Was ist eigentlich Verkehr?

Fußgänger auf breitem Zebrastreifen

Fußverkehr (Foto: Brian Merrill)

Zur Frage, was genau Verkehr ist, schweigen sich unsere Kommentare zum Straßen- und Straßen­ver­kehrs­recht merkwürdig aus. Dabei lieben Juristen eigentlich Defini­tionen. Aber auch hier zeigt sich eine typische, das öffent­liche Verkehrs­recht prägende Charak­te­ristik: Es ist eine scheinbar aus prakti­schen Notwen­dig­keiten geborene Materie, ohne  überflüssige Schnörkel und ideolo­gi­schen und theore­ti­schen Ballast. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall.

Nehmen wir zum Beispiel die zentrale Vorschrift des Straßen­ver­kehrs­rechts, § 45 StVO, in dem die Voraus­set­zungen von Verkehrs­be­schrän­kungen insbe­sondere durch Verkehrs­zeichen geregelt sind. Diese Vorschrift ist von gradezu barocker Unüber­sicht­lichkeit mit zahlreichen Ausnahmen und Gegen­aus­nahmen geprägt. Die ursprüng­liche und später noch verschärfte Intention, Beschrän­kungen eine hohe Begrün­dungslast aufzu­er­legen: Sie ist aus guten Gründen inzwi­schen durch zahlreiche Ausnahmen relati­viert worden. Rechts­tech­nisch macht dies die Sache jedoch nicht besser.

Was die unklare und vor allem wenig explizite Definition des Verkehrs angeht: In der Praxis führt es in oft dazu, dass unter „Verkehr“ in vielen Zusam­men­hängen nur der motori­sierte Indivi­du­al­verkehr verstanden wird. An sich dürften sich alle Juristen zwar einig sein, dass dies unzutreffend ist. Und es gibt auch Entschei­dungen, in denen das Bundes­ver­wal­tungs­ge­richt (BVerwG) z.B. auch den Fahrrad­verkehr als Verkehr betrachtet. Die Recht­spre­chung lässt sogar kommu­ni­kative Funktionen des Verkehrs zu, also so etwas wie das Gespräch an der Dorflinde.

Trotzdem tappen auch Befür­worter der Verkehr­wende häufig in die Denkfalle, ausschließlich den Autoverkehr als „Verkehr“ zu akzep­tieren: Sie treten dann entweder gegenüber der Verwaltung als Bittsteller auf, obwohl sie eigentlich gleich­be­rech­tigte Verkehrs­teil­nehmer sein sollten. Oder sie fordern rechts­po­li­tisch etwas, was ihnen rechtlich längst zusteht. Schlimms­ten­falls führt das dann zu einer weiteren Ausnahme im Gesetz, die von der Recht­spre­chung dann maximal restritiv ausgelegt wird und daher an der Behör­den­praxis nichts ändert.

Gefährlich ist in diesem Zusam­menhang auch die Tendenz, dass „zugunsten von Fuß- und Radverkehr“ die Sicherheit vor der Leich­tigkeit des Verkehrs berück­sichtigt werden soll. Denn am sichersten sind Fußgänger aufge­hoben, wenn sie gar nicht dem Verkehr … ääh, dem fließenden motori­sierten Indivi­du­al­verkehr in die Quere kommen. So dass sie mit Barrieren überall dort vom Queren der Fahrbahnen abgehalten werden, wo keine Ampel steht. Die Ampel versteht sich, ist so einge­stellt, dass „der Verkehrs­fluss“ optimiert wird (wobei die zustän­digen Planer in der Regel wenig Worte darüber verlieren, wer zu beim Fluss des Verkehrs berück­sichtigt wird und wer nicht) (Olaf Dilling).

2021-07-07T12:54:05+02:007. Juli 2021|Verkehr, Verwaltungsrecht|

Kinder brauchen Spielstraßen

Histo­risch ist die Überzeugung, dass Kinder auf einer Straße oder zumindest auf der Fahrbahn nichts zu suchen haben, noch nicht sehr alt. Viele Urgroß­eltern heutiger Grund­schul­kinder konnten jeden­falls noch ungehindert auf der Straße spielen. Denn erst im Jahr 1936 wurde in die Reichs­stra­ßen­ver­kehrs­ordnung eine Vorschrift aufge­nommen, nach der das Spiel und der Winter­sport auf deutschen Straßen verboten wurde.

Heute gibt es eher wieder Bestre­bungen, Kinder auf die Straße zu bringen. Sei es auf dem Schulweg selbständig ohne „Elterntaxi“ oder schlicht bei Spielen. Aber das ist gar nicht so einfach, denn auf der Fahrbahn ist es zu gefährlich und auf den Gehwegen ist oft nicht genug Platz, gerade wenn sie von parkenden Autos genutzt werden.

Insofern besinnen sich einige Kommunen wieder auf die sogenannten Spiel­straßen, in den 1970er Jahren in Westdeutschland und zuvor schon in der DDR einge­führt worden waren. Diese Spiel­straßen sind nicht zu verwechseln mit dem verkehrs­be­ru­higten Bereich, der aller­dings mit dem Verkehrs­zeichen 325.1 beschildert wird. Auf dem Schild sind auch spielende Kinder zu sehen.

Verkehrszeichen: Ende des verkehrsberuhigten Bereichs

Verkehrs­zeichen 325.2: Ende des verkehrs­be­ru­higten Bereichs

Aller­dings sind in der Spiel­straße im Gegensatz zum verkehrs­be­ru­higten Bereich grund­sätzlich Kraft­fahr­zeuge verboten. Im verkehrs­be­ru­higten Bereich ist das Spielen und Gehen auf der Straße zwar erlaubt, aber zugleich dürfen sie von Kfz benutzt werden, wenn auch nur in Schritt­ge­schwin­digkeit und ohne Gefährdung und Behin­derung der Fußgänger.

Nach der Verwal­tungs­vor­schrift zur Straßen­ver­kehrs­ordnung sollen verkehrs­be­ru­higte Bereiche eigentlich als Misch­ver­kehrs­fläche für alle Verkehrs­teil­nehmer einheitlich gestaltet werden, ohne Abgrenzung von Gehwegen und Fahrbahn. Außerdem ist Halten und Parken nur auf speziell dafür ausge­wie­senen Parkplätzen erlaubt.

Tatsächlich sehen verkehrs­be­ru­higte Bereiche in Großstädten wie Berlin oft ganz anders aus. Der allge­meine Parkdruck und eine schwach ausge­prägte Parkraum­über­wa­chung führen dazu, dass in vor Jahren einge­rich­teten verkehrs­be­ru­higten Zonen oft nicht mehr viel an die ursprüng­liche Idee erinnert. Noch nicht einmal Erwachsene trauen sich, dort die „Fahrbahn“ zu benutzen, denn letztlich hält keine noch so schöne plane­rische Gestaltung den Kraft­fahr­zeug­verkehr auf.

Um Kinder dort doch zum Spielen zu bringen, gibt es seit einiger Zeit in Berlin die Initiative, zumindest temporär Spiel­straßen einzu­richten. Auch um den Bewegungs­ein­schrän­kungen für Kinder während der Pandemie zu begegnen, werden die Straßen für ein paar Stunden in der Woche gesperrt. Aller­dings müssen dafür auch die parkenden Autos weichen. Das sorgt nicht zuletzt rechtlich für Konflikte. Denn es ist zwar möglich, in verkehrs­be­ru­higten Zonen Parkplätze auszu­weisen. Ob es auch möglich ist, zeitlich beschränkte Halte­verbote für diese Parkplätze anzuordnen, wird von Anwohnern mit Kraft­fahrzeug in Frage gestellt. Kinder brauchen Spiel­straßen, aber geben wir sie ihnen? (Olaf Dilling).

2021-03-08T09:34:30+01:003. März 2021|Allgemein, Verkehr|

Durch Parkraum­ma­nagement zur Verkehrswende

Kann es sein, dass sich Bürger­initia­tiven oder Jugend­pro­teste zunehmend darauf verlegen, statt wolkiger Utopien die Durch­setzung bestehenden Rechts einzu­fordern? Mit anderen Worten: „Pariser Klima­ab­kommen statt Pariser Kommune“? Oder täuscht der Eindruck? Nun, vermutlich gab es schon immer Diskre­panzen zwischen Recht und Rechts­wirk­lichkeit. Aber dass sich Wider­stand gegen den Status Quo mit progres­sivem Selbst­ver­ständnis vor allem dadurch ausdrückt, dass bis ins Detail auf diese Wider­sprüche hinge­wiesen wird, ist schon auffällig.

In Bremen gibt es eine Initiative mit dem raumgrei­fenden Namen „Platz da!“, die sich einem an sich eher konkreten Anliegen verschrieben hat: Dass der für den ruhenden Verkehr genutzte öffent­liche Raum, sprich die Parkplätze der Stadt, stärker bewirt­schaftet wird. In sogenannten Bewoh­ner­park­zonen. Flankierend – und dies macht einen großen Teil der Aktivi­täten der Initiative aus – geht es darum, die straßen­ver­kehrs­recht­lichen Regeln über den ruhenden Verkehr durch­zu­setzen, sprich: gegen Falsch­parker vorzu­gehen. Im Blick haben die Aktivisten vor allem das Parken auf Gehwegen, das in den meisten Wohnvierteln illegal ist, aber lange Zeit geduldet wurde und das Zuparken von Kreuzungen, bei dem die – immer noch im recht­lichen Schwe­be­zu­stand befind­liche – StVO-Reform eine Verschärfung mit sich bringen würde.

Nun sind die Mitglieder der Initiative nicht bloß lamen­tie­rende Bürger, die den Verfall der „Verkehrs-Sitten“ beklagen. Sie haben vielmehr 6.000 Unter­schriften für einen sogenannten Bürger­antrag zusam­men­be­kommen. Damit können Bremer Bürger seit der landes­ge­setz­lichen Einführung dieses Elements direkter Demokratie seit 1994  erzwingen, dass sich die Bürger­schaft mit ihrem Antrag befasst.

Nach anfäng­licher Skepsis vor allem bei der (mit-)regierenden SPD, wurde ein Kompro­miss­vor­schlag gefunden, dem schließlich nur die FDP nicht zugestimmt hat: Statt, wie von den Antrag­stellern vorge­sehen, die gesamte Stadt mit Bewoh­ner­park­zonen zu überziehen, was auch aus recht­licher Sicht Probleme mit sich gebracht hätte, wurden erst einmal zentrale Wohnbe­reiche definiert mit späterer Erwei­te­rungs­option. Dass die Mehrheit sich nicht grund­sätzlich verweigert hat, ist auch insofern nachvoll­ziehbar, als die Frage zwar – wie gesagt – konkret ist, aber einen grund­sätz­lichen aktuellen Bezug aufweist. Denn wieviel öffent­licher Raum in deutschen Städten dem Fuß- und Fahrrad­verkehr zugestanden wird, ist durchaus von allge­meiner Bedeutung für die Verkehrs­wende (Olaf Dilling).

2020-11-18T12:40:00+01:0018. November 2020|Verkehr|