Der Kanzler hat das letzte Wort
Seit Wochen schwelt in der Regierungskoalition ein Streit zwischen FDP und Grünen, der jetzt durch ein Machtwort des Bundeskanzlers entschieden wurde. Nun kommt sie wohl also doch, die Verlängerung der Laufzeit der letzten Atomkraftwerke, die am Netz verblieben sind. Allerdings, so der Kompromiss, nur bis Mitte April des kommenden Jahres. Neue Brennstäbe und eine mehrjährige Laufzeitverlängerung, wie von der FDP gefordert, wird es also nicht geben.
Aber wie sieht es verfassungsrechtlich aus? Darf der Kanzler das überhaupt? Oder ist die Richtlinie ein Eingriff in die Zuständigkeit seiner Minister? Formal begründet hat er seine Entscheidung mit § 1 der Geschäftsordnung der Bundesregierung (GO BReg). Demnach bestimmt der Kanzler die Richtlinien der Politik. Sie sind für die Bundesminister verbindlich und von ihnen in ihrem Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung zu verwirklichen. Das klingt erstmal eindeutig.
Ein bisschen Grund zum Zweifeln gibt allerdings die Norm, auf der die Geschäftsordnung beruht, nämlich Artikel 65 Grundgesetz: Hier steht in Satz 3 nämlich, dass über Meinungsverschiedenheiten zwischen den Bundesministern die Bundesregierung entscheidet. Insofern hätte es nahe gelegen, das gesamte Kabinett in die Streitschlichtung einzubeziehen. Allerdings ging es bei der Frage der Laufzeitverlängerung erkennbar um eine Entscheidung von hohem politischen Gewicht, so dass der Kanzler seine Richtlinienkompetenz wohl berechtigterweise ausgeübt hat (Olaf Dilling).