Frau Kramp-Karrenbauer hat sich geärgert: Der Aufruf von 70 Youtubern sei Anlass für eine Diskussion, welche offline geltenden Regeln auch online angewandt werden müssen.
Festzuhalten ist dabei zunächst: Aktuell gibt es kein Gesetz, das es verbieten würde, im Wahlkampf seine Meinung zu publizieren. Eine (oder 70) Zeitungsredaktionen wären also frei darin, zum Sturz der Regierung aufzurufen. Zeitungen haben sich zwar selbst einen Pressekodex auferlegt, aber verbindlich ist der nicht und er beinhaltet auch kein Neutralitätsgebot. Für den Rundfunk gilt zwar laut § 7 Abs. 9 Rundfunkstaatsvertrag ein politisches Werbeverbot, aber der RStV verbietet keine Wahl- oder eben nicht Wahlaufrufe, sondern eben nur „Werbung“.
Aber was nicht ist, könnte ja noch werden. Wäre eine Regulierung, wie Frau Kramp-Karrenbauer sie angedeutet hat, also erlaubt? Werfen wir einen Blick ins Grundgesetz:
Generell gilt für alle Meinungsäußerungen Art. 5 Abs. 1 GG. Dieses Grundrecht ist außerordentlich komprimiert, denn es enthält gleich fünf verschiedene Rechte: Die Meinungs- Informations‑, Presse‑, Rundfunk- und Filmfreiheit. Für alle gilt: Sie werden nicht schrankenlos gewährt. Sondern können eingeschränkt werden. Eine Zensur – also eine Kontrolle vor Veröffentlichung – ist dabei zwar nicht erlaubt (Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG). Aber es gilt Art. 5 Abs. 2 GG, der lautet:
„Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“
Allgemeine Gesetze klingt erst mal gut, wenn man sich von Leuten verfolgt wähnt, deren Meinung gerade darin besteht, man mache seinen Job nicht so, wie es die Grundrechtsträger wollen. Ein allgemeines Gesetz könnte der Gesetzgeber ja einfach erlassen. Es könnte z. B. lauten: „In den letzten vier Wochen vor Wochen vor bundesweiten Wahlen dürfen nur ausgewogene Meinungen publiziert werden.“.
Das wäre zwar ein allgemeines Gesetz, das allein nach dem oberflächlichen Wortlaut der Norm Art. 5 Abs. 1 GG einschränken könnte. Aber wäre es auch verfassungskonform oder hebt das Bundesverfassungsgericht eine solche Regelung stracks wieder auf? Hier kommen wir auf einen Begriff, wie sich ihn nur Juristen ausdenken können: Die Schranken-Schranke. In der Langfassung: Auch die Beschränkung des Grundrechts selbst muss mit dem Grundrecht vereinbar sein. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn eine Regelung einerseits das in Art. 19 Abs. 2 GG hinterlegte Verbot nicht verletzt, Grundrechte „in ihrem Wesensgehalt“ anzutasten. Und andererseits muss die Schrankenbestimmung verhältnismäßig sein.
Ein Gebot, im Wahlkampf nur ausgewogene Meinungen zu veröffentlichen, dürften beide angesprochene Punkte verletzen. Schließlich gehört es zum Kern von Art. 5 Abs. 1 GG, dass man die Regierung ablehnen und zu ihrer Abwahl aufrufen darf. Und ist das wirklich – wie es das Verhältnismäßigkeitsgebot fordert – geeignet, erforderlich und angemessen, um den demokratischen Prozess der Willensbildung nicht zu stören, wie Frau Kramp-Karrenbauer es angedeutet hat? Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Es ist gerade Teil des demokratischen Willensbildungsprozesses, dass Leute laut und deutlich ihre Meinung über Politiker und Parteien sagen. Wie das Bundesverfassungsgericht regelmäßig unterstreicht: Die Meinungsfreiheit – und das damit verbundene Recht, seine Meinung auf welchem Wege auch immer zu äußern – ist „schlechthin konstituierend“ (BVerfGE 20, 56, 97 f.) für eine Demokratie. Die Demokratie und damit auch der demokratische Willensbildungsprozess müssen also nicht vor polarisierenden Meinungen geschützt werden. Demokratie setzt vielmehr voraus, dass man laut und deutlich seine Meinung sagen darf.
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