Straßen­ver­kehrs­recht: Unver­wech­selbare „Sharrows“

Im Zusam­menhang mit der Verkehr­wende haben sogenannte „Straßen­be­ma­lungen“ Konjunktur. Bedienstete der Straßen­ver­kehrs­be­hörden meinen damit jene Gestal­tungs­ele­mente auf deutschen Straßen, die nicht amtliche Markie­rungen wie etwa eine Fahrstrei­fen­be­grenzung (Zeichen 295) sind, und damit auch keinen anord­nenden Charakter haben. Erfunden werden diese „Straßen­be­ma­lungen“ oft von Planern, die keine oder wenig Ahnung von Verkehrs­recht haben. Das müssen sie in vielen Fällen aller­dings auch nicht haben, denn diese Kennzeich­nungen haben auch keine rechts­ge­stal­tende Bedeutung.

Fahrrad und Fahrradpiktogramm auf der Straße

Um ein Beispiel zu nennen: In Freiburg wurde auf einer Straße, auf der weder Platz für einen Fahrradweg ist, noch ein genügend breiter Gehweg vorhanden, um dort auch auf einem gemein­samen Weg mit Fahrrädern zu fahren, Tempo 30 angeordnet. Mit der Folge, dass der Fahrrad­verkehr sich auf der Fahrbahn abspielen soll. Um sowohl Fahrrad­fahrer als auch Kfz-Führer auf diese geltende Rechtslage hinzu­weisen, wurden auf die Fahrbahn Fahrrad-Pikto­gramme zusammen mit einer Pfeil­kette gemalt. In der Fachsprache der Verkehrs­planer ist auch von sogenannten „Sharrows“ die Rede. Von Pfeilen, die auf das Teilen („Sharing“) von Straßenraum hinweisen sollen.

Daraufhin klagte ein Autofahrer sowohl gegen die Anordnung der Geschwin­dig­keits­be­grenzung als auch gegen die Kennzeichnung auf der Fahrbahn, die Fahrrad­fahrer dazu verleiten würde, zu weit links auf der Fahrbahn zu fahren. Sein Eilver­fahren war ohne Erfolg. Das Verwal­tungs­ge­richt Freiburg entschied in seinem Beschluss, dass das Tempo 30 aufgrund einer durch die polizei­liche Unfall­sta­tistik nachge­wie­senen Gefah­renlage nach § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO gerecht­fertig sei.

Was die sogenannten „Sharrows“ anging, gäbe es diese zwar nicht als offizielle Verkehrs­zeichen. Das sei aber auch nicht nötig, denn sie hätten eben auch nur hinwei­senden Charakter und seien keine amtliche Markierung. Daher sei schon kein Verwal­tungsakt vorhanden, gegen den der Kläger vorgehen kann. Da sie auch keine Ähnlichkeit zu amtlichen Verkehrs­zeichen hätten, gibt es keine Verwechs­lungs­gefahr nach § 33 Abs. 2 StVO. Daher seien sie verkehrs­rechtlich zulässig. (Olaf Dilling)

2023-08-18T16:52:19+02:0018. August 2023|Allgemein, Rechtsprechung, Verkehr|

Jahrelang übersehene Verkehrszeichen

In Meerbusch ist ein Anwohner gegen eine Tempo 30-Zone vor der Schule vorge­gangen, sowie gegen Stopp-Schilder an einer Kreuzung. Zunächst hat er in erster Instanz in der Sache recht bekommen, ist aller­dings vor dem Berufungs­ge­richt aus formalen Gründen gescheitert.

Vor dem Verwal­tungs­ge­richt hat er im Eilver­fahren und inzwi­schen auch im Haupt­sa­che­ver­fahren vor dem VG Düsseldorf recht bekommen. Warum das Gericht vor der Schule eine quali­fi­zierte Gefah­renlage für nötig hält, das geht aus der bisher veröf­fent­lichten Presse­mit­teilung des Oberver­wal­tungs­ge­richts (OVG NRW) nicht hervor.

Dies wäre aber begrün­dungs­be­dürftig. Denn nach § 45 Abs. 9 Satz 4 Nr. 6 StVO reicht eine einfache Gefah­renlage vor Schulen aus. Aller­dings schränkt die Rechts­spre­chung diese Ausnahme insofern ein, als dies nur an Schulen mit direktem Zugang zur Straße gilt. Aufklärung darüber ist erst mit Veröf­fent­li­chung der Entschei­dungs­gründe zu erwarten; gegebe­nen­falls geben wir hier ein „update“.

Die Schilder sind in unmit­tel­barer Nähe der Behausung des Klägers bzw. Antrag­stellers, der aber angibt, in Meerbusch nur seinen Zweit­wohnsitz zu haben. Obwohl er nach eigener Einlassung dort zeitweise in den letzten Jahren gewoht habe, habe erst Jahre nach der Anordnung der Verkehrs­zeichen von diesen erfahren und hat dementspre­chend erst 2021 Wider­spruch erhoben. Das VG Düsseldorf als Erstin­stanz hatte dies noch geltend lassen. Dagegen hat das OVG diese Tatsache nun in seiner Entscheidung angezweifelt und geltend gemacht, dass der Antrag­steller nicht plausibel gemacht habe, warum er die Verkehrs­re­gelung so lange übersehen habe. Daher hat es entgegen der Erstin­stanz den Antrag abgewiesen, so dass die Verkehrs­schilder erst mal stehen bleiben dürfen.

Die Berufung in der Haupt­sache wurde noch nicht entschieden, aber es ist zu erwarten, dass das OVG auch dort die Klage aufgrund des verfris­teten Wider­spruchs abweisen wird. (Olaf Dilling)

2023-08-09T20:15:47+02:009. August 2023|Rechtsprechung, Verkehr|

Der zähe Kampf um den öffent­lichen Raum

Der größte Teil des öffent­lichen Raums in Deutschland ist als Straßen und Plätze dem Verkehr gewidmet. In diesem Rahmen ist die Gestaltung ganz stark auf Verkehrs­ziele eingeengt. Dies ergibt sich aus dem Straßen­ver­kehrs­recht, das Einschrän­kungen des fließenden Verkehrs im Grundsatz von der Verfolgung verkehrs­in­terner Ziele abhängig macht. Insofern wurden die Spiel­räume der Verwaltung, insbe­sondere der Kommunen bei der Planung ihrer örtlichen Angele­gen­heiten stark einge­schränkt. Inbesondere durch die sogenannte Schil­der­wald­no­velle, die in der Regel eine quali­fi­zierte Gefah­renlage für Anord­nungen für den fließenden Verkehr voraussetzt.

An der Orien­tierung an Verkehrs­zwecken haben auch die viele Reformen der StVO kaum etwas geändert. Zwar wurde ein inzwi­schen zunehmend unüber­sicht­licher Katalog von Ausnahmen einge­führt. Die Begründung vieler dieser Ausnahmen ist jedoch weiterhin auf Gefahren der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs beschränkt. Statt einer quali­fi­zierten Gefah­renlage wird nun lediglich eine einfache Gefah­renlage gefordert.

Für viele Behörden und manche Gerichte wird in der Praxis kaum zwischen der einfachen und quali­fi­zierten Gefah­renlage diffe­ren­ziert. In beiden Fällen werden „objektive“ Daten gefordert, um die Maßnahme zu begründen. Beispiele sind etwa eine Geschwin­dig­keitbe­grenzung auf Tempo 30 vor einer Schule oder ein Verkehrs­versuch mit Umwandlung einer Fahrspur des Innen­stadt­rings in einen beidseitige Radfahr­streifen ist.

Bei der Schule wären wir – unter Verweis auf die Gesetz­ge­bungs­ma­te­rialien – der Auffassung, dass bereits der Zugang von der Schule zur Straße eine Gefahr begründet. Eine weitere detail­lierte Begründung der Geschwin­dig­keits­be­grenzung ist aufgrund der Ausnahme nicht nötig. Lediglich ausnahms­weise können örtliche Gegeben­heiten wie Linen­busse oder prognos­ti­zierte Ausweich­ver­kehre eine andere Entscheidung begründen. Landrats­ämter in der oberbaye­ri­schen Provinz sehen das mitunter anders: Sie wollen „Blut sehen“, gefordert sind also bereits geschehene Unfälle, die sich in der Unfall­sta­tistik als beson­derer Gefah­ren­schwer­punkt nieder­ge­schlagen haben.

Was den Verkehrs­versuch angeht, hat das VG Gießen in einem Eilver­fahren darauf beharrt, dass die Stadt für die Einrichtung eines neuen Radwegs auf einem bishe­rigen Kfz-Fahrstreifen eine Gefahr für Ordnung und Sicherheit des Verkehrs begründen muss. Tatsächlich ist das nach aktueller Rechtslage noch der Fall. Aller­dings sollten die Anfor­de­rungen an die Begründung nicht überspannt werden. Immerhin geht es um einen Versuch, bei dem erst heraus­ge­funden werden soll, ob eine dauer­hafte Sperrung sinnvoll und gerecht­fertigt wäre. Die Stadt Gießen könnte insofern in ihrer Beschwerde beim Verwal­tungs­ge­richtshof weitere straßen­ver­kehrs­be­zogene Gründe, also Gefahren für die Sicherheit des Verkehrs oder einen hohen Bedarf für den Radweg, nachliefern und hat dann gute Chancen, dass der VGH die Entscheidung revidiert.

Aller­dings geht es der Stadt auch um Klima­schutz und um plane­rische Aspekte. Diese Gründe für die Einrichtung des Fahrradwegs in Gießen sind bisher nicht zulässig. Mögli­cher­weise wird eine lang erwartete Reform der StVO diese Gründe für die Einrichtung von Fahrrad­in­fra­struktur erlauben und Kommunen so mehr Spiel­räume verschaffen. Aller­dings gibt es dafür erst einen ersten Entwurf vom Verkehrs­min­s­terium, der noch im Ressort und mit dem Bundesrat abgestimmt werden muss.

Das Straßen­ver­kehrs­recht würde dann ein Stück weit für weitere Aspekte geöffnet, am grund­sätz­lichen Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen verkehrs­be­zo­genen Gründen und anderen relevanten Belangen des öffent­lichen Raums wird auch diese Reform nichts ändern. (Olaf Dilling)

2023-07-13T14:47:46+02:0013. Juli 2023|Allgemein, Rechtsprechung, Verkehr, Verwaltungsrecht|