Urheber­recht an amtlich referen­zierten „privaten“ Regelwerken

Unser Blog-Post über die Entscheidung des Europäi­schen Gerichtshofs (EuGH) , dass technische Produkt­normen Teil des Europa­rechts seien und daher kostenlos zur Verfügung gestellt werden sollten, hat einige Nachfragen und Zuschriften provo­ziert. Denn tatsächlich können viele Menschen nicht verstehen, dass für die Praxis so wichtige Vorschriften nicht frei zugänglich sind.

Nun, wir hatten ja schon gesagt, dass deutsche technische Normwerke nur national Wirkung entfalten und kein EU-Recht sind. Daher sind sie von der Entscheidung des EuGH nicht betroffen.

Nun beant­wortet das noch nicht die Frage, wie es eigentlich nach deutschem Recht ist. Das ist eine Frage des Urheber­rechts. Grund­sätzlich sind Rechts­texte, seien es Gesetze, Verord­nungen oder Gerichts­ent­schei­dungen nicht durch das Urheber­recht geschützt. Das ergibt sich aus § 5 Abs. 1 Urheber­rechts­gesetz (UrhG).

Das gilt auch für „andere amtliche Werke, die im amtlichen Interesse zur allge­meinen Kennt­nis­nahme veröf­fent­licht“ werden. Daher sind inzwi­schen eigentlich alle Amtsblätter öffentlich kostenfrei im Internet zugänglich. Eine Ausnahme macht das Bundes­mi­nis­terium für Digitales und Verkehr mit seinem Amtsblatt. Aus uns nicht ganz erfind­lichen Gründen ist es nicht kostenlos abrufbar. Sondern es ist im digitalen Jahres­abon­nement mit einer Einzel­lizenz zum Preis von schlappen 77,50 EUR (inkl. MwSt.) erhältlich. Die Wege der Verkehrs­ver­waltung sind manchmal unergründlich.

Aktuelles Cover des Verkehrsblatt

Anders ist es aller­dings bei den techni­schen Regel­werken der Forschungs­ge­sell­schaft für Straßen- und Verkehrs­wesen. Hier gibt es die Ausnahme des § 5 Abs. 3 UrhG. Demnach ist auch dann ein Urheber­recht an techni­schen Regel­werken möglich, wenn offiziell in Gesetzen oder Verord­nungen oder anderen amtlichen Rechts­texten auf sie verwiesen wird. Ob sie urheber­rechtlich geschützt sind, richtet sich demnach nach dem Zivil­recht. Insbe­sondere muss Schöp­fungshöhe gegeben sein, was bei techni­schen Texten nicht immer der Fall ist.

Nach § 5 Abs. 3 Satz 2 f. UrhG hat der Inhaber des Urheber­rechts jedem Verlag der dies wünscht, unter angemes­senen Bedin­gungen das Recht zur Verviel­fäl­tigung und Verbreitung einzu­räumen. Ob diese Regelung, die offen­sichtlich auf käufliche Print­pro­dukte abstellt, wirklich in die Welt frei zugäng­licher Online-Ressourcen passt, mag dahin­ge­stellt sein. Um den Bürgern als Rechts­adres­saten freien Zugang zu verkehrs­rechtlich relevanten Texten zu geben, wäre es vermutlich an der Zeit, dass der Gesetz­geber diese urheber­recht­lichen Regelungen über technische Regel­werke überdenkt. (Olaf Dilling)

 

2024-03-14T15:54:50+01:0014. März 2024|Kommentar, Verkehr, Verwaltungsrecht|

EuGH zur Frage der „privaten“ Normen

Mit dem Satz „Unsere Gesetze sind nicht allgemein bekannt, sie sind Geheimnis der kleinen Adels­gruppe, welche uns beherrscht“ beginnt eine skurrile Parabel von Kafka namens „Zur Frage der Gesetze“. So ganz ohne Reali­täts­bezug ist diese fiktive Erzählung nicht. Denn die heutige techni­sierte Welt oft weniger durch frei zugäng­liche Parla­ments­ge­setze beherrscht als durch technische Normen. Und diese sind bisher urheber­rechtlich geschützt, so dass der Zugang zu ihnen beschränkt ist.

CE-Mark

Technische Normen werden in kleinen, der Öffent­lichkeit typischer­weise unzugäng­lichen Exper­ten­runden erstellt. Berühmt ist die Inter­na­tionale Standar­di­sie­rungs­or­ga­ni­sation (ISO). Im Verkehrs­be­reich entspricht dem in Deutschland die Forschungs­ge­sell­schaft für Straßen- und Verkehrs­wesen e. V. (FGSV). Und deren Produkte, die techni­schen Normen, sind mitnichten frei zugänglich. Sie haben ihren Preis und der ist hoch genug, um durch­schnitt­liche Privat­leute faktisch vom Zugang auszu­schließen. Denn wer wissen will, ob der neue Radweg zur Schule seiner Kinder nach den Regeln der Ingenieurs­kunst geplant wurde, sollte in die „Empfeh­lungen für Radver­kehrs­an­lagen“ (ERA) schauen. Und die kosten – egal, ob gedruckt oder elektro­nisch - immerhin 64,80 Euro. Das ist vielleicht nicht die Welt, aber für Leute, die nur mal einen Blick riskieren wollen, dennoch zu teuer.

Bezüglich harmo­ni­sierter techni­scher Normen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einer Grund­satz­ent­scheidung ein Recht auf freien Zugang einge­räumt. Denn diese seien Teil des EU-Rechts und Grund­sätze der Rechts­staat­lichkeit und des freien Zugangs zum Recht geböten dies. Für die FGSV oder das Deutsche Institut für Normung (DIN) gilt diese Recht­spre­chung nicht. Denn der EuGH kann ja nur für Europäi­sches Recht sprechen. Die Argumente des EuGH ließen sich aber auf das deutsche Recht übertragen. Dafür müsste aber anerkannt werden, dass es sich bei techni­schen und plane­ri­schen Normen um Recht handelt, da sie oft entscheidend sind für die konkrete Verwirk­li­chung und Ausge­staltung von Grund­rechten. (Olaf Dilling)

2024-03-06T16:25:25+01:006. März 2024|Verkehr|

Konkur­rie­rende Standards im Verkehrsrecht

Seit einiger Zeit stellt ein entfernter Bekannter, der für eine verkehrs­po­li­tische NGO arbeitet, unsere Geduld mit einem Geset­zes­entwurf nach dem Muster des Berliner Mobili­täts­ge­setzes auf die Probe: Er hat ihn mit ein paar Mitstreitern für ein kleines Bundesland auf eigene Faust erstellt. Und erwartet nun von uns, sich die Sache doch mal „pro bono“ anzusehen. Irgendwann am Wochenende oder spät abends ist vielleicht Zeit, kurz einen Blick drauf zu werfen, denn tatsächlich ist es ja ganz inter­essant. Und dass der Entwurf aufge­griffen wird, ist zumindest nicht ausge­schlossen. Aber richtig glücklich sind wir nicht, wenn es Schule machen sollte, dass Gesetze inzwi­schen nicht nur außerhalb der Minis­terien, sondern auch ohne staat­liches Budget vorbe­reitet werden.

Außerdem wurden wir in Berlin-Mitte von Changing Cities zur Vorstellung einer neuen verkehrs­pla­ne­ri­schen Richt­linie einge­laden. Am Ende kam uns ein Mandat dazwi­schen, das dringend bearbeitet werden musste. Aber auch diese Sache ist spannend und hier stellt sich zumindest nicht so sehr die Konkurrenz zu der hoheit­lichen Tätigkeit der Minis­te­ri­al­ver­waltung: Denn Richt­linien und Hinweise zur Verkehrs­planung sind in Deutschland ohnehin zumeist Privat­ver­gnügen. Bisher gibt es hier quasi ein Monopol eines Vereins, der Forschungs­ge­sell­schaft für Straßen- und Verkehrs­wesen e.V. (FGSV). Deren Standards, etwa die Richt­linien für die Anlage von Stadt­straßen – RASt 06, sind in der Praxis z.B. ausschlag­gebend dafür, wie breit Gehwege oder Fahrbahnen geplant und gebaut werden sollen oder dass bei Parkständen für Rollstuhl­be­nutzer auf einer Fahrzeug­seite ein lichter Abstand von 1,75 m einzu­halten ist.

Nicht ganz ohne Grund wird die Tatsache immer wieder kriti­siert, dass auf diese Weise viele entschei­dende Details der Gestaltung des öffent­lichen Verkehrs­raums von Experten und ohne umfas­sende Öffent­lich­keits­be­tei­ligung entschieden werden. Schließlich geht es auch um Umwelt- und Vertei­lungs­fragen, die durchaus politi­scher Natur sind. Und auch inhaltlich wurde der FGSV lange Zeit vorge­worfen, weiterhin an der autoge­rechten Stadt als Leitbild festzu­halten. Anderer­seits zeigt sich, dass zumindest manche Gerichte bei der Auslegung der Straßen­ver­kehrs­ordnung und ihrer Verwal­tungs­vor­schriften dem Fahrrad- und Fußverkehr noch weniger Platz einräumen, so unlängst das OVG Bremen.

Jeden­falls ging es bei der Vorstellung der Richt­linie um die Gestaltung von Kiezblocks, einem verkehrs­pla­ne­ri­schen Thema, dem sich die FGSV noch nicht angenommen hat. Daher konnte die NGO „Changing Cities“ mit ihrer spontan einbe­ru­fenen Fachgruppe Standards für die Mobili­täts­wende (FGSM) tätig werden: Unter Kiezblocks versteht sie Maßnahmen zur Verkehrs­be­ru­higung mit der in urbanen Wohnvierteln – als Mindest­standard – etwa durch gezielt aufge­stellte Poller (sog. Modal­filter) der Durch­gangs­verkehr verhindert wird. Weitere Maßnahmen beinhalten als Regel­standard ein Parkraum­ma­nagement, das auf eine Umver­teilung des öffent­lichen Raums im Viertel abzielt, und als Goldstandard weitere Maßnahmen zur Verkehrs­wende auf den Haupt­straßen. In der Detail­ge­treue reicht der Standard noch nicht ganz an dieje­nigen des Konkur­renten heran, aber trotzdem ist es eine sinnvolle Handrei­chung für Planungen mit vielen guten Ideen. Außerdem belebt Konkurrenz auf jeden Fall das Geschäft, in den neuen urbanen Fußgän­ger­zonen entgegen häufigen Unken­rufen sogar buchstäblich. (Olaf Dilling)

2023-03-24T11:58:26+01:0024. März 2023|Verkehr, Verwaltungsrecht|