Damit etwas ins Rollen kommt, braucht es eine „kritische Masse“. Niemand weiß das besser als Mandaten von uns, die sich unter dem Namen Kidical Mass Aktionsbündnis unter anderem für Schulwegsicherheit einsetzen und für die wir ein Gutachten und Leitfaden zu Schulstraßen verfasst haben. Abgeleitet ist dieser Name von dem großen Bruder der Initative, der „Critical Mass“, die regelmäßig Veranstaltungen organisieren, bei denen sie sich auf § 27 Abs. 1 Satz 2 StVO berufen: „Mehr als 15 Rad Fahrende dürfen einen geschlossenen Verband bilden.“
Eine kritische Masse kann es nicht nur aus Personen geben, die in einem Verkehrssystem plötzlich eine relevante Größe werden. Auch im Rechtssystem selbst gibt es solche Phänomene. Normen die reformiert werden und unverbunden nur marginal was ändern würden, können ineinander greifen und plötzlich größere Veränderungen ermöglichen.
Weil es um Kinder und Schulwegsicherheit geht, passt es vielleicht, von Puzzleteilen zu sprechen: Aufgrund verschiedener Detailregeln wird es in manchen Fällen nun möglich, Schulwege im Ganzen verkehrssicher zu planen. Die Puzzleteile fügen sich zu einem größeren Bild zusammen. Das geht nicht immer, denn manchmal bleiben doch noch Lücken. Aber es funktioniert dank der Straßenverkehrsrechtsreform immer öfter!
In Pfaffenhofen, einer oberbayrischen Kommune, in der wir beraten haben, war es möglich, auf dem größten Teil des Vorfahrtsstraßennetzes Tempo 30 anzuordnen. Und das jeweils mit guten Gründen, die auch die Staatsregierung in München akzeptieren muss.
Von was für Puzzleteilen sprechen wir? Im Wesentlichen sind es fünf neue Regelungen:
- Aufwertung der Schulwegeplanung: Die Schulwegeplanung, die in vielen Bundesländern schon fest etabliert wird, wird straßenverkehrsrechtlich inzwischen besser aufgegriffen.
- Dies zeigt sich insbesondere bei hochfrequentierten Schulwegen: Denn an diesen sollen die Straßenverkehrsbehörden nun in der Regel gemäß § 45 Abs. 9 Satz 4 Nr. 6 StVO Tempo 30 anordnen. Dies gilt auch an Landes‑, Bundes- und sonstigen Vorfahrtsstraßen. Die Schulwegeplanung kann gemäß den Richtlinien der VwV-StVO festlegen, welche Routen als hochfrequentiert betrachtet werden. Dies liegt nicht nur im Nahbereich der Schule nahe, sondern unter Umständen auch in Ortsteilen ohne Schule in der Nähe von Bushaltestellen, die von Schulbussen frequentiert werden. Hier der O‑Ton der erst kürzlich überarbeiteten Verwaltungsvorschrift zur StVO:
Hochfrequentierte Schulwege sind Straßenabschnitte, die innerhalb eines Stadt- oder Dorfteils eine Bündelungswirkung hinsichtlich der Wege zwischen Wohngebieten und allgemeinbildenden Schulen haben. Diese Wege können auch im Zusammenhang mit der Nutzung des ÖPNV bestehen. Ihre Lage ist begründet darzulegen. Sie kann sich auch aus Schulwegplänen ergeben, die von den betroffenen Schulen und der zuständigen Straßenverkehrsbehörde sowie gegebenenfalls Polizei und Straßenbaubehörde erarbeitet wurden. Auf den Schulwegen sind bei der Abwägung über die Geschwindigkeitsbeschränkung jedoch auch Querungshilfen und Sicherheitseinrichtungen zu berücksichtigen, z.B. Lichtzeichenanlagen oder Absperrgitter. - Eine besondere Bedeutung im Puzzle bekommen Fußgängerüberwege (Zebrastreifen). Denn neuerdings sind auch sie ein Grund, Tempo 30 anzuordnen, was sich aus § 45 Abs. 9 Satz 4 Nr. 10 StVO ergibt. Insbesondere kommt das laut VwV-StVO dort in Betracht, wo der Straßenverlauf unübersichtlich ist oder wo typischerweise damit gerechnet werden muss, dass Kraftfahrer von sich aus nicht mit der Geschwindigkeit herunter gehen, um ihre Bereitschaft, Vorrang zu gewähren, zu signalisieren.
- Lückenschlüsse zwischen Tempo 30-Zonen hat es auch bisher schon gegeben. Inzwischen sind diese jedoch auf 500 m ausgedehnt worden. Da gibt es nun an vielen Orten ganz viele Puzzleteile, die neu eingefügt werden können und das Bild des verkehrssicheren Schulwegs vervollständigen.
- Schließlich gibt es noch das Centerpiece: Die Schulstraße. Mit der Straßenverkehrrechtsreform hat sie nur indirekt was zu tun, auch wenn sie sich fast zeitgleich in Deutschland durchgesetzt hat. Es gibt jedenfalls immer mehr entsprechende Projekte, nicht nur in NRW, wo es sogar einen Erlass dazu gibt. Durch die Bereitstellung von angemessenen Flächen für den Fuß- und Radverkehr, die neuerdings gemäß § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 StVO möglich ist, gibt es aber auch eine weitere Grundlage für ihre Anordnung. Demnächst werden wir die Details in einer Neuauflage des Gutachtens oder Leitfadens hier vorstellen. (Olaf Dilling)
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