Die doppel­deutige Ampel

Heute rief eine Radfah­rerin in der Kanzlei an, die Ärger mit der Bußgeld­stelle hatte. Nach einem Unfall mit mehrtä­gigem Kranken­haus­auf­enthalt hatte sie der Unfall­gegner angezeigt. Sie sei angeblich bei „Rot“ über die Ampel gefahren. Der entge­gen­kom­mende Kraft­fahrer war links abgebogen und hatte sie dabei erwischt. Aus ihrer Sicht war es, wie sie auch gegenüber der Polizei angegeben hatte, erst „Gelb“ gewesen.

Nun, es wird sich wohl nicht mehr zweifelsfrei klären lassen. Wobei ein zweiter Blick auf deutsche Ampel­schal­tungen (eigentlich „Licht­si­gnal­an­la­gen­schal­tungen“) sich oft lohnt. Eigentlich sollte man denken, dass Ampeln eindeutige Signale geben. Zumindest für eine der zwei Routen, deren Kreuzung sie möglichst konfliktfrei regeln sollen.

Tatsächlich gibt es oft zahlreiche unter­schied­liche und mitunter doppel­deutige Signale: Die Fußgänger müssen schon warten, für die Kfz ist noch grünes Licht (oder wie im Fall der Radlerin: gelb). Noch kompli­zierter ist es, wenn auch noch eine extra Fahrrad­ampel instal­liert ist. Aber als würde das nicht reichen, sind findige Verkehrs­planer in den Behörden auf die Idee gekommen, dass noch weiter optimiert werden kann. Bei Ampeln über mehrspurige Straßen gibt es oft Verkehrs­inseln – und um zu verhindern, dass jemand darauf stehen bleiben muss, sind die Ampeln hier diffe­ren­ziert geschaltet. Manchmal so, dass abbie­gende Kraft­fahrer beim besten Willen nicht erkennen können, ob der entge­gen­kom­mende Fußgänger oder Fahrrad­fahrer nun „grün“ oder „rot“ hat.

Das lädt zu allge­mei­neren Betrach­tungen über Regeln und Optimierung ein: Während Planer und Ökonomen gerne alles optimieren, um noch die letzte 10tel-Sekunde aus einer Ampel­schaltung heraus­zu­holen, setzen Juristen in der Regel eher auf Rechts­klarheit. Denn was nützt die besten Licht­zei­chen­anlage, wenn die Verkehrs­teil­nehmer nicht wissen, auf wen sie dort wann Rücksicht nehmen müssen. Aber auch unter Juristen gibt es Kollegen, die meinen, überall zugunsten von Gerech­tigkeit und Verhält­nis­mä­ßigkeit Ausnahmen schaffen zu müssen. Letztlich geht diese Optimierung zu Lasten der Vorher­seh­barkeit, Trans­parenz und Orien­tie­rungs­funktion recht­licher Entschei­dungen (Olaf Dilling).