Paare, Passanten: Zum Beschluss des BVerfG zur Straßenfotografie
Geben Sie es zu, auch Sie haben allein auf dem Telefon mehr Bilder aus dem letzten Jahr, als aus Ihrer gesamten Kindheit existieren. Und mindestens jeder zweite von Ihnen, meine sehr verehrten und vermutlich überdurchschnittlich netzaffinen Leserinnen und Leser, stellt diese Bilder öffentlich aus, zum Beispiel auf Instagram. Und selbst wenn ausgerechnet Sie keinen Account haben: Man kann kaum das Haus verlassen, ohne dass man Leuten dabei zusieht, wie sie sich, ihr Essen, ihre Kinder, ihre Freunde oder ihren Hund ablichten. Natürlich laufen da beständig auch andere Leute durchs Bild. Das Kunsturhebergesetz (KUG), das regelt, wann man diese Leute um Einwilligung fragen muss, ist damit heute wichtiger denn je.
Entsprechend interessant ist der begründete Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) – 1 BvR 2112/15 – vom 08.02.2018. Hier ging es zwar nicht um Instagram, sondern um eine Ausstellung in der c/o Gallery am Berliner Zoo. Die Grundkonstellation ist aber ähnlich: Ein Straßenfotograf macht ein Bild von einer Person, die ihm auffällt. Sie ist Teil des Gesamtensembles „Berlin Charlottenburg“, das ja maßgeblich durch die Kleidung und das Auftreten der Passanten geprägt wird. Sie trägt ein Kleid mit Schlangenmuster und nimmt im Bild des Fotografen rund ein Drittel ein. Zudem wurde ausgerechnet dieses Bild riesengroß plakatiert, der eine oder andere Berliner mag sich erinnern.
Das unfreiwillige Model mahnte ab, und der Fotograf gab eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab. Wie in Abmahnungen üblich, verlangte die Fotografierte die Abmahnkosten und zudem eine Geldentschädigung und eine fiktive Lizenzgebühr. Dies wollte der Fotograf aber nicht zahlen. Die Frau zog vor Gericht. Es möge sich vielleicht um Kunst handeln, so dass grundsätzlich nach § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG keine Einwilligung erforderlich sei. Hier aber verletze die Abbildung gem. § 23 Abs. 2 KUG ein berechtigtes Interesse.
Das Landgericht Berlin verurteilte den Fotografen nur zum Ersatz der Abmahnkosten. Die Fotografierte sei zwar aus ihrer Anonymität gerissen worden. Die Verletzung wiege aber nicht sehr schwer.
Der Fotograf wollte das nicht akzeptieren und zog vors Kammergericht (KG). Als er hier nicht durchdrang, rief er das BVerfG an. Dieses nahm seine Verfassungsbeschwerde zwar nicht an. Es äußerte sich aber trotzdem: Die Verfassungsbeschwerde des Fotografen sei unbegründet. Zwar handele es sich um Kunst, auch wenn der Fotograf „nur“ die Realität abgebildet habe. Aber sein Grundrecht auf Kunstfreiheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Abgebildeten müssten in praktische Konkordanz gebracht werden, also in ein Verhältnis, in dem beide Rechte so wenig Schaden wie möglich nähmen.
Diesen Abwägungsvorgang habe das KG zutreffend vorgenommen. Das BVerfG unterstreicht dabei noch einmal, dass die Ausstellung von Straßenfotografie ohne Einwilligung der Abgebildeten möglich sein muss. Instagram darf also aufatmen, zumindest, wenn es sich um Kunst handelt. Dass der Fotograf trotzdem die Abmahnkosten tragen muss, begründet das Gericht nämlich allein mit der großformatigen Ausstellung des Werbeplakats an der Straße.
Was bedeutet das nun für die Praxis? Das Gericht verweigert ein plumpes Ja oder Nein. Der einzelne Fotograf muss sich fragen, ob er eine einzelne individualisierbare Person über das Normalmaß hinaus als Blickfang für seine Bilder verwendet. Im Zweifelsfall empfehle ich: Einfach fragen. Auch, wenn eine Einwilligung nicht erforderlich ist, schafft sie immerhin Rechtssicherheit.