Auf Pfaden des Gewohnheitsrechts
Ehrlich gesagt kommen bei Recherchen manchmal Fälle zu Tage, die eine romantische Ader wecken: Uralte, halbvergessene Rechtsinstitute, die vermutlich von Anwälten in der Provinz aus alten staubigen Folianten gekramt werden mussten – und dann, mit einer Portion Bauernschläue angewandt, manchmal ganz moderne Rechtsansprüche zu Fall bringen können.
So zum Beispiel ein Fall des Bundesverfassungsgerichts, in dem es um die Ansprüche eines Grundstückseigentümers geht, einen sogenannten „Allmendpfad“ im Südschwarzwald zu blockieren. Wo doch eigentlich jeder wissen müsste, dass die Allmende der kommunale Gemeinbesitz war, der im Prinzip allen im Dorf auf den zugehörigen Angern und Bergwiesen zur freien Verfügung stand.
Das örtliche Verwaltungsgericht hatte zunächst schon zu Gunsten des Privateigentümers entschieden. Dann aber, „deus ex machina“, das mehr oder weniger in Ehren ergraute Rechtsinstitut, das dem Eigentümer vom Oberverwaltungsgericht entgegengehalten wurde: die sogenannte „unvordenkliche Verjährung“ des alten badischen Rechts. Etwas vereinfacht: Der Weg ist öffentlich. Es war schon immer so, seit sich Menschen erinnern können. Und tatsächlich fanden sich alte Anwohnerinnen, die vor Gericht die Nutzung des Weges zu ihrer Kindheit bezeugen konnten.
Nun bestehen gute Gründe, solche alten Gewohnheitsrechte nicht immer in Ehren zu halten. Denn Recht wandelt sich und wird im demokratischen Rechtsstaat auch verändert, an neue Lebensbedingungen und sich wandelnde Werte angepasst. Zudem ist es nicht sinnvoll, alle Fragen der lokalen Gemeinschaft immer auch im lokalen Kontext zu entscheiden. Jedenfalls, wenn Rechte von Minderheiten oder der übergreifenden Gemeinschaft betroffen sind: Möglicherweise wäre die Sklaverei in den USA nie abgeschafft worden, wenn die Entscheidung nicht in Washington, sondern in Montgomery, der vorübergehenden Hauptstadt der Konföderierten, entschieden worden wäre.
Aber es gibt eben auch Konstanten. Dass es sinnvoll ist, wenn es öffentliche, allen zugängliche Wege gibt und sie auch erhalten bleiben. Und dass die Naturschönheiten des Schwarzwaldes nicht nur privaten Eigentümern zur Verfügung stehen. Letztlich hängt dies aber nicht nur an den alten, unvordenklichen Rechten, sondern auch daran, dass die Legislative in Baden-Württemberg ihre Anwendung im Straßenrecht nicht ausgeschlossen hat. In den ersten Jahrzehnten der Nachkriegszeit wurden sie sogar ausdrücklich anerkannt. Und dadurch seien die alten öffentlichen Wege auch ohne formelle Widmung in die neue Rechtsordnung übernommen worden. Zumindest mangels solcher ausdrücklicher Widmungen oder anderslautender Gesetzgebung können alte Rechte weiterhin manchmal zum Zuge kommen. Und das ist dann vielleicht auch ganz gut so (Olaf Dilling).