Im Kreuzberger Mietshaus hat unten ein Mieter eine Liste für das Volksbegehren „Berlin Autofrei“ ausgehängt. Viele hätten sich noch nicht eingetragen, sagt er, aber sie läge auch noch nicht lange aus. Noch vor wenigen Jahrzehnten hätte man die Idee, dass die größte Stadt Deutschlands in wesentlichen Teilen autofrei (oder zumindest autoarm) werden soll, für völlig utopisch gehalten. Auch aktuell ist die Forderung eine Provokation für viele Menschen, aber es kommen doch auch viele Leute ins Grübeln.
Denn Tatsache ist, dass in dichtbesiedelten Städten wie Berlin Autos als primäres Fortbewegungsmittel einfach wenig Sinn machen. Und wenn sie kaum genutzt werden, weil es praktischere, schnellere und günstigere Alternativen gibt, dann stehen sie trotzdem einen Großteil der Zeit herum, versperren anderen Verkehrsteilnehmern den Weg oder verhindern sinnvollere Nutzungen des öffentlichen Raums.
Also sagen wir mal, was wäre, wenn die Idee, die Benutzung von Kraftfahrzeugen innerhalb des Berliner S‑Bahn-Rings zur Sondernutzung zu erklären, tatsächlich genug Unterstützer finden würde, um durchsetzbar zu sein. Wäre sie dann auch juristisch haltbar?
Zunächst einmal wollen die Initiatiorinnen klugerweise bei der Einschränkung des Gemeingebrauchs, also beim Straßenrecht ansetzen. Dadurch vermeiden sie, anders als beim Mietendeckel, ein Kompetenzgerangel mit dem Bund. Das würde entstehen, wenn bei Beibehaltung der straßenrechtlichen Situation die Nutzung der Berliner Straßen über das Straßenverkehrsrecht eingeschränkt würde.
Nun wäre dennoch zu erwarten, dass Berliner Autofahrer gegen die starken Einschränkungen klagen würden. Aber der Ausgang einer solchen Klage wäre ungewiss. Denn ein Grundrecht auf Mobilität ist im Grundgesetz an sich nicht ausdrücklich vorgesehen. Und wenn es so etwas gibt wie ein durch Grundrechte abgesichertes Mobilitätsbedürfnis, dann gilt dies genauso für andere Verkehrsteilnehmer wie Fahrradfahrer, Fußgänger oder Nutzer des ÖPNV. Die dürften aber durch eine starke Einschränkung des Kfz-Verkehrs im hohen Maßen profitieren. Denn der urbane öffentliche Raum ist so knapp, dass die Einschränkung einer Verkehrsart fast automatisch allen anderen Verkehrsarten zugute kommt. Das gilt ganz besonders für eine Einschränkung des flächenintensiven mobilen Individualverkehrs. Zugute kommen würde sie Verkehrsarten, die noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dominiert hatten und dann immer stärker zurückgedrängt worden waren. Ein Stückweit also ausgleichende Gerechtigkeit.
Was aber tatsächlich schwerig ist: Die Idee die zulässigen Fahrten mit dem Kfz auf eine bestimmte, eher willkürlich gegriffene Anzahl zu reduzieren. Zwölf Fahrten mit dem Kfz sollen den Bürgern nach der Vorstellung der Initiative im Jahr noch zustehen. Da wäre es sinnvoller, Ausnahmen für bestimmte notwendige Fahrten zu machen. Zum Beispiel Lieferfahrten, Krankentransporte oder vielleicht auch die Fahrt in den Urlaub.
Aber letztlich sind das Details, die bei einem (partiellen) Erfolg des Volksbegehrens gegebenenfalls noch modifiziert werden könnten. Auch bei einem Misserfolg steht fest. So wie die Verkehrssituation in Berlin aktuell ist, kann es nicht bleiben. Denn so bevormundend vielen Autofahrern die Initiative erscheint: Viele Bürger die gerne Fahrrad fahren oder zu Fuß gehen würden, tun dies aktuell nicht, weil es zu gefährlich, zu stressig oder zu gesundheitsschädlich ist. Von der freien Wahl des Verkehrsmittels, die gerne von Gegnern von Einschränkungen des Autoverkehrs wie der Familienministerin Franziska Giffey beschworen wird, kann also auch aktuell keine Rede sein (Olaf Dilling).
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