Verkehrs­recht für Alle?

Es ist also tatsächlich geschehen. Bundestag und Bundesrat haben sich auf ein neues Straßen­ver­kehrs­gesetz geeinigt. Und nicht nur weil gerade Fußball-EM ist, gilt der alte Spruch „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“. Denn dass der Gesetz­geber gesprochen hat, heißt ja nicht, dass alle Fragen geklärt sind.

Das betrifft zum einen die Tatsache, dass die Ermäch­ti­gungs­normen, die der Gesetz­geber erlassen hat, nun vom Verord­nungs­geber im  StVO-Entwurf konkre­ti­siert werden müssen. Ein solcher Entwurf liegt zwar bereits vor, muss jedoch noch an die Änderungen der StVG-Reform angepasst werden.

Zum Anderen stellt sich die Frage nach der Auslegung der neuen Bestim­mungen. Mit der Reform werden neue Schutz­güter einge­führt: Umwelt­schutz und städte­bau­liche Entwicklung etwa. Schon im Gesetz­ge­bungs­prozess hat sich gezeigt, dass sie im Spannungs­ver­hältnis zu den alther­ge­brachten Zielen von StVG und StVO stehen könnten: der Sicherheit und Ordnung im Verkehr.

Der Kompromiss, den der Vermitt­lungs­aus­schluss schließlich gefunden hat, lautet, dass die neuen Anord­nungs­zwecke „die Leich­tigkeit des Verkehrs berück­sich­tigen (müssen) und (…) die Sicherheit des Verkehrs nicht beein­träch­tigen“ dürfen. Hieraus ergibt sich ein Prüfungs- und Abwägungs­bedarf, dessen genaue Abarbeitung noch juris­ti­sches Neuland sind.

Sicher ist jeden­falls, dass in Zukunft viele straßen­ver­kehrs­recht­liche Entschei­dungen nicht bloß die Rechte von Kfz-Fahrern oder Haltern abwägen, sondern auch weitere Ziele in den Blick nehmen müssen. Das fügt sich zu neueren Entschei­dungen der Recht­spre­chung, die bereits stärker als in den Jahren zuvor die Rechte von nicht motori­sierten Verkehrs­teil­nehmern in den Blick nimmt. So etwa Fußgänger, die auf barrie­re­freie, funktionale Gehwege ohne parkende Autos bestehen, Fahrrad­fahrer, die sich an der Benut­zungs­pflicht dysfunk­tio­naler Radwege stören oder Schul­kinder, die auf dem Schulweg gefähr­liche Querungen bewäl­tigen müssen.

Für letztere schafft auch die Straßen­ver­kehrs­rechts­reform eine neue Möglichkeit: Für stark frequen­tierte Schulwege sollen Kommunen nun leichter strecken­be­zogen Tempo 30 anordnen können. (Olaf Dilling)

2024-06-21T17:21:24+02:0021. Juni 2024|Allgemein, Verkehr|

GG-Änderung: Klein bisschen Kinderrechte?

Bisher kommen Kinder im Grund­gesetz (GG) nur als Kinder ihrer Eltern vor: Nämlich, wenn es um das „natür­liche Recht der Eltern“ und die Pflicht zur ihrer Pflege und Erziehung geht. Daher sollen Kinder­rechte nach einem Beschluss des Kabinetts vom Anfang des Jahres nun ausdrücklich im Grund­gesetz verankert werden. Das ist an sich auch ein fälliger Schritt. Denn Deutschland hat die UN-Kinder­rechts­kon­vention bereits im Jahr 1992 ratifi­ziert. Damit hat die Bundes­re­publik sich verpflichtet, die Rechte von Kinder zu achten, zu schützen und zu fördern. Bei allen Entschei­dungen, die Kinder betreffen, muss das Kindeswohl daher „vorrangig“ berück­sichtigt werden.

Der Kabinetts­be­schluss sieht vor, den Artikel 6 Abs. 2 GG entspre­chend zu ergänzen:

Die verfas­sungs­mä­ßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigen­ver­ant­wort­lichen Persön­lich­keiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berück­sich­tigen. Der verfas­sungs­recht­liche Anspruch von Kindern auf recht­liches Gehör ist zu wahren. Die Erstver­ant­wortung der Eltern bleibt unberührt.“

Wichtig war der Regierung, durch die Stärkung der Rechte von Kindern die Rechte der Eltern nicht zu beschneiden. Zudem kommt mit der Quali­fi­kation der Berück­sich­tigung als „angemessen“ zum Ausdruck, dass Kinder­rechte stets mit den Rechten anderer Grund­rechts­träger und verfas­sungs­recht­licher Belange abzuwägen sind.

Der Reform­entwurf wird daher in einer Stellung­nahme des Deutschen Anwalts­vereins kriti­siert: Die UN-Kinder­rechts­kon­vention verlangt nämlich in Artikel 3 Abs. 1 die „vorrangige“ Berück­sich­tigung des Kindes­wohls bei allen die Kinder betref­fenden Entschei­dungen. Auch in der EU-Grund­rech­te­charta findet sich eine entspre­chende Formu­lierung. Zudem sei auch für Entschei­dungen, die das Erzie­hungs­recht der Eltern betreffen, das Kindeswohl die Richtschnur.

Dass die Grund­ge­setz­än­derung auch für ganz praktische Rechts­fragen relevant werden kann, zeigen nicht nur die aktuellen Konflikte über die Berück­sich­tigung von Kindes­wohl­be­langen bei Schul- und Kitaschlie­ßungen. Auch die Gestaltung des urbanen öffent­lichen Raums oder die Klima­po­litik sollten zunehmend im Lichte von Kinder­rechten gedacht werden (Olaf Dilling).

2021-03-19T17:55:08+01:0019. März 2021|Allgemein, Kommentar|