Erinnern sie sich noch an die Diskussion über den Schilderwald? Das war im Verkehrsrecht mal ein ganz heißes Thema. Um den Schilderwald zu reduzieren, wurde im Jahr 1997 die StVO reformiert. Eingefügt wurde in den ohnehin ausufernden Paragrafen 45 StVO der Absatz 9. Demnach muss jede verkehrsrechtliche Anordnung, die den fließenden Verkehr einschränkt, ganz besonders aufwendig begründet werden.
Wenn zu Beispiel Tempo-30-Zonen eingerichtet werden sollen, muss nun aufgrund der örtlichen Gegebenheiten eine Gefahrenlage bestehen, die erheblich über dem allgemeinen Risiko liegt. Was gar nicht so einfach zu begründen ist. Denn ein gewisses Risiko besteht im Straßenverkehr ja fast überall. Aber es gibt von dieser Begründungspflicht auch Ausnahmen. Zum Beispiel vor allgemeinbildenden Schulen, Kindergärten, Altenheimen, Krankenhäusern usw. Überall dort darf unter erleichterten Bedingungen Tempo 30 angeordnet werden.
Wenn nun an einer Straße in gewissen Abständen mehrere solcher Einrichtungen liegen, ist es aber nicht etwa so, dass die gesamte Straße zur Tempo-30-Zone wird. Denn sagen wir mal, wenn irgendjemand irgendwo zwischen Kindergarten und Altenheim aber in ausreichender Entfernung zu beiden bei einer Geschwindigkeitsübertretung erwischt wird. Dann könnte er gegen die Geschwindigkeitsbegrenzung klagen und würde vor dem Verwaltungsgericht voraussichtlich recht bekommen. Denn da wo er gefahren ist, war weder der Kindergarten, noch das Altenheim in unmittelbarer Nähe.
Das hat zur Folge, dass die Geschwindigkeit auf der Straße ständig von Tempo 30 zu Tempo 50 und wieder zurück wechselt. Das sorgt für ordentlich Benzinverbrauch, denn das ständige Abbremsen und Anfahren ist natürlich sehr ineffizient. Und wissen Sie wodurch die Tempowechsel immer wieder angekündigt wird? Ja, richtig: Verkehrsschilder.
Als Mittel, den Schilderwald tatsächlich zu reduzieren, ist die Idee Beschränkungen des fließenden Verkehrs höhere Begründungslasten aufzuerlegen daher ziemlich erbärmlich gescheitert. Sinnvoller wäre es durchzusetzen, was jetzt immer wieder gefordert wird: Dass Tempo 30 innerorts zum einheitlichen Geschwindigkeit wird und nur auf den großen Durchgangsstraßen Tempo 50 angeordnet wird. Das würde auch für mehr Transparenz bei den Autofahrern sorgen.
Leider ist das Bundesverkehrsministerium bisher nicht von dieser Idee überzeugt. Unter anderem, weil Tempo 30 aufgrund der häufigen Tempowechsel angeblich für mehr Kraftstoffverbrauch sorgen würde. Offenbar hält das BMVI die selbst verursachten Tempowechsel inzwischen für ein Naturgesetz. Andere Institutionen, etwa der Deutsche Städtetag und die Verkehrministerkonferenz der Länder halten dagegen: Zumindest sollte es nach Auffassung der Länder möglich sein, großzügiger Lückenschlüsse zwischen Tempo 30- Bereichen vor Schulen, Altenheimen usw anzuordnen. Ein Teil des Flickenteppichs ließe sich damit schon einmal vereinheitlichen. Ein paar Städte, wie Freiburg, Bonn oder Konstanz wollen noch weiter gehen und überlegen, in einem Modellversuch Tempo 30 als innerstädtische Regelgeschwindigkeit einzuführen. Bisher scheitert der Plan allerdings noch an den rechtlichen Hürden (Olaf Dilling).
Dass das Argument nicht stimmt, Tempo 30 reduziere den Kraftstoffverbrauch, kann man eindeutig an den genormten Kraftstoffverbrauchsangaben nach dem mit viel Aufwand eingeführten WLTP-Test erkennen, dort ist der Kraftstoffverbrauch „langsam“ stets deutlich höher als „mittel“ oder „schnell“ oder sehr schnell.
Danke für Ihren Hinweis! Dass die Zusammenhänge offenbar nicht so eindeutig sind, legt eine Dokumentation des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags von 2019 nahe über „Fahrzeug-Emissionen bei 30 km/h und 50 km/h“. Sicher ist demnach eigentlich nur, dass eine Verstetigung des Verkehrsflusses entscheidend für eine Verringerung des Schadstoffausstoßes und des Verbrauchs insgesamt ist.
[…] Flickenteppich Tempo 30 (recht-energisch.de) […]
Selbst wenn der Verbrauch auch kaum ändert, gibt es nicht Reifenabrieb, Bremsstaub, Unfallgefahr, Lärm. Alles wird durch Tempo 30 weniger. Alleine die deutlich reduzierte Unfallgefahr reicht mir als Argument aus.
Das liegt einfach daran, dass im „Langsam“ und „Mittel“ Bereich des WLTP deutlich mehr gebremst und beschleunigt wird (die Wikipedia hat da eine Übersicht zu: https://de.wikipedia.org/wiki/Worldwide_harmonized_Light_vehicles_Test_Procedure). Das ist es ja, was in der Stadt den Kaftstoffverbrauch bestimmt: wie flüssig der Verkehr ist. Mit meinem alten Skoda Octavia brauche ich bei 30km/h unter 3l/100km, aber nur wenn ich die Ampelschaltung kenne und kein Verkehr ist, sonst fast das doppelte. Welchen Einfluss die Standardgeschwindigkeit in der Stadt auf den Verkehrsfluss hat könnte man ja durch Modellversuche feststellen, wie die nicht durch das Verkehrsministerium verhindert würden.