Ein Energie­ge­setzbuch für Deutschland?

Der Jurist Holger Schnei­de­windt, Referent für Energie­recht der Verbrau­cher­zen­trale Nordrhein-Westfalen (NRW) hat in der vergan­genen Woche im Tages­spiegel Energie und Klima Background ein engagiertes Plädoyer für ein einheit­liches Energie­ge­setzbuch (EGB) veröf­fent­licht. Seine Analyse ist dabei so bestechend wie überzeugend: durch die vielen Novellen der letzten Jahre sei der Zustand des Energie­rechts inzwi­schen „bemit­lei­denswert“. Schnei­de­windt weist unter anderen auf die vielen dazwi­schen­ge­scho­benen Paragraphen des Energie­wirt­schafts­ge­setzes (EnWG) und ellen­lange Verord­nungs­er­mäch­ti­gungen hin. Und auch das Erneu­erbare-Energien-Gesetz (EEG) habe in den letzten Jahren durch die vielfachen Neufas­sungen jegliche Übersicht­lichkeit verloren, die es einmal ausge­zeichnet habe.

Richtig benennt Schnei­de­windt auch die unschönen Paral­lel­re­ge­lungen. Die unter­schied­lichen Gesetze, die gemeinsam das Energie­recht ausmachen, regeln nämlich zum Teil dieselben Punkte, dies aber nicht immer ganz konsistent. Wichtige Regelungen fehlen. Die Rolle der Bundes­netz­agentur, die dies durch Festle­gungen zu ordnen versucht, wird auch deswegen immer relevanter; für den Geset­zes­an­wender ist dies natürlich oft unschön.

Schnei­de­windt leitet hieraus ab: Die Inhalte müssten nicht nur zusam­men­ge­führt werden. Das Energie­recht müsste auch inhaltlich grund­legend überar­beitet werden. Im übertra­genen Sinne will Schnei­de­windt die kleinen und zum Teil baufäl­ligen Hütten, aus denen sich das Energie­recht zusam­men­setzt, abreißen und durch einen funkel­na­gel­neuen Bau ersetzen. Ein einheit­liches Energie­ge­setzbuch soll das Energie­recht also neu auf die Spur ersetzen.

Gegnern und Skeptikern hält er entgegen, sie würden mit der Komple­xität des gegen­wär­tigen Energie­rechts ja nur Geld verdienen wollen. Aber ist das wirklich so schlicht? Auch wir als Anwälte im Energie­recht würden eine in sich geschlossene Regelung mit einheit­lichen Begriff­lich­keiten und einer besser nachvoll­zieh­baren Syste­matik vorziehen. Schönere Gesetze schaffen mehr Rechts­si­cherheit, und das angesichts der vielfäl­tigen Heraus­for­de­rungen der nächsten 50 Jahre mit einem besseren Gesetz die Juristen überflüssig würden, sehen wir auch nicht. Tatsächlich, stünde morgen Schnei­dewind EGB im Bundes­ge­setz­blatt, hätten wir damit kein Problem. 

Wir glauben aber nicht daran.

Aus unserer Sicht würde vielmehr Folgendes geschehen: Würden alle Normen und die Syste­ma­tiken des Energie­rechts auf einmal auf dem Prüfstand stehen, begänne ein zähes Ringen der Lobby­isten für Industrie, Kraft­werks­wirt­schaft, Netzen und Umwelt um die Seele des Energie­rechts. Würde dabei ein konsis­tentes Regelwerk entstehen? Oder doch nur wieder ein zerkratzter Torso mit mäßig angehef­teten Glied­maßen? Ein Konglo­merat aus Formel­kom­pro­missen? Und besitzt die energie­po­li­tische wie ‑recht­liche Welt überhaupt das (auch perso­nelle) Potenzial und die Kraft, sich derzeit neu zu erfinden? Den Anfor­de­rungen von Klima­schutz, Atomaus­stieg, Versor­gungs­si­cherheit und Digita­li­sierung gleicher­maßen nachzu­kommen fordert aus unserer Sicht gegen­wärtig schon fast alle Reserven, die die Energie­wirt­schaft und mit ihr auch das Energie­recht besitzen. Lähmt sich der Betrieb durch ein solches gesetz­ge­be­ri­sches Großprojekt mögli­cher­weise für einen unbestimmten Zeitraum selbst? 

Mit Schaudern denken wir an das letzte Projekt, in dem eine zerklüftete Materie mit unter­schied­lichen Begriff­lich­keiten und schwer verständ­lichen Paral­lel­re­ge­lungen zusam­men­ge­führt werden sollte: Das Umwelt­ge­setzbuch (UGB). Vielleicht erinnern Sie sich noch an die Profes­so­ren­ent­würfe der Neunziger Jahre. Die diversen Referen­ten­ent­würfe des Bundes­um­welt­mi­nis­te­riums. Die Kompro­misse im Rahmen der Födera­lis­mus­reform, mit denen das UGB ermög­licht werden sollte. Die Anhörungen, die Diskus­sionen mit Bundesrat und Verbänden. Die Bayern und ihren Hecken­schutz. Und das Scheitern 2009. Wegen Petitessen, die Bayern dem Bauern­verband nicht zumuten wollte. Die Energie, die in die vielfachen Versuche geflossen ist, fehlte aber an anderer Stelle. Ein solches Risiko sehen wir gegen­wärtig angesichts der großen Heraus­for­de­rungen für durchaus gegeben an, so attraktiv der Vorschlag von Schnei­de­windt auch anmutet.