Nachhaltigkeit, Kinder, Rasse … und die Relevanz des Grundgesetzes
Politiker haben oft den Impuls, alle möglichen aktuellen Anliegen ins Grundgesetz (GG) zu schreiben. Bei Juristen stößt das selten auf Gegenliebe. Sie sehen dadurch die Verfassung verwässert oder geradezu inflationiert. Ohnehin enthalte das Grundgesetz meist schon Lösungen für die meisten gesellschaftlichen Probleme. Die Anwendung auf die aktuellen Anliegen bedürfe zwar einiger verfassungsrechtlicher Auslegungskunst, aber dafür gäbe es die Verfassungsrechtler ja. Aus den neu in die Verfassung aufgenommenen Zielen ließen sich oft ohnehin nur begrenzt Rechte ableiten. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn diese als Staatszielbestimmungen, nicht als Grundrechte formuliert seien.
In der laufenden Legislaturperiode hatte sich die große Koalition auf zwei Projekte geeinigt, über die kurz vor ihrem Ablauf noch entschieden werden sollte: Zum einen betraf dies den Verbleib des Begriffs der „Rasse“, zum anderen spezifische Kinderrechte, die bisher im Grundgesetz nicht eigens ausgewiesen waren.
Bei der Rasse war das Argument, dass dieser Begriff aktuellen wissenschaftlichen Standards nicht genüge. Zwar wurde er nach dem Krieg nur in Artikel 3 Abs. 3 Grundgesetz aufgenommen, um zu verhindern, dass Rassekriterien wieder so eine große Rolle spielen könnten, wie zur NS-Zeit unter den Nürnberger Gesetzen. Dennoch sind heute viele Leute der Meinung, die Art, wie Artikel 3 GG den Begriff voraussetzt, den Eindruck erwecken könnte, es gäbe Menschenrassen wirklich als feste, objektiv unterscheidbare Größe in der Welt. Daher sollte der Begriff nach der Vorstellung der Bundesregierung durch die Formulierung ersetzt werden, dass niemand aus „rassistischen Gründen“ diskriminiert werden dürfe.
Spezielle Kinderrechte fehlen im Grundgesetz bisher. Daher sollte Artikel 6 GG einen weiteren Absatz bekommen: „Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern auf rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt.“
Hier wurde in der verfassungsrechtlichen Diskussion zu Recht kritisiert, dass die darin enthaltenen Rechte bereits im Grundgesetz enthalten seien. Denn die Grundrechte gemäß Artikel 1 bis 19 GG gelten sämtlich auch für Kinder als Grundrechtsträger. Sie können zwar von den Kindern nur unter Vorbehalt ihrer Reife ausgeübt werden. Daran hätte jedoch auch die Grundgesetzreform nichts geändert.
Beide Grundgesetzänderung sind in den letzten Tagen nun doch abgelehnt worden. Für das Selbstverständis der Politik bezeichnend ist weniger die Tatsache, dass die Änderungen nicht zu Stande kamen. Bezeichnend ist vielmehr die Begründung des Justiziars der Unionsfraktion, Ansgar Heveling: „die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz bestätigt, dass jede Änderung der Verfassung die Tür zu neuen Auslegung der Verfassung öffnet“. Denn dass Grundgesetzänderungen etwas bewirken sollen, nicht bloß wohlfeile symbolische Politik sein dürfen, das sollte doch schon immer das Ziel gewesen sein. Oder etwa nicht? (Olaf Dilling)