Wann darf man denn den Saft abstellen?
Strom ist der Lebenssaft der Gegenwart. Ohne Strom kann ein normaler Haushalt weder kühlen noch kochen, und auch Kommunikation und Information hängen an der Versorgung mit Elektrizität. Deswegen gelten für die Versorgung mit Strom besondere Regeln, so kann sich zB der lokale Grundversorger anders als Händler mit anderen Gütern seine Kunden nicht aussuchen.
Doch wie ist mit Kunden umzugehen, die ihre Rechnungen hartnäckig (oder schlicht verzweifelt) nicht bezahlen? Ginge es um ein Zeitungsabo wäre die Sache klar: Wer nicht zahlt, muss auch nicht mehr beliefert werden. Wegen der besonderen Bedeutung von Strom sieht es bei Stromlieferverträgen mit Verbrauchern aber anders aus. Hier gibt § 19 Abs. 2 StromGVV vor, unter welchen Bedingungen die Versorgung eingestellt werden darf. Mit § 19 GasGVV existiert für Gas eine ähnliche Regelung.
Für die Stromgrundversorgung ist angeordnet, dass erst bei Rückständen von mindestens 100 EUR gesperrt werden darf. Mit einer Sonderregelung hat der Gesetzgeber Vorsorge getroffen, dass nicht (nachvollziehbar) umstrittene und deswegen zurückbehaltene Beträge zur Sperrung führen können. Der BGH hat allerdings 2013 klargestellt, dass der Versorger durchaus dann sperren darf, wenn der Kunde nicht nur den umstrittenen Betrag zurückbehält, sondern einfach gar nichts zahlt (Urt. v. 11.12.2013, VIII ZR 113/10).
Auch darf der Grundversorger nicht einfach so und völlig überraschend den Strom abstellen. Dies muss vier Wochen vorher angekündigt werden. Damit soll der Verbraucher Gelegenheit bekommen, etwa durch Zahlung in letzter Minute die Sperrung abzuwenden. Oder aber dann, wenn er tatsächlich über keine Mittel verfügt, die Rückstände zu bezahlen, auf die Arbeitsagentur oder das Sozialamt zuzugehen. Diese sind nämlich unter bestimmten Bedingungen verpflichtet, ein Darlehen zu gewähren oder gar im Extremfall die Schulden zu übernehmen. Ist dieser Zeitraum aber fruchtlos verstrichen, kann aber trotzdem nicht sofort die Stromversorgung unterbrochen werden. Drei Tage vor der tatsächlichen Unterbrechung muss dies angekündigt werden. Spätestens jetzt ist der allerletzte Warnschuss gefallen, in dem der Verbraucher aufgerufen ist, sich um seine Rückstände zu kümmern. Da eine Sperrung nur dann zulässig ist, wenn sie auch verhältnismäßig ist, müsste der Verbraucher aller spätestens jetzt entweder mit dem Wunsch nach einer nachvollziehbaren Ratenzahlungsvereinbarung auf den Versorger zu gehen. Oder aber Gründe darlegen, warum die Sperrung aus anderen Gründen unverhältnismäßig ist.
Nun ist die Unterbrechung der Stromversorgung naturgemäß immer eine erhebliche Beeinträchtigung. Der Versorger muss also nicht schon deswegen vor der Sperrung zurückschrecken, weil der Verbraucher darlegt, dass erhebliche Unannehmlichkeiten eintreten würde. Das bedeutet nicht, dass das Gesetz besonders hartherzig wäre. Vielmehr trägt der Verordnungsgeber damit dem Umstand Rechnung, dass die Abfederung sozialer Härten nicht primär die Aufgabe privater Unternehmen, wie eben Energieversorger, ist. Der Sozialstaat muss mithilfe seiner Institutionen vielmehr dafür Sorge tragen, dass niemand unter menschenunwürdigen Bedingungen leben muss. Entsprechend gelten für das Vorliegen einer unverhältnismäßigen Härte, die ein privates Unternehmen dazu zwingen, ohne erwartbare Gegenleistung Ware zu liefern, hohe Anforderungen. Es reicht etwa nicht, einen Säugling im Haus zu haben, nicht einmal dann, wenn die Warmwasserversorgung über die Stromversorgung läuft. So etwa für durchaus viele ein amtsgerichtliches Urteil aus Stuttgart aus dem Jahre 2010. 2015 bejahte das AG Hannover eine unverhältnismäßige Härte etwa in einem Fall, in dem eine Verbraucherin lungenkrank war, und für ihr Sauerstoffgerät Strom brauchte. In diesem Fall hatte ihr an Alzheimer erkrankter Mann offenbar vergessen, die Rechnungen zu bezahlen (AG Hannover, Beschluss vom 08.04.2015 – 561 C 3482/15 -).
Was resultiert daraus für den Versorger? Zunächst: Mit einiger Wahrscheinlichkeit und abseits von Extremfällen wird er eine Sperrung vor Gericht, wenn etwa der Verbraucher in letzter Minute per Eilantrag versucht, diese zu verhindern, auch durchsetzen können. Voraussetzung ist natürlich, dass die Schuldenschwelle überschritten, keine Zahlung etwa durch einen Ratenzahlungsplan absehbar ist und alle Fristen gewahrt worden sind. Allerdings ist naturgemäß fraglich, ob dies wirklich in allen Fällen weiterhilft. Oft ist der Verbraucher schließlich nicht „bockig“. Vielmehr spricht viel dafür, dass die von „Hartz IV“ eingeplanten Energiekosten oft schlicht nicht ausreichen. Möglicherweise hilft ein offenes Gespräch mit immer wieder säumigen Verbrauchen. Diese haben beispielsweise die Möglichkeit, die Abschläge direkt an den Stromversorger überweisen zu lassen, so dass auf jeden Fall gesichert ist, dass wenigstens die teilweise erheblichen Aufwände für Sperrung und Aufhebung der Sperrung nicht anfallen. In nicht wenigen Fällen stellen auch Verbrauchsverhalten und Tarif abänderbare Faktoren dar. Letztlich muss aber auch der Versorger sich eingestehen, dass seine Mittel begrenzt sind. Hier ist der Bundesgesetzgeber gefragt, die Versorgung armer Menschen regelmäßig zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen.