Es kommt drauf an: Von Knallerbsen und großen Krachern
Eins der ersten Dinge, die angehende Juristinnen und Juristen lernen, ist die altbewährte Floskel: „Es kommt drauf an“. Das sei, so damals ein Professor, zum einen gut, äh… um Zeit zu gewinnen. Denn auf irgendetwas käme es in Rechtsfragen ja eigentlich immer an. Und was das nun in concreto sei, das würde einem im Laufe des Gesprächs in der Regel sicherlich schon einfallen. Jedenfalls dann, wenn man in seiner Vorlesung gut zugehört hätte. Zum anderen… würden Kandidaten dadurch vermeiden, zu schnell etwas zu Pauschales zu antworten. Was dann am Ende im zu beurteilenden Fall doch nicht zuträfe.
Grade eben war in einem sozialen Netzwerk von einer neuen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg die Rede: Das Feuerwerksverbot in Niedersachsen sei gekippt worden. Es gäbe, so von T‑Online wiedergegeben, nach Auffassung des Gerichts „keine Gründe“ für das Verbot. Die makabere Pointe: Im selben Atemzug berichtete T‑Online von gekühlten Corona-Toten in Hanau.
Zu Recht fragen sich nun manche in dem sozialen Netzwerk, ob das Gericht den Ernst der Lage erkannt hat. Aber bevor wir auch hier anfangen, uns über „weltfremde“ Richter zu erregen, haben wir dann doch noch die Kurve gekriegt und zumindest mal die bereits vorliegende Pressemitteilung des Gerichts gelesen. Und sind nun der Überzeugung, dass die Sache dann doch nicht gar so einfach ist. Wie hieß dieser tief in unserer professionellen Methode verankerte Spruch: „Es kommt darauf an!“
Aber zunächst einmal zu dem Inhalt der Niedersächsischen Corona-Verordnung:
§ 10a der Niedersächsischen Corona-Verordnung lautet:
„(1) Der Verkauf und die Abgabe von Feuerwerkskörpern und anderen pyrotechnischen Gegenständen sind unzulässig. Satz 1 gilt nicht für pyrotechnische Gegenstände, die als Leuchtzeichen in der Schifffahrt oder im Flugverkehr zugelassen sind oder der Wahrnehmung staatlicher Aufgaben dienen.
(2) Das Mitführen und Abbrennen von Feuerwerkskörpern und anderen pyrotechnischen Gegenständen ist untersagt. Satz 1 gilt nicht für die Nutzung pyrotechnischer Gegenstände als Leuchtzeichen in der Schifffahrt oder im Flugverkehr oder bei der Wahrnehmung staatlicher Aufgaben.
(3) Das Veranstalten von Feuerwerk für die Öffentlichkeit ist verboten.“
Die Richter des 13. Senats des OVG Lüneburg waren der Auffassung, dass das Verbot nicht geeignet sei, zur Verhinderung von Infektionen beizutragen. Nun, das ist eine Frage, die nach allgemeiner Lebenserfahrung wohl auch anders beantwortet werden könnte.
Denn auf allen Silvester-Parties, auf denen wir eingeladen waren, verbreitet sich um ca. 10 Minuten vor Mitternacht eine merkwürdige Unruhe. Viele Männer, vor allem Väter, kramen in Tüten und bringen bunte, oft länglich geformte Dinge aus Papier und Pappe zu Tage, suchen nach Feuerzeug oder Streichhölzern. Irgendjemand holt Sekt oder Champagner aus der Kühlung. Alles drängt auf die Straße, wo schon einige Nachbarn versammelt sind. Gemeinsam wird dann rückwärts gezählt, gemeinsam angestoßen, alle Leute fallen ausnahmeslos allen Leuten (selbst ihren erbittersten Feinden und Nebenbuhlern) um den Hals und währenddessen werden die Raketen gezündet. Welche Rolle Raketen und Feuerwerk genau spielen, ist natürlich eine schwer zu beantwortende Frage. Es wäre sicherlich denkbar, sich auch nur mit Sekt auf die Straße zu stellen, aus der gemeinsame Flasche zu trinken und sich gegenseitig zu umarmen. Aber ist das wahrscheinlich? Würden Sie das in einer Pandemie machen? Es wäre auch möglich, irgendwo mutterseelenallein mit großen Abständen Raketen und Böller zu zünden und den ganzen Rest mit dem Gemeinsam-aus-einer-Flasche-Trinken ausnahmsweise mal ganz wegzulassen. Aber das wäre vermutlich nicht einmal der halbe Spaß. Und es wäre ein Aufstand gegen die Macht der Gewohnheit, der auch Menschen tagsüber und in nüchternem Zustand schwer fallen dürfte.
Bleiben also die anderen, üblichen Silvesterfreuden. Zusammen am Tisch sitzen, „Dinner for One“ gucken, Blei gießen und Knallbonbons… halt da war noch was… Die Richter des OVG Lüneburg hatten nämlich noch etwas an der Verordnung auszusetzen: Umfasst sind nicht nur diejenigen Raketen und Knallkörper die ausschließlich draußen gezündet werden dürfen. Nein, auch Tischfeuerwerk soll verboten werden. Und da, liebe Leserinnen und Leser, müssen wir dem Gericht wirklich folgen: Das Verbot dieser kleinen, harmlosen Silvesterfreuden ist nun tatsächlich so unverhältnismäßig, dass ihm die Rechtswidrigkeit sozusagen ins Gesicht geschrieben steht. Wenn also im sozialen Netzwerk mal wieder jemand fragt, wie wir eigentlich die Entscheidung des OVG Lüneburg finden, dann wissen Sie jetzt vermutlich, was wir antworten: „Es kommt drauf an…“ (Olaf Dilling).