Im Verkehrs­recht: Keine Experimente?

Vor ein paar Jahren gab es eine Reform des Straßen­ver­kehrs­rechts, bei der der Versuch verein­facht werden sollte.  So richtig geklappt hat dies nicht. Denn weiterhin wird von der Recht­spre­chung verlangt, dass eine Anordnung gemäß § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO „zwingend erfor­derlich“ sei. Das ist einiger­maßen wider­sprüchlich. Denn wenn man einen Versuch startet, dann folgt eigentlich schon rein logisch aus dem Begriff des Versuchs, dass das ganze Unter­nehmen zum Erfolg nicht „zwingend erfor­derlich“ ist, sondern allen­falls gewisse Erfolgs­chancen aufweist. Anders gesagt, muss der Ausgang eines Versuchs immer offen sein, sonst gäbe es eigentlich auch nichts zu lernen.

Aber damit nicht genug, verlangt die Recht­spre­chung von Kommunen, die Maßnahmen zur Erprobung nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und Abs. 9 Satz 4 Nr. 7 StVO planen, eine „sorgfältige Bestands­auf­nahme und Bewertung“ sowohl des „status quo“ und seiner straßen­ver­kehrs­recht­lichen Gefahren vor dem Versuch als auch der zu ihrer Besei­tigung geeig­neten und erfor­der­lichen Maßnahmen erfordert. Das heißt, sowohl inhaltlich an die zugrun­de­lie­gende Gefahr als auch die metho­dische Aufar­beitung bestehen ganz erheb­liche Anforderungen.

Nun ist die deutsche Verkehrs­ver­waltung ohnehin nicht als besonders experi­men­tier­freudig bekannt. Aber wenn sie es doch mal ist, gibt es jeden­falls Vorschriften, die es in den aller­meisten Fällen verbieten. In Zukunft dürfte die Karawane der innova­ti­ons­freu­digen Kommunen ohnehin in manchen Fällen am Verkehrs­versuch im Sinne der § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und Abs. 9 Satz 4 Nr. 7 StVO vorbei­ziehen wie an einer ausge­trock­neten Oase.

Denn für Verkehrs­wen­de­be­geis­terte locken die grünen Wiesen der Bereit­stellung neuer Flächen für den Fahrrad- und Fußverkehr nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7b StVO, die gar nicht mehr mit einer konkreten Gefahr für die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs begründet werden müssen. Für sie ist nach dem Willen des Verord­nungs­gebers weder eine qualif­zierte oder einfache Gefah­renlage erfor­derlich. Es spricht nichts dagegen, solche Maßnahmen vorüber­gehend „zur Erprobung“ zu treffen. Rechtlich macht das dann keinen Unter­schied: Sowohl für dauer­hafte als auch für provi­so­rische Pilot­maß­nahmen ist die gleiche Begrün­dungs­tiefe erfor­derlich. Aber es wird in vielen Fällen trotzdem einfacher sein als ein Verkehrs­versuch nach deutschem Straßen­ver­kehrs­recht. (Olaf Dilling)

 

2025-06-20T12:48:06+02:0019. Juni 2025|Kommentar, Rechtsprechung, Verkehr|

Eine Radlerin ist eine Radlerin ist eine Radlerin…

Was tun, wenn eine Verkehrs­ampel einfach nicht grün wird? Für Kraft­fahr­zeuge gibt es dazu einschlägige Recht­spre­chung. Nach einer angemes­senen Wartezeit, nach der davon auszu­gehen ist, dass eine Funkti­ons­störung vorliegt, darf vorsichtig auf die Kreuzung gefahren und – wenn kein Querverkehr kommt – die vorrangige Straße überquert werden. Denn auch die Signale von Verkehrs­ampeln, die im Amtsdeutsch bekanntlich Licht­zei­chen­an­lagen heißen, sind Verwal­tungsakte. Wenn sie offen­sichtlich im Wider­spruch zu dem stehen, was sinnvol­ler­weise program­miert wurde, sind sie nicht nur rechts­widrig, sondern nichtig i.S.d. § 44 VwVfG und müssen nicht beachtet werden.

Im Fall einer Fahrrad­fah­rerin hatte das Amtsge­richt Hamburg-Blankenese vor einiger Zeit anders entschieden. Die Verkehrs­teil­neh­merin hatte nach eigenem Bekunden mehr als 5 Minuten an der roten Ampel gewartet. Schließlich war sie davon ausge­gangen, dass sie kaputt sei. Tatsächlich ging die Polizei, die den Vorgang vor Ort beobachtet hatte, davon aus, dass lediglich die Induk­ti­ons­schleife zur Bedarfs­an­meldung nicht dafür ausgelegt sei, auch Fahrräder zu berück­sich­tigen. Jeden­falls wurde sie nach dem Überqueren der Kreuzung von der Polizei zur Kasse gebeten. Immerhin eine Geldbuße von 100 Euro sollte sie zahlen.

Das Amtsge­richt Hamburg-Blankenese hat die Geldbuße nicht beanstandet. Zwar sei die Licht­zei­chen­anlage nicht auf Grün gesprungen, aber die Radfah­rerin hätte ja ohne weiteres absteigen und die Kreuzung mit Hilfe einer auf der rechten Seite befind­lichen, mit einem Anfra­ge­knopf ausge­stat­teten Fußgän­ger­be­darfs­ampel überqueren können.

Auf die Beschwerde der Radfah­rerin hat das OLG Hamburg dies verneint, denn:

Radfah­rende sind auch nicht etwa als „quali­fi­zierte Fußgänger“ anzusehen, denen unabhängig von etwaigen straßen­ver­kehrs­recht­lichen Anord­nungen nach Belieben angesonnen werden könnte oder müsste, vom Fahrrad abzusteigen und fortan als Fußgänger am Verkehr teilzunehmen.“

Für den Radverkehr ist dies eine gute Botschaft. Denn die Vorstellung, dass es doch jederzeit möglich sei, abzusteigen und zu schieben, ist einer der Gründe, warum Deutschland immer noch weit entfernt ist von einer lücken­losen Radver­kehrs­in­fra­struktur, die es ermög­licht, sicher und behin­de­rungsfrei längere Strecken zurück­zu­legen. (Olaf Dilling)

2024-06-14T16:32:08+02:009. Oktober 2023|Rechtsprechung, Verkehr|

Parkverbote für Fahrräder?

Nicht nur Kraft­fahr­zeuge, auch Fahrräder stehen manchmal im Weg. Und dann stellt sich die Frage: Was für Möglich­keiten gibt es eigentlich, das Abstellen von Fahrrädern zu unter­sagen? Obwohl diese Frage erst einmal trivial erscheint, stellt sie sich in der Praxis als ziemlich schwierig heraus. Denn in der Regel werden Fahrräder am Rand der Gehwege oder Plätze abgestellt. Dabei üben Radfahrer ihr Recht auf Gemein­ge­brauch aus. Wenn nun in einer Straße ein einge­schränktes oder absolutes Halte­ver­bots­schild aufge­stellt wird, dann folgt daraus zunächst einmal nur etwas für Kraft­fahr­zeuge. Sie dürfen dann dort nicht abgestellt werden, wo die  Straßen­ver­kehrs­ordnung das Parken regel­mäßig vorsieht, nämlich am Fahrbahnrand. Für Fahrräder am Rand der Gehwege gilt die Anordnung dagegen nicht.

Vor einigen Jahren wurde, um das wilde Parken von Fahrrädern am Bahnhof in Lüneburg zu unter­binden ein Halte­verbot mit Zusatz „auch Fahrräder“ angeordnet. Die Idee der Stadt war, dass dies auch für den an die Fahrbahn angren­zenden Fußgän­ger­be­reich auf dem Bahnhofs­vor­platz gelten solle. Fahrrad­fahrer, die die Bahn nutzen wollten, sollten auf ein nahe gelegenes gebüh­ren­pflich­tiges Parkhaus eines privaten Betreibers zurück­greifen. Nach Anordnung des Verbots hatte die Stadt begonnen, auf dem Bahnhofs­vor­platz abgestellte Fahrräder zu entfernen und in das Parkhaus zu bringen, wo die Besitzer es gegen Bezahlung einer Gebühr auslösen konnten.

Daraufhin beantragte ein Fahrrad­fahrer beim Verwal­tungs­ge­richt die Feststellung, dass diese Praxis rechts­widrig sei, da mit der Anordnung des Halte­verbots kein Verbot verbunden sei, auf dem Vorplatz zu parken. Vor dem Verwal­tungs­ge­richt bekam er recht, auf Berufung und Revision der Beklagten landete die Sache schließlich beim Bundes­ver­wal­tungs­ge­richt. Dies entschied, dass sich ein „Haltverbot auch auf Seiten­streifen und andere mit Fahrzeugen befahrbare öffent­liche Verkehrs­flächen in einer Haltver­botszone erstrecke, nicht jedoch auf Fußgän­ger­ver­kehrs­flächen“. Schließlich ergebe sich das Verbot des Parkens von Kfz auf Gehwegen bereits aus § 12 Abs. 4 Satz 1 StVO. Die von der Stadt Lüneburg getroffene Anordnung der Halte­ver­botszone würde sich zwar aufgrund des Zusatz­schildes auch an Fahrrad­fahrer richten. Aller­dings nur bezüglich des Parkens in den auch für Kfz vorge­se­henen Bereichen.

Diese schon etwas ältere, aber weiterhin relevante Entscheidung zeigt einmal mehr, dass die StVO nicht für Fahrrad­verkehr konzi­piert ist, sondern sich primär an Kfz und deren Belangen orien­tiert. Fragen des Umgangs mit Fahrrad- und Fußverkehr oder ÖPNV sind daher oft nur indirekt ableitbar und bedürfen einer beson­deren Expertise. Wir beraten Sie gerne zu diesen Themen (Olaf Dilling).

2022-03-09T23:02:43+01:009. März 2022|Verkehr|