Benut­zungs­pflicht: Schlechten Radweg an gefähr­licher Straße

Radfahrer dürfen öfter auf der Fahrbahn fahren, als gemeinhin angenommen. Die jeden­falls dann, wenn ein Radweg vorhanden ist, dieser aber nicht als solcher mit entspre­chenden Verkehrs­zeichen gekenn­zeichnet ist. Grund­sätzlich auch, wenn ein Radweg wegen einer geschlos­senen Schnee­decke, einer Baustelle oder Falsch­parkern unbenutzbar ist.

Die Benut­zungs­pflicht eines vorhan­denen und durch Verkehrs­zeichen als solchen gekenn­zeich­neten Radwegs besteht jedoch manchmal auch dann, wenn der Zustand des Wegs nicht den üblichen Anfor­de­rungen genügt. Dass die Anordnung der Benut­zungs­pflicht dadurch nicht automa­tisch rechts­widrig ist, zeigt eine aktuelle verwal­tungs­ge­richt­liche Entscheidung vom Verwal­tungs­ge­richt (VG) Hamburg.

Radfahrersymbol auf Asphaltdecke

Ein Fahrrad­fahrer hatte gegen die Radweg­be­nut­zungs­pflicht auf der Strese­mann­straße im Bereich der Stern­brücke geklagt. Die Strese­mann­straße ist eine mehrstreifige Haupt­ver­kehrs­straße auf der grund­sätzlich 50 km/h gilt, jedoch – auch im Bereich des streit­ge­gen­ständ­lichen Straßen­ab­schnittes – abschnitts­weise Tempo 30 angeordnet ist. Auf der Straße gab es in den letzten Jahren zahlreiche Unfälle, auch mit Fahrrad­be­tei­ligung. Der Fahrradweg bzw. gemeinsame Geh- und Radweg ist mit zum Teil durch­gehend unter 2 m schmaler als in der Verwal­tungs­vor­schrift, bzw. den Empfeh­lungen für Radver­kehrs­an­lagen (ERA) der Forschungs­ge­sell­schaft für das Straßen- und Verkehrs­wesen (FGSV). Der Weg weist zudem weitere Abwei­chungen vom Standard auf, z.B. sind dort mehrere Hausein­gänge ohne Neben­flächen bzw Sicher­heits­ab­stände und eine Bushaltestelle.

Die Anordnung einer Radweg­be­nut­zungs­pflicht setzt genauso wie andere Einschrän­kungen des fließenden Verkehrs eine quali­fi­zierte Gefah­renlage gemäß § 45 Abs. 1 und 9 StVO voraus und muss ermes­sens­feh­lerfrei und verhält­nis­mäßig sein. Das Verwal­tungs­ge­richt hat die Anordnung des Radweges als gemein­samer Geh- und Radweg dennoch als recht­mäßig angesehen. Denn die erheb­liche und quali­fi­zierte Gefahr für die Sicherheit der Radfahrer würde hier als Grund für die Anordung ausreichen. Die unstrit­tigen Defizite des Radwegs, die den Anfor­de­rungen der Verwal­tungs­vor­schrift nicht entsprächen, seien im Einzelfall hinzu­nehmen, wenn dies das Ergebnis einer sorgfäl­tigen Abwägung der Belange aller Verkehrs­teil­nehmer ist. Die ERA seien ohnehin nur Empfeh­lungen, die keinen Rechts­cha­rakter haben, sondern nur als Sachver­stän­di­gen­gut­achten zu werten.

Richtig zufrie­den­stellend ist die Entscheidung nicht, zumal auch die Hilfs­an­träge abgelehnt wurden, die vom Kläger auf Ertüch­tigung des Radwegs gestellt wurden. Diese seien schon unzulässig, weil nicht bestimmt genug sei, was für Maßnahmen zur Ertüch­tigung ergriffen werden müssten. Zudem hätte aber auch die Straßen- bzw. Straßen­ver­kehrs­be­hörde einen weitge­henden Einschät­zungs­spielraum bei der baulichen Verän­derung der Straße. Rechtlich ist das alles nachvoll­ziehbar, zeugt aber davon, wie gering weiterhin der Rang ist, dem die Flüssigkeit und Sicherheit des Rad- und Fußver­kehrs einge­räumt wird. (Olaf Dilling)

2023-02-21T15:08:00+01:0021. Februar 2023|Rechtsprechung, Verkehr|

Das 13. Türchen: Die verhin­derte Schulweg-Ampel

Dass Schul­kinder möglichst früh lernen sollen, sich unabhängig und sicher in ihrem Wohnumfeld zu bewegen und in der Lage sein sollen, alleine zur Schule zu kommen, wird eigentlich öffentlich kaum bestritten. Wenn faktisch dennoch viele Kinder von ihren Eltern mit dem sogenannten „Elterntaxi“ gebracht werden, wird das oft der Überfür­sorg­lichkeit von „Helikopter-Eltern“ angelastet.

Die Realität sieht aber mitunter ganz anders aus. Die Verhält­nisse im Straßen­verkehr sind vielerorts einfach nicht so, dass Kinder gefahrlos zur Schule laufen können. Würden Sie etwa Ihre Kinder frühmorgens alleine über eine viel befahrene vierspurige Straße laufen lassen, wenn es dort weder einen Fußgän­ger­überweg noch eine Ampel­anlage gibt? Eine Initiative von Eltern und Anwoh­nenden in Berlin-Neukölln hat da berech­tigte Sorgen, die von der zustän­digen Verkehrs­be­hörde nicht geteilt werden.

Denn nach deutschem Straßen­ver­kehrs­recht ist für Beschrän­kungen des fließenden Verkehrs eine besonders quali­fi­zierte Gefah­renlage nach § 45 Abs. 9 StVO erfor­derlich. Diese Gefah­renlage wird von der Behörde im Fall der Schulweg-Ampel aus mehreren Gründen abgelehnt. Unter anderem seien zu wenig Schul­kinder unterwegs, um eine Licht­zei­chen­anlage zu recht­fer­tigen. Zudem gäbe es aufgrund benach­barter Verkehrs­ampeln immer wieder Lücken im Verkehrs­fluss, so dass ein Queren gefahrlos möglich sei. Fußgän­ger­un­fälle habe es an der betref­fenden Stelle bisher noch nicht gegeben.

Zwei Lichtzeichenanlagen

Wir haben nun für die Initiative, genau genommen für mehrere Schul­kinder, vertreten durch ihre Eltern sowie für ein Ehepaar mit Gehbe­hin­derung Klage einge­reicht. Denn wir halten den Antrag auf Einrichtung einer Fußgän­ger­ampel durchaus für begründet und ein gericht­liches Vorgehen trotz der relativ hohen recht­lichen Hürden in diesem Fall für sinnvoll.

Die Begründung der Behörde geht nämlich in wesent­lichen Punkten von falschen Tatsachen oder Bewer­tungen aus:

1) stellt sie einseitig auf die Sicherheit des Verkehrs ab, nicht auch auf die Mobili­täts­be­dürf­nisse der Kinder und von Menschen mit Behin­derung, die bei der Entscheidung nach § 45 StVO im Rahmen der Ordnung des Verkehrs auch berück­sich­ti­gungs­fähig sind. Insbe­sondere wird aus der Tatsache, dass aktuell wenig Fußverkehr an der Kreuzung herrscht, offenbar geschlossen, dass dort auch bei Herstellung einer besseren Querungs­mög­lichkeit kaum Bedarf bestünde;

2) wird bei der Beurteilung des Verkehrs­auf­kommens unter­schlagen, dass wegen der häufigen Sperrung des parallel gelegenen Autobahn­ab­schnitts die Straße oft viel dichter befahren ist, als bei den Verkehrs­zäh­lungen erhoben;

3) brauchen für eine quali­fi­zierte Gefah­renlage keine Unfälle nachge­wiesen werden, es reicht vielmehr, dass die Verhält­nisse vor Ort Unfälle sehr wahrscheinlich machen;

4) schließlich wird nicht berück­sichtigt, dass eine Ampel­schaltung möglich wäre, die sich auch an der grünen Welle orien­tiert und insofern kaum Einschrän­kungen für die große Mehrheit des Kfz-Durch­gangs­ver­kehrs bringen würde.

Zwar haben Behörden bei der Verkehrs­re­gelung einen weiten Ermessens- und Einschät­zungs­spielraum. Aller­dings müssen sie die Tatsa­chen­grundlage für ihre Entschei­dungen sorgfältig ermitteln und dürfen keine Wertungen treffen, die nicht rechts­konform sind. Den Fall betreut unser Partner Rechts­anwalt Dr. Olaf Dilling.

2022-12-20T09:57:17+01:0020. Dezember 2022|Allgemein, Verkehr, Verwaltungsrecht|

Entzug der Fahrerlaubnis wegen Falschparkens

Beim Lesen einer Presse­mit­teilung des Verwal­tungs­ge­richts Berlin von Montag waren wir bass erstaunt. Nicht so sehr, weil jemand nach einer auffäl­ligen Häufung von Ordnungs­wid­rig­keits­ver­fahren im Straßen­verkehr die Fahrerlaubnis entzogen worden war. Sondern, weil er in nur einem Jahr die stolze Zahl von 174 Verfahren gesammelt hat, davon der weitaus größere Teil Verstöße gegen die Regeln des Haltens und Parkens. Nun sind falsch parkende Kraft­fahr­zeuge in Berlin durchaus keine Seltenheit.

Polizist in Fahrradkleidung schreibt Falschparker auf, der Radweg an Kreuzung zuparkt

Foto: Faltradler_Aufbruch-Fahrrad.de, , CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Eher selten sehen wir dagegen Ordnungs­kräfte, die Straf­zettel verteilen (bzw. laut Juris­ten­deutsch mit Bußbel­dbe­scheiden Ordnungs­wid­rig­keits­ver­fahren einleiten). Auch Anzeigen gegen Falsch­parker versanden unseren Wissens – zum Teil aus eigener Anschauung – in der überwie­genden Zahl der Fälle im Getriebe der Berliner Ordnungsverwaltung.

Nun, vielleicht lag es daran, dass der Kläger nicht nur ein, sondern gleich drei Kfz gemeldet hatte – und hatte insofern nicht nur einmal, sondern gleich dreimal das Problem, einen geeig­neten Parkplatz zu finden. Schuld an den Verstößen wollte er dennoch nicht gehabt haben. Die sollen sämtlich von anderen Personen begangen worden sein, die diese Autos benutzt hatten. Er habe, nur um den Behörden Arbeit zu ersparen, keine Rechts­mittel gegen die Bußgeld­ver­fahren eingelegt.

Angesichts der Vielzahl der Verfahren mag diese Zurück­haltung in den Ohren der Behörde nicht besonders überzeugend geklungen haben. Und angesichts der weiterhin geringen Höhe der Bußgelder für Parkver­stöße hat die Verwaltung die Arbeit vermutlich noch nicht einmal kosten­de­ckend erledigen können. Denn während Berlin im vergan­genen Jahr lediglich 2,6 Millionen Euro an Bußgeldern wegen Falsch­parkens einge­nommen hat, belaufen sich alleine die Kosten für Abschleppen und Sicher­stellung von Fahrzeugen laut rbb auf über 8 Millionen Euro.

Das Verwal­tungs­ge­richt stellt klar, dass Bagatell­ver­stöße, wie sie der Kläger sämtlich in seinem Wohnumfeld begangen hat, die Fahreignung grund­sätzlich ausschließen. Wenn aber ein Kraft­fahrer „offen­sichtlich nicht willens sei, im Interesse eines geord­neten, leichten und ungefähr­deten Verkehrs geschaffene bloße Ordnungs­vor­schriften zu beachten“ würde die Sache doch anders aussehen. Selbst wenn die Verstöße durch Personen aus seinem Umfeld begangen worden seien, hätte er etwas dagegen unter­nehmen müssen. Die Klage wurde daher abgewiesen. (Olaf Dilling)

2022-11-23T21:14:09+01:0023. November 2022|Kommentar, Rechtsprechung, Verkehr|