Gaskrise: Heraus­for­de­rungen für Fernwärmeversorger

Oha. Erdgas ist so teuer wie zuletzt 2016. Manche meinen, Putin sei schuld, andere führen die schnelle Erholung der Wirtschaft nach Corona ins Feld, die zu einer erhöhten Abnahme von Erdgas geführt hat. Eine weitere Ursache sei die erhöhte Nachfrage Chinas nach Gas.

Doch warum auch immer der Gaspreis durch die Decke schießt: Versorger müssen sich auf die neuen Rahmen­be­din­gungen einstellen. Dies um so mehr, als dass die letzten Jahre eher von stabilen Seitwärts­be­we­gungen geprägt waren. Dies gilt für Gaslie­fer­ver­träge für Unter­nehmen und Verbraucher, aber auch für Fernwärme, denn nach wie vor ist die Fernwär­me­ver­sorgung durch erdgas­be­feuerte Anlagen geprägt.

Immerhin: In Deutschland sollen Entwick­lungen wie in Großbri­tannien, wo manche vor Massen­pleiten von Versorgern warnen, nicht möglich sein. Deutsch­lands Versorger sichern sich tradi­tionell weitge­hender ab, weil viel durch Termin­ge­schäfte und Hedging der Preise egali­siert wird. Doch mit einiger Verzö­gerung erreicht der steil gegangene Gaspreis natürlich auch Deutschland und – wiederum mit einer gewissen Verzö­gerung – auch die Fernwärmeversorgung.

Während Fernwär­me­ver­sorger in den letzten Jahren nur selten und in meist moderatem Maße die Preis anpassen musste, sieht dies jetzt anders aus. Um so sorgfäl­tiger sollten Unter­nehmen die vertrag­lichen Grund­lagen der Preis­an­passung abklopfen. In jedem Falle ist vor der Anpassung zu prüfen, ob die Preis­gleit­klauseln im jewei­ligen Versor­gungs­ver­hältnis überhaupt gelten. Wurden die aktuell verwandten Verträge durch öffent­liche Bekannt­ma­chung nach § 4 Abs. 2 AVBFern­wärmeV in Kraft gesetzt, zweifeln einige Oberge­richte inzwi­schen an der Wirksamkeit dieses Verfahrens. Sie verlangen das Einver­ständnis auch der Kunden­seite.

Erhöhte Aufmerk­samkeit sollte auch den Klauseln an sich gelten. Sie sind an § 24 Abs. 4 AVBFern­wärmeV gebunden, müssen also den Wärme­markt insgesamt abbilden und sich an den Kosten orien­tieren. Wichtig: Es reicht nicht, dass die Formel in der Vergan­genheit die Kosten abgebildet hat, wenn die sich zwischen­zeitlich etwa durch Brenn­stoff­wechsel verändert hat. Auch Positionen wie CO2-Preise, Löhne und Inves­ti­tionen müssen zutreffend abgebildet sein. Ist dem nicht so, kann die Preis­er­höhung verweigert oder für drei Jahre zurück­fordert werden.

Heizung, Warm, Klimatisierung, Kalt, Wärme, Energie

In der aktuellen Lage kommt ein weiterer Unsicher­heits­faktor dazu: Die Bundes­re­gierung musste vor allem das Messwesen refor­mieren und hat ein neues Regelwerk aufge­setzt, die FFVAV. Im Zuge des Erlasses sollte auch die AVBFern­wärmeV geändert werden. Die vom Bundesrat am 25. Juni 2021 überrascht noch einmal weitgehend verän­derte Novelle hängt aktuell im Bundes­wirt­schafts­mi­nis­terium fest. Doch tritt sie demnächst in Kraft, müssen sich Fernwär­me­ver­sorger sehr schnell auf eine Vielzahl neuer Regeln einstellen, unter anderem auf weitge­hende Veröf­fent­li­chungs­pflichten ihrer Standard­ver­träge, Anpas­sungs­rechte von Abnehmern und Infor­ma­ti­ons­ver­pflich­tungen im Rechn­nungs­prozess, die die Versorger schon abseits der gasin­du­zierten Preis­pro­ble­matik beschäf­tigen. Zeit also, spätestens jetzt aktiv zu werden und einen Schlachtplan für die nächsten Monate anzugehen.

Schließlich steht eins fest: Ab jetzt muss man sich warm anziehen (Miriam Vollmer).

 

2021-09-21T22:56:52+02:0021. September 2021|Vertrieb, Wärme|

Berliner Revolution im Fernwärmerecht

Die Neure­gelung des Berliner Klima­schutz- und Energie­wen­de­gesetzes wird vor allem wegen der Solar­pflicht disku­tiert. Inter­essant und wegen einer denkbaren Vorbild­wirkung auch über Berlins Grenzen hinaus inter­essant sind aber auch die Regeln, die in Berlin künftig für Fernwärme gelten:

Ein neuer § 22 fordert von Fernwär­me­netz­be­treibern einen Dekar­bo­ni­sie­rungs­fahrplan mit Nulllinie 2040/2045. 2030 sollen schon 40% der Wärme im Netz aus Erneu­er­baren oder unver­meid­barer Abwärme bestehen. Offen bleibt aller­dings, was passiert, wenn dieses ehrgeizige Ziel nicht erreicht wird. Hier setzt man offenbar auf Rechts­treue und den Umstand, dass sich hier in erster Linie das Land Berlin selbst in die Pflicht nimmt.

In Berlin haben nach § 23 Abs. 1 künftig Einspeiser grüner Fernwärme Anspruch auf Anschluss ans Netz, abgelehnt werden darf nur bei unvertret­barem Aufwand und wirtschaft­licher Unzumut­barkeit und Genemigung durch die neue Fernwärmeregulierungsbehörde.

§ 23 Abs. 2 enthält sodann eine Abnah­me­ver­pflichtung für klima­scho­nende Wärme. Das ist im Fernwär­me­recht ganz neu, man kennt solche Regelungen bisher vor allem aus dem EEG. Der Wärme­netz­be­treiber muss die Wärme angemessen vergüten, wenn dem Anlagen­be­treiber die Vergütung für die Wärme nicht reicht, kann er dies behördlich überprüfen lassen. Außerdem sieht die Neure­gelung weitge­hende Trans­pa­renz­pflichten für Netzbe­treiber vor.

Eine wichtige Stellung im neuen Berliner Fernwär­me­recht hat die neue Regulie­rungs­be­hörde. Diese ist im Wärme­recht bisher ein Novum, man kennt sie aus den Regulie­rungen für Strom und Gas. Sie wird bei der für Energie zustän­digen Senats­ver­waltung (= Wirtschaft) angesiedelt. Außer der Regulierung im Verhältnis von Anlagen­be­treiber und Netz hat sie die kartell­recht­liche Aufgabe, die Verbrau­cher­preise für Fernwär­me­kun­denalle fünf Jahre zu prüfen und die Ergeb­nisse zu publizieren. 

Stadt, Architektur, Gebäude, Berlin, Innenstadt

Mit diesen Regelungen beschreitet Berlin ganz neue Wege. Man kennt die einzelnen Instru­mente wie die starke Regulie­rungs­be­hörde, die Abnah­me­ver­pflichtung für grüne Energie etc. zwar alle bereits aus den Bereichen Strom und Gas. Doch die Ausweitung auf die bisher noch unregu­lierte Fernwärme im größten Wärme­netz­gebiet Deutsch­lands zeigt, dass der klima­po­li­tische Dornrös­chen­schlaf des Sektors Gebäude endgültig der Vergan­genheit angehören dürfte. Für Versorger bedeutet das: Auch außerhalb Berlins müssen nun schnell Konzepte für grüne Wärme her. Anderen Akteuren dagegen eröffnen sich Chancen (Miriam Vollmer)

 

 

 

 

2021-08-20T17:34:41+02:0020. August 2021|Erneuerbare Energien, Wasser|

FFVAV: Was sagt der Bundesrat?

In seiner Giga-Sitzung vom heutigen 25. Juni 2021  hat der Bundesrat sich auch mit der Verordnung zur Umsetzung der Vorgaben zu Fernwärme und Fernkälte in der Richt­linie (EU) 2018/2002 sowie in der Richt­linie (EU) 2018/2001 (FFVAV) beschäftigt (wir berich­teten bereits). Gescheitert ist das Projekt erwar­tungs­gemäß nicht, schließlich muss die Bundes­re­publik schon aus gemein­schafts­recht­lichen Gründen liefern. Doch der Bundesrat ist nur mit einigen Änderungen einver­standen, unter anderem will die Länder­kammer folgende Modifi­ka­tionen

# Zunächst sprechen sich die Länder für eine andere Definition der Fernwärme und ‑kälte aus. Das Minis­terium wollte eine Definition, die v. a. das Contracting von der Anwendung der Verordnung ausge­schlossen hätte. Die Länder wollen das wieder korrigieren.

# Die Länder wollen inter­ope­rable fernab­lesbare Wärme­zähler und einen Link zum MsbG.

# Bekanntlich gilt für Fernwärme und ‑kälte das Gebot des Unbundling nicht. Hier wird aus einer Hand geleistet. Die Länder wollen dies nun für das Messwesen aufbrechen und für Kunden mit Smart-Meter-Gateway für den Messstel­len­be­trieb der Sparte Strom ein Wahlrecht für das Messwesen auch bei Wärme einführen. 

# Die Länder wollen mehr und ganzjährige Kunden­in­for­ma­tionen und schlagen detail­lierte Vorgaben für die zusätz­lichen Infor­ma­tionen der Versorger gegenüber ihren Kunden vor.

# Der Bundesrat will weiter­ge­hende Änderungen der AVBFern­wärmeV. Er wünscht sich, dass Versor­gungs­be­din­gungen, Preis­re­ge­lungen, Preis­an­pas­sungs­klauseln und Preis-kompo­nenten mit allen Indizes u. s. w. im Internet publi­ziert werden müssen. Bisher ist dies nicht der Fall. 

# Der Bundesrat schlägt weiter vor, das Kunden auch während der Vertrags­laufzeit ihre verein­barte Anchluss­leistung einmal jährlich einseitig verändern können.

# Die Länder wollen ausdrücklich Änderungen der Preis­än­de­rungs­klauseln durch öffent­liche Bekanntgabe ausschließen.

Rohr, Rohrleitungen, Heizung, Arbeit

Nun bleibt abzuwarten, wie sich die Bundes­re­gierung hierzu positio­niert (Miriam Vollmer)

2021-06-25T20:45:13+02:0025. Juni 2021|Vertrieb, Wärme|