­ge­henden Zeitraum illus­triert auch diese Norm: Es wird Ernst (Miriam Vollmer)

2022-07-08T10:10:37+02:008. Juli 2022|Energiepolitik, Gas|

Gaspreis­krise: Wie weiter als Kommunalversorger?

Nun ist er also da, der Gasalarmfall. Schon jetzt kommt weniger Erdgas nach Detschland, angeblich aus techni­schen Gründen, und ob nach der Sommer­pause über Nordstream 1 weiter geliefert wird, ist fraglich. Es ist also gut möglich, dass die Gaspreise bald noch weiter steigen und die BNetzA als Lastver­tei­lerin die Aufgabe hat, die verfügbare Gasmenge zu ratio­nieren, also auf die Industrie als nicht geschützte Kunden zu verteilen.

Auf die BNetzA kommen also mögli­cher­weise auch rechtlich heraus­for­dernde Zeiten zu, auf die die Behörde sich vorbe­reitet. Doch auch alle anderen Akteure können schon jetzt einige Vorbe­rei­tungen treffen für den Ernstfall, statt auf die Zukunft zu starren wie das sprich­wört­liche Kaninchen auf die Schlange. Zu denken wäre etwa an folgende Maßnahmen:

# Wie soll mit einem Preis­an­pas­sungs­recht nach § 24 EnSiG umgegangen werden? Maßstab sind aktuell die Ersatz­be­schaf­fungs­kosten für Erdgas, wenn der Vorlie­ferant ausfällt oder seiner­seits erhöht. Wann und wie gestiegene Preise weiter­ge­wälzt werden, sollte im Vorfeld beschlossen und für unter­schied­liche Varianten denkbarer Kosten­stei­ge­rungen auf Liefe­ran­ten­seite verprobt werden.

# Wie soll eine Preis­an­passung nach § 24 EnSiG kommu­ni­ziert werden? Gegenüber Letzt­ver­brau­chern gilt eine Frist von einer Woche zwischen Mitteilung und Preis­an­passung. Es gelten die Mittei­lungs- und Aufklä­rungs­pflichten des § 41 Abs. 5 EnWG, es ist auch auf das Kündi­gungs­recht hinzu­weisen. Da Versorger selbst vom Vorlie­fe­ranten mit nur einem Tag Vorlauf einen neuen Preis präsen­tiert bekommen können, also aus wirtschaft­lichen Gründen die Zeit drängen kann, ist es gut, ein rechts­kon­formes, aber vor allem auch für den Bürger verständ­liches Schreiben vorzu­be­reiten, bevor es drängt.

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# Schon jetzt sehen viele Bürger die Erdgas­preise mit großer Sorge. Kommt nun eine weitere Preis­er­höhung, ist von vermehrten Anrufen und Besuchen im Kunden­zentrum auszu­gehen. Hier sollte der Kunde auf gut vorbe­reitete, geschulte Mitar­beiter treffen.

# Nicht auszu­schließen, dass weitere Versorger insolvent werden, wenn Vorlie­fe­ranten die Preise erhöhen oder auch einfach nur – und völlig abseits von § 24 EnSiG – die einge­kauften Mengen zur Neige gehen? Hier fehlt es oft noch an einem standar­di­sierten Prozess, wie mit ersatz­ver­sorgten Kunden umzugehen ist, die keine Haushalts­kunden sind, aber nach drei Monaten immer noch keinen neuen Versorger haben.

# Viele Unter­nehmen passen regulär zum 01. Oktober ihre Fernwär­me­preise an. Angesichts der drastisch gestie­genen Erdgas­preise wird vielfach der Arbeits­preis deutlich steigen, oft zum ersten Mal seit Jahren. Es ist deswegen zu erwarten, dass mehr Kunden als früher die Wirksamkeit der Preis­er­höhung kritisch hinter­fragen und rechtlich entlang von § 24 Abs. 4 AVBFern­wärmeV prüfen. Unter­nehmen sollten sich also jetzt fragen, ob die verwandte Preis­gleit­klausel eigentlich noch aktuell ist und ggfls. die Zeit bis zur nächsten turnus­mä­ßigen Anpassung nutzen, um sie abzuändern. Dank des BGH wissen wir ja nun: Das muss der Versorger nicht nur, das darf er auch. Schließlich droht andern­falls das Risiko, unwirksame Preis­an­pas­sungen auszu­lösen und auf Kosten sitzenzubleiben.

# Nicht zu unter­schätzen ist schließlich die organi­sa­to­rische Seite. Wer ist eigentlich zuständig, zu kordi­nieren, aktiv zu werden, wenn sich etwa § 24 EnSiG noch einmal ändert, wo laufen Infor­ma­tionen und Fäden zusammen? Es ist gut, wenn es mindestens pro Sparte einen Verant­wort­lichen gibt. Und ist dieser Master of Desaster auch den ganzen Sommer über im Haus und hat – ist dies nicht der Fall – einen Vertreter?

Insgesamt gibt es also viel zu tun und viel vorzu­be­reiten für den Fall, der hoffentlich niemals eintritt. Wenn Sie Hilfe brauchen, melden Sie sich bei uns. (Miriam Vollmer)

 

 

 

2022-06-24T19:21:55+02:0024. Juni 2022|Energiepolitik, Gas, Wärme|