Verkehr: Schluss­licht in Scharm el-Sheich

Beim Umwelt­gipfel im ägypti­schen Scharm el-Scheich bilan­zieren die Vertrags­staaten ihre Fortschritte bei der Umsetzung des Pariser Klima­ab­kommen. Für Deutschland könnte es peinlich werden. Dann im größten Problem­sektor, dem Verkehr, hat der einstige Vorreiter im Klima­schutz kaum etwas vorzu­weisen, um dem 1,5‑Grad-Ziel näher zu kommen. Bisher konnte sich der Wirtschafts­mi­nister Habeck mit dem Verkehrs­mi­nister Wissing nicht auf anspruchs­volle Maßnahmen einigen. Die Gespräche sind nun erst einmal ausge­setzt und wurden auf 2023 verschoben.

Bremslicht eines Pkw

Die von Wissing selbst vor einiger Zeit vorge­schla­genen Maßnahmen gelten als unzurei­chend. Nachge­bessert hat er bisher nicht. Durch das unambi­tio­nierte Vorgehen reduzieren sich die Anfor­de­rungen nicht, da bis 2030 die Emissionen auf fast die Hälfte sinken müssen. Die aktuellen Freiheiten im Umgang mit dem Klima­schutz bedeuten, dass in Zukunft noch schneller noch größere Einschrän­kungen kommen werden. Dadurch setzt sich die Politik immer stärker unter Zugzwang.

Die FDP geht sogar  noch weiter: Sie fordert jetzt im Zusam­menhang mit dem Klima­schutz­pro­gramm eine Anpassung des Klima­schutz­ge­setzes: Bisher sieht es jedes Jahr Obergrenzen für jeden Sektor vor. Die FDP will, dass sowohl über die Jahre hinweg als auch über die Sektoren mehr Flexi­bi­lität gewährt wird. Für die Koali­ti­ons­partner (und künftige Regie­rungen) klingt das nicht nach einer attrak­tiven Option. Denn es ist zu vermuten, dass sie dann wegen der aktuellen Verfeh­lungen im Verkehrs­sektor weitere Spiel­räume verlieren. Und da es im Verkehr bisher, anders als in den anderen Sektoren Energie­wirt­schaft, Industrie, Gebäude, Landwirt­schaft und Abfall, bisher so gut wie keine Einspa­rungen gab, wären hier die Poten­tiale am größten. Und dass das Ganze ein Nullsum­men­spiel ist, liegt an den europa- und völker­recht­lichen Verpflich­tungen bezüglich der Gesamt­ziele keine Flexi­bi­lität, die sich nicht mehr so einfach durch einen Strich des Gesetz­gebers ändern lassen. (Olaf Dilling)

2022-11-01T12:40:40+01:001. November 2022|Kommentar, Umwelt, Verkehr|

Lasten­räder als Logistik-Alternative

Wenig Themen polari­sieren die derzeitige verkehrs­po­li­tische Diskussion mehr als das Lastenrad. Für viele ist es quasi erwei­terter Selbstmord, seine Kinder im Stadt­verkehr in so ein Gefährt zu setzen. Die Dinger würden die Gehwege zuparken. Sie seien ein viel zu teures Lifestyle-Acces­soire für Urbane Doppel­ver­diener, die ökolo­gisch gut dastehen wollen. So verbreitete Auffas­sungen von Lastenrad-Gegnern.

Für andere sind sie die Lösung schlichthin für die Mobili­täts­pro­bleme und Flächen­nut­zungs­kon­flikte in Großstädten. Mit einem Elektro­motor ausge­stattet könnten sie in vielen Fällen viel besser als große Lkws und mittel­große Liefer­wagen, Gegen­stände durch enge und zugeparkte Straßen trans­por­tieren, so dass auch Logis­tik­un­ter­nehmen und Paket­zu­steller „für die letzte Meile“ auf sie setzen.

Frau in holländischer Geschäftsstraße auf Lastenfahrrad

Welche Position, pro oder contra Lasten­räder, zutrifft, kommt – wie so oft – auf den Vergleichs­maßstab und Kontext an: Wenn Lasten­räder Kfz ersetzen, dann haben sie auf jedenfall Potential, den Stadt­verkehr ökolo­gi­scher, platz­spa­render und sicherer zu gestalten. Und auch die Anschaf­fungs­kosten sind geringer als die eines Klein­wagens. Ob Kinder, die zur Kita oder Grund­schule gebracht werden, sicher ankommen, hängt vor allem davon ab, wie schnell auf den Stadt­straßen gefahren werden darf und ob ausrei­chend sichere Gehwege und Radin­fra­struktur existieren. Zumindest für Kinder die zu Fuß gehen oder selbst mit dem Rad fahren, dürfte die Bedrohung durch Lasten­räder erheblich geringer sein als durch Kfz.

Angesichts der Vorteile liegt es nahe, das Umsteigen von Kfz auf Lasten­räder zu fördern. Neben dem Ausbau von sicheren und ausrei­chend breiten Radwegen gibt es hier zum einen Ansätze, den Kauf von Lasten­rädern direkt staatlich zu fördern. Förde­rungen gibt es einer­seits aufgrund der E‑Las­ten­fahrrad-Richt­linie über das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhr­kon­trolle (BAFA) für Unter­nehmen, Kommunen und Vereine. Zum anderen gibt es in einigen Bundes­ländern, etwa in Bremen, Förderung unter anderem auch für Privat­per­sonen und Kleinstunternehmen.

Eine Frage, die bisher oft noch Sorgen bereitet, ist die nach den Abstell­mög­lich­keiten von Lasten­rädern, die sich meist nicht ohne weiteres im Keller oder Hausflur unter­bringen lassen. Grund­sätzlich gelten Lasten­fahr­räder als Fahrräder, die anders als Pkw oder andere Kfz nach der Recht­spre­chung auch auf Gehwegen abgestellt werden dürfen, solange sie Fußgänger und insbe­sondere Kinder­wagen- und Rollstuhl­fahrer nicht behindern. Anders als oft vermutet wird, dürfen sie wie alle anderen Fahrzeuge auch, im Rahmen des Gemein­ge­brauchs jedoch ebenso am Fahrbahnrand abgestellt werden. Für manche Kraft­fahrer ist das ein Ärgernis, weil sie diese Fläche exklusiv für ihre Fahrzeuge beanspruchen wollen. Aber vor dem Hinter­grund, dass sie – siehe oben – oft Kfz ersetzen und etwa viermal so wenig Fläche einnehmen, dürfte das Nutzen und Parken der Lasten­räder eher zur Entlastung des „Parkdrucks“ führen.

Weil die Lasten­rad­nutzer von der Parkmög­lichkeit am Fahrbahnrand aber kaum Gebrauch machen, weisen einige Städte für Lasten­räder – und oft auch E‑Roller – eigens gekenn­zeichnete Parkflächen aus, vor allem um die Gehwege zu entlasten. So hat die Senats­ver­waltung für Umwelt, Verkehr und Klima­schutz Planungs­vor­gaben für solche Parkplätze erlassen. Demnach können an allen Straßen, an denen maximal Tempo 30 gilt, Kfz-Stell­plätze in spezielle Parkflächen für Lasten­räder umgewandelt werden (Olaf Dilling).

2022-10-11T12:36:33+02:0015. September 2022|Verkehr|

Kommt die ÖPNV-Flatrate?

Der Öffent­liche Perso­nen­nah­verkehr (ÖPNV) muss für viele auslän­dische Besucher in mancher Hinsicht wie aus der Zeit gefallen wirken. Das gilt insbe­sondere für die Fahrkar­ten­kon­trollen. Wer in Paris, London oder Madrid in Busse oder Stadt­bahnen steigt, hat meist eine physische Barriere zu überwinden, was ohne die richtige Fahrkarte gar nicht geht. Die meisten Menschen benutzen Chipkarten und die Tarife sind mit etwas Übung einiger­maßen zu durchschauen.

In Berlin stehen viele Menschen erst eine Weile hilflos vor dem Fahrkar­ten­au­to­maten, bis sich jemand ein Herz fasst und hilft, die richtige Fahrkarte zu kaufen. Natürlich ist sie dann aus Papier und muss noch korrekt abgestempelt werden. Zwar gibt es auch Chipkarten, aber da die gesamte Infra­struktur kaum auf elektro­nische Tickets ausge­richtet ist, werden sie kaum genutzt, jeden­falls nicht von tempo­rären Gästen.

Wenn also so ein Besucher aus dem europäi­schen Ausland dann tatsächlich in der S‑Bahn angekommen ist, droht eine Fahrkar­ten­kon­trolle. Und vermutlich macht jeder Urlaubsgast, dessen sich niemand erbarmt hat, beim ersten Mal mindestens einen Fehler, der ein erhöhtes Beför­de­rungs­entgelt fällig werden lässt. Dabei sind die Urlaubs­gäste, die meist größere Mengen Bargeld mit sich führen, meist noch besser dran als Leute ganz ohne Geld. Die müssen, wenn sie wiederholt wegen Schwarz­fahrens aufge­fallen sind, nicht selten sogar ins Gefängnis. Denn wenn sie die Strafen nicht zahlen können, kann Ersatzhaft drohen. Die Frage der Verhält­nis­mä­ßigkeit solcher Strafen wäre einen eigenen Blogar­tikel wert: Inzwi­schen gibt es eine Initiative, die Menschen hilft, die  in diese Notlage geraten sind.

Die Frage hier ist jedoch eine andere: Ist es tatsächlich effizient, ein so aufwen­diges und kompli­ziertes Bezahl- und Kontroll­system aufrecht zu halten, um den öffent­lichen Verkehr am Laufen zu halten? Seit einiger Zeit wird in vielen Städten disku­tiert, den öffent­lichen Verkehr gar nicht mehr über die indivi­duelle Benutzung zu finan­zieren. Das hat zwar einige Nachteile, u.a. könnten damit Quali­täts­ein­bußen einher­gehen. Die Vorteile liegen jedoch auf der Hand. Es könnte erheblich an Personal- und Kontroll­kosten gespart werden.

Aktuell geht es eher um eine – temporäre – Flatrate, einen günstigen Monats­tarif, der den gesamten deutschen öffent­lichen Nah- und Regio­nal­verkehr umfassen soll, das sogenannte 9‑Euro-Ticket. Als Teil des Entlas­tungs­pakets 2022 soll er dafür sorgen, dass Pendler von steigenden Energie­kosten entlastet werden. Zugleich soll die Attrak­ti­vi­täts­stei­gerung des ÖPNV auch einen Anreiz zur Einsparung von Kraft­stoffen setzen.  Noch könnte das bereits offiziell angekün­digte und in Kürze in Kraft tretende Projekt am Wider­stand der Länder scheitern. Denn zwischen Bundes­re­gierung und einigen Ländern ist die Finan­zierung strittig. Vermutlich könnte das 9‑Euro-Ticket nicht nur für volle Züge, sondern auch für leere Kassen sorgen. Es sei denn jetzt schon wird eine angemessene Anschluss­fi­nan­zierung für das zeitlich begrenzte Projekt sicher­ge­stellt. Heute stimmt der Bundesrat darüber ab (Olaf Dilling).

2022-05-19T01:37:43+02:0019. Mai 2022|Allgemein, Verkehr|